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Der Schauspieler

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Lieber Peter!

Nach einem Jahre haben Sie nun den Mui gefunden, mir zu schreiben. Wir sehen uns zwar jede Woche einmal zum Religionsunterricht in der Schauspielschule, und Sie hätten auch mit mir sprechen können. Aber ich verstehe: beim Schreiben bleibt man nüchterner, und es kommt Ihnen darauf an, sich über die Wahl Ihres Berufes klarzuwerden.

Was Sie am meisten zu drücken scheint: Sie sind von der „Schule“ enttäuscht. Sie hatten sich etwas anderes vorgestellt; — oder, Peter, hatten Sie sich überhaupt etwas vorgestellt, als Sie um Aufnahme in die Schauspielschule baten? Vielleicht ging es Ihnen, wie so vielen Ihrer Mitschüler, daß Sie die Bühne nur vom Zuschauen kannten. Vor dem Zuschauer sind die Schauspieler das leichte und mühelose Volk der Könner und Künstler. Aber der „Betrieb“, der bis zu einer Aufführung nötig ist, kommt dem Zuschauer im Theater nicht zu Bewußtsein. Gewiß gibt es Reportagen über „Hinter der Bühne“ und vom Privatleben der Künstler. Es gibt sogar Filme und Theaterstücke, die den Hintergrund zum Vordergrund machen, um aus dem Leben der Künstlerschaft zu sprechen. Aber alle diese Eindrücke sind Verkürzungen und deshalb notwendig schief, wenn Sie nur diese kennenlernten — das haben Sie also in der „Schule“ jetzt erfahren.

Sie fragen sich immer wieder, warum man dort Vorlesungen in Literaturgeschichte, in Kostümkunde, in Fechten, Gymnastik, Tanzen, Sprachunterricht und so vielem anderen besuchen muß — bis man endlich einmal eine Rolle spielen darf. Warten Sie, Peter, das kommt schon noch! Aber zuerst müssen Sie Ihr Handwerkszeug kennenlernen: Ihren Kopf, Ihr Sprachorgan und Ihren Körper. Und während Sie diese „Materialstudien“ mitmachen, sollen Sie sich in die Atmosphäre des Theaters und in die Traditionen des Schauspielerstandes eingewöhnen. Und dann werden Ihnen Ihre Lehrer eine Rolle zuweisen. Zuerst zum Lesen, dann zum Spielen auf der Probebühne. Und wenn Sie Talent zeigen: auch einmal eine Rolle für die öffentlichen Vorstellungen des Seminars. Und wie lange müssen Sie da proben!! Wenn Sie nicht daheim und auf der Straße, bei Freunden) ob gelegen oder ungelegen, sogar im Traum sich mit Ihrer Rölle beschäftigen, fanatisch und besessen sřndŇfach- simpeln und arbeiten — dann wird nichts aus Ihnen. Und leider muß ich feststellen — nicht Sie allein soll dieser Vorwurf treffen —, daß die einzelnen Schüler nicht genug arbeiten. Ihr seid gute Kollegen zueinander; Ihr flirtet ein wenig miteinander — aber das genügt nicht, um allein über die Kenntnis des Handwerkszeugs und dessen Verwendung hinauszukommen. Es kann Ihnen ja glücken, daß Sie als Wunderkind „entdeckt" werden. Aber glauben Sie auch dann nicht an einen bleibenden Erfolg, wenn Sie nie richtig gearbeitet haben. Dann werden Sie ein kleiner Stern, dessen Bahn bald wieder über dem Horizont der Filmleinwand niedergeht.

Kurz gesagt, was ich von einem Schauspieler verlange: er muß eine Persönlichkeit sein, er muß obendrein Talent haben und ausgezeichnet arbeiten. JFehlt eines davon, so kann er ein guter, mittlerer . Schauspieler werden, aber er wird nicht das sein, was Sie — hoffentlich — von sich verlangen: ein Künstler.

Eine solche- Persönlichkeit wird man nur, wenn man geistige Interessen hat; wenn man denken kann; wenn man einen Willen von sanfter Gewalt hat; wenn man gütig ist; und — darum treibe ich mich ja auf dem Seminar umher — wenn man auch beten kann.

Das Talent kann Ihnen niemand geben. Aber die Professoren versuchen, Ihre Anlagen aus dem Schutt der Alltäglichkeiten herauszuholen — falls solche da sind. Und mit diesem Talent müssen Sie wie mit einem Freund und einem Feind umgehen: Freund, weil diese Gabe Sie zur Treue verpflichtet; Feind, weil das Talent immer aus den Maßen springen will und sich in Routine verflachen möchte.

Arbeiter müssen Sie Ihr ganzes Leben lang sein. Haben Sie schon einmal über die Strapazen nachgedacht, die auf den Proben für Theater oder bei Filmaufnahmen von den Schauspielern verlangt werden? Es ist ein harter Beruf, den Sie sich wählten.

Machen Sie nicht den Einwand, daß ein „S t a r“ ganz anders lebe. Mit dem Startům fängt man nicht an. Das ist eine verfluchte Beigabe, die das Publikum zur Versuchung des Schauspielers und zu seinem Untergang erfunden hat. Sie können Vorbilder haben. Sie sollen sogar solche haben. Aber imitieren sollen Sie, weder das Bühnen- noch Privatleben Ihres Vorbildes.

Nun, Peter, bin ich zu Streng mit Ihnen? Ich habe aber nur eine Antwort auf Ihren Brief ge- geben — aut Ihre- Frage, wie Sie Ihre geahnte Berufung mit den Bedingungen dieses Berufes in Einklang bringen können. Wenn Sie jetzt wollen, können wir auch einmal darüber sprechen. Seien Sie fröhlich — das ist eine gute Medizin für Sie.

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