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Der Schrei gegen den Krieg — und gegen diesen Frieden

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Was war denn, außer daß sie keinen Paß hatte, die Schuld der Anna Prätorius aus Siebenbürgen, so daß 6ie schließlich nach Kriegsende als Nr. 303 in dem internationalen Konfinierungslager bei Triest landete — o nein: kein Konzentrationslager, man befriedet dort nicht mit Gas und MG, sondern, direkt human, mit Wasserstrahlen, und auch das nur bei Revolten. Dabei war es im Grunde gar keine richtige Revolte, sondern nur ein kleines solidarisches Tarnmanöverchen, eine Finte der Schicksalsgefährtinnen, die der jungen Witwe Anna Prätorius, besser: ihrem un- geborenen Kind, den Weg in die Freiheit öffnen sollte. Die Finte mißlingt, Nr. 303 stirbt daran, der anständige Lagerkommandant läßt nach der eiskalten Dusche heißen Tee kochen und ßtottert verlegen etwas von verwirrter Welt und trügerischer Freiheit daher. Sein neuer Brigadier aber tut ein übriges. Er tut das Wirkliche, das Wesentliche. Er bekennt sich, entgegen der Wahrheit, was Gott ihm verzeihen möge, zum Vater de6 schuldlosen neugeborenen Wurms, um ihm das Los de6 Findlingskindes zu ersparen. Die verbitterten, verhärteten Gesichter der Lagerfrauen streift sekundenlang eine unbestimmte, vage Freude und Hoffnung. Ein Strahl Liebe. Und der Brigadier wird vermutlich den Dienst liquidieren, er wird vorerst eine Ziege im Dorfe kaufen, eine Milchziege für den Wurm, und dann — ja, was dann, was dann?

„Frauen ohne Namen“, ein italienischer Film mit ungarischem Regisseur und intensivem französischen und italienischen Darstellerensemble, ist drei Jahre alt. Seine ätzende, aufrührerische Aktualität hat sich seither nicht verringert, seine höchste Rechtfertigung steht noch aus .., Man müßte ihn heute und morgen nicht den Frauen, sondern den Männern: dem Horst und dem Adolf, dem Johnny und dem Iwan, Tag und Nacht, Tag und Nacht vorführen; wenn nötig: mit Gewalt. Gewiß, es ist nicht alles, was in diesem Film geschieht und geredet wird, hieb- und stichfest Er doziert nicht kühl und diszipliniert, er schreit, ja er brüllt da und dort hysterisch auf: gegen die Männer, gegen die Waffenschimmemden, gegen die Lager, die Käfige; gegen die Dompteure — nicht die Bestien! Aber haben wir den Mut, von einem Film „Contenance“ zu fordern — in einer Welt, die au6 den Fugen ist und, nach wie vor, sieben Jahre nach der Ruhe der heißen Waffen, die Erde in Stacheldraht schlägt und die lebende Kreatur zur Nr. 303 erniedrigt, schändet und tötet?

Ein österreichischer Film aus Deutschland: „Das letzte Rezept.“ So weit 6ind wir nun. Mit Achtung und Anerkennung, aber auch mit Bitterkeit und giftig-gelbem Neid stellen wir fest: ein guter, ein 6ehr guter, ein ausgezeichneter Film. Mehr noch: ein zutiefst österreichischer Film. Denn die anspruchsvolle Fabel (eine morphiumsüchtige Künstlerin reitet ein junges Apothekerehepaar und den: alternden Arzt und Vater des Apothekers in eine Kette von Konflikten) ist förmlich eingepackt in jenes unnennbare, aber tausendfach spürbare Fluidum, das — vor 20 Jahren — noch den Weltruf des österreichischen Films ausmachte: Landschaft und Musik, Charme und Herz, schwebende Heiterkeit und tiefe, echte Tragik, Maskerade — Episode… Und dies mit österreichischen Drehbuchautoren, Künstlern, Sprache und Milieu! Eine deut-, sehe Produktion und ein deutscher Regisseur haben das Kunststück, das Meisterstück zustande gebracht. Bravo! Aber unser Herz blutet dabei, unser liebes, dumme6, ausverkauftes österreichisches Herz.

Doch „endet nicht mit Fluch der Sang“, Im Vorprogramm zu „Männer ohne Namen“‘ exerziert un6 ein Salzburger Filmpionier mit zwei tüchtigen Kameraleuten (und einer leider nicht den gleichen hohen Rang haltenden, aber sehr prominenten Sprechstimme) in dem Kulturfilm „Freude, schöner Götterfunken“ vor: was wir sind, was wir noch seto könnten, wenn wir — aber Ein, österreichischer Fe6tspielsommer 1951: Salzburg, Strobl, Bregenz, Graz. Ein Rausch von Schönheit, Grazie, Beschwingtheit, Geist und Weltweite. Ein prachtvoller Film. Hat sich die „österreichische Spitze“ auf den Kurzfilm, Kulturfilm zurückgezogen? Voila! Unterstützt, fördert, ermutigt ihre Märtyrer! Lieber Cäsar auf dem Dorf als Mauerblümchen in Cannes und Venedig!

Fast gelang es dem „Gelächter im Paradies“, den aufsehenerregenden jüngsten englischen Erfolgen im Lustspiel von Gehalt und Gestalt einen neuen folgen zu lassen. Aber es fehlt diesmal das gewisse Etwas, das Tüpfelchen auf dem i. Vielleicht hätte doch Sacha Guitry den Bombeneinfall (die sonderbaren Erlebnisse genarrter Erben eines Eulenspiegels) in die Klaue kriegen sollen? Wir hätten mehr, noch mehr geschmunzen dazu. Das ist hohes Lob — und Vorbehalt zugleich.

Am Rande vermerkt (zu dem in voller Wut entbrannten Wiener Plakatkrieg): der todernste Film „Frauen ohne Namen“ wirbt in seinem Plakat offenbar für die Badehöschen eines Vorstadtwarenhauses, und der charmante Salzburger Film „Das letzte Rezept“ im Stile eines Coyote-Revolverbüchels. Den Herren Propagandachefs und den Herren Gebrauchsgraphikern zweier hochachtbarer Wiener Verleihfirmen wird zu bedenken empfohlen, daß „Faust“ nicht unbedingt eine geballte Hand, sondern bisweilen auch den unendlich menschlichen, gescheiten und gütigen Gesetzesentwurf des Weimarischen Ministers Johann Wolfgang G darstellt.

Filmschau (Gutachten der Katholischen Filmkommissdon für Österreich), Nr. 16 und 17 vom 16. und 23. April 1952: II (für alle zulässig): „Der Sonnblick ruft“, „Das letzte Paradies“: III (für Erwachsene und reifere Jugend): „Reise ins Ungewisse“, „Gelächter dm Paradies“; IV (für Erwachsene): „Das letzte Rezept“, „Frauen ohne Namen“, „Captain China“: IVa (für Erwachsene mit Vorbehalt): „Karriere in Paris“: IVb (für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Endstation Sehnsucht“, „Der Herr der Silberminen“, „14 Jahre Sing Sing“, „Strafsache Thelma Jordon“.

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