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Der Rembrandtdeutsche und Österreich

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Zwei Menschenalter sind heuer verstrichen seit dem Erscheinen des eigenartigen Buches „Rembrandt als Erzieher. Von einem Deutschen“, das die literarische Sensation und der deutsche best seller des Jahres 1890 war, heute aber, zusamt seinem Autor, fast ganz der Vergessenheit anheimgefallen ist. Selbst im Kerngebiete des Kulturkreises, aus dem das Gedankengut dieses Werkes erwuchs, ist Julius Langbehn — so hieß der Verfasser — nur noch ein Name ohne Klang und Leben. Und doch konnte noch 1904 August Strindberg Langbehn neben Nietzsche stellen, die beide der mikroskopischen Geisteshaltung des Naturalismus, wo die Psychologie zur Veterinärwissenschaft erniedrigt und die Theologie aus der Zoologie abgeleitet worden sei, ein Ende gemacht hätten.

Langbehns Buch, eine leidenschaftliche Abrechnung mit der einseitigen rationalistischen Bildung der Zeit, fand zunächst 'n Nord- und Mitteldeutschland lauten Widerhall, bald aber verstummten diese Stimmen. Entscheidend für seine weitere Entwicklung wurde es nun, daß er im Süden des deutschen Kulturraums Männer fand, die ein tieferes Verständnis für seine Gedanken verrieten, obwohl ihre Gegensätzlichkeit zu der deutschen Entwicklung seit 1866 sich aus andern, ihm noch unbekannten Quellen nährte. Unter diesen ist vor allem der österreichische Nationalökonom Alexander von Peez »u nennen, der über sein besonderes Wissensgebiet hinaus historische und germanistische Studien betrieb, denen Langbehn hohen Wert beimaß. Von Peez auf dessen Landgut in Velden am W6fther See eingeladen, erlebte hier der Rembrandtdeutsche zum erstenmal den typischen österreichischen Einklang von Kultur, Landschaft und Volkstum, den er in seiner Heimat nicht mehr fand. Langbehn war, trotzdem er vom Heimatlichen ausgegangen war, selbst ein rastloser Wanderer, immer auf der Suche nach verwandten Geistern und neuen Erkenntnissen zur Vertiefung seiner Weltansicht. Daß er aus seinen wesentlich ästhetisch begründeten und in der Enge einer Rassenlehre befangenen Kulturkritik und Reformidee schließlich den Weg zu einem in der universellen Frömmigkeit des Katholizismus wurzelnden Bildungsideal fand, spricht für die Gesundheit seiner geistigen und seelischen Antriebe. Auf diesem Wege wurde der Rembrandtdeutsche durch die starken Eindrücke, die er in Österreich empfing, entscheidend gefördert. Im Frühling 1893 finden wir ihn in Begleitung seines Jüngers Momme Nissen, der später als Benediktinermönch Langbehns Biographie schrieb, in Wien. Von der kleinen Villa in Oberst. Veit, wo die beiden einen idyllischen Wohnsitz gefunden hatten, gingen nun die Entdeckungsfahrten nach der Kaiserstadt, deren überwältigend reiche Schätze einer ungebrochenen blühenden Kultur sie ebenso fesselten wie das Volksleben im Prater, in den Gaststätten, wie der „Großen Tabakspfeife“ oder der „Goldenen Birne“, und bei den Schrammein des Heurigen. Besonders tief wirkten aber auf den empfänglichen Geist des nordischen Kulturapostels das kirchliche Leben und die vielen Beweise einer echten, offenen Volksfrömmigkeit. „Den leidigen Spalt awischen Zitra- und Ultramontaa, über den auch wir im Norden nicht hinweggekommen waren, hier sahen wir ihn geschlossen“, berichtet Momme Nissen, „Wir sahen hier aufs deutlichste, daß .Deutsch' und .Katholisch', beide Welten rein gefaßt, sich gegenseitig steigerten und stützten. Hier war die genuine Verbindung mit der großen Vergangenheit ganz Europas gewahrt geblieben und mit Lokalgeist durchsättigt worden. Hier waren Nutzwerte und Geldgewinn noch nicht des Lebens Zweck geworden. Hier hatte man sich noch gern, war noch aus innerem Antrieb natürlich und vornehm, zeigte dem Fremden durchs gute Beispiel, daß Geruhsamkeit und frommes wie frohes Beieinandersein auch zum menschenwürdigen Dasein gehören. Hier war der Deutsche durchgereift, war saftig und weich an der Seele geworden.“ Von gleichem Verständnis für die österreichische Wesensart zeugt auch die Hochsehätzung der Persönlichkeiten Karl Luegers und Anton Bruckners seitens der beiden Freunde.

Die Hoffnung, in Wien eine feste Bleibe zu finden, verwirklichte sich nicht. Mit seinem echt holsteinisch kantigen Wesen stieß Langbehn oft da an, wo er seih ersehntes wahlverwandtes Milieu gefunden zu haben glaubte. Das alte Wanderleben begann aufs neue, aber jetzt ging es nach dem Süden, zu dem der Wiener Aufenthalt das Tor eröffnet hatte. Kärnten und das Küstenland der Adria waren die noch von österreichischer Art geprägten Übergangsstellen zur romanischen Welt. Immer stärker wurde nun die religiöse Frage, das Zentral-prdblem im Leben des Rembrandtdeut-schen. Im Breisgau und nochmals kurz in Wien tauchte Langbehn erneut in eine katholische Welt deutscher Zunge, bis er endlich nach längerer Zürückgezogenheit in der Heimat im Februar 1900 bei den Dominikanern zu Rotterdam konvertierte. Die Wahl von Ort und Ordert war loch ein Ausschlag seines alten, aber jetzt religiös vertieften Starnmesbewußt-seins. Dann ging es aber wieder zurück nach dem katholischen Süden Deutschlands. Wie stets, weitete sich Langbehn das“ persönliche geistige Erlebnis zu klarerer Einsicht ih die Problematik seiner Kulturanschaüung. „Die Seele der Nordländer schreit nach Katholizismus, wenn man Katholizismus recht versteht. Gerade weil sie kühl, klar, nüchtern angelegt ist, bedarf sie des Saftes, der Wärme, der Fülle des Katholizismus noch mehr als andere Seelen, Stämme, Völker. Das ist die Polarität, auf die es hier ankommt. Daß man sie aufgab, das führte uns zur Seelenzerrissenheit der Neuzeit.“

Als sich das innerlich zur Ruhe gekommene Leben dieses wahren Wanderers zwischen zwei Welten seinem Ende zuneigte, war es wiederum ein Stück Österreich, das ihm letzte seelische Heimat wurde. Salzburg nahm die beiden Freunde auf, die von einer Erholungsreise nach Oberitalien, auf der sie auch in Feldkirch den Spure“« des hl. Fideiii gefolgt waren, zurückkehrten. „Hier ist noch viel gedacht und geschaffen worden, berichtet Momme NiSSen von dem schon vom Tode gezeichneten Rembrandt-deutschen. „Hier kam er noch oft zurück auf seine größte geistige Lebensfrage, wie der große Riß zwischen dem Nordwesten des Erdreichs und Rom geschlossen werden könnte, und lieferte Beiträge hifizu. Wir waten herzfroh, wieder eih-mal ganz hineinzutauchen in den guten Brbgeist Deutschösterreichs, den Salzburg mit seiner Frömmigkeit, seiner durch und durch organischen Verzweigtheit nach der Seite der Natur, Kunst Und Geschichte rein darstellt. Auch das Österreich der Gegenwart fesselte uns wieder doppelt, als wir mitten drin standen Und sein Wogen verfolgten. Hier fanden wir trotz so mancher Verlotterung und Vergiftung das geistige Leben impulsiver, seelisch bewegter, großdeutscher als im Bannkreis Preußens, hier mehr Sinn für Natürlichkeit und für große Grundsätze, noch nicht die moderne .Stearinisierung des Menschlichen'; hier tauchteh immer wieder blut- und seelenvolle Führergestalten Wie Erzherzog Franz Ferdinand und der reformatofische Bürgermeister von Wien auf.“ Bifle Schlittenfahrt in den schönen Salzbüfger Winter war der letzte Naturgenuß des Rembrandtdeut-schen.

Einige Monate später, am 30. April 1907, starb Julius Langbehn in Rosenheim, wo er Linderung für sein Leiden gesucht hatte. Der getreue Jünger Momme Nissen bestattete die irdischen Reste des Rembrandtdeutschen unter der tausendjährigen Linde der Seligen Edigna auf dem hochgelegenen Friedhof des Dörfchens Puch im Ampertal. So ruht der Leib dieses stolzen und demütigen Niedersachsen Urtter schlichten Bauerngräbern in bayrischer Erde, nicht allzu weit entfernt von der Grenze Österreichs, des Landes, das er ehren und lieben gelernt hatte und das ihm zum Entgelt die letzte, schönste Blüte seiner in hundertjähriger Tradition verwurzelten, aus reichsten Bildurigsgütern, weitoffener Frömmigkeit und naturhaftem Volkstum sich nährende, schöpferische Geistes- Und Lebensform darreichen konnte.

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