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DER SCHWIERIGE

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Hofmannsthals Werk ist insofern eines der merkwürdigsten der neueren Literatur, als es autobiographischer Züge fast ganz entbehrt. Weder war der junge Hofmannsthal identisch mit dem melancholisch-müden und egozentrischen Claudio in „Der Tor und der Tod“, noch dürfen wir eine der vielen Abenteurergestalten und „Lebenskünstler“ aus den späteren Stücken mit ihrem Schöpfer gleichsetzen. Auch der vielbemühte Schwierige, Hans Karl Bühl, ist kein Selbstporträt — obwohl man konzedieren mag, daß Hofmannsthal dieser Figur einzelne, ihm selbst nicht ganz fremde Züge mitgegeben hatte. — Das zentrale Problem Karl Bühls, das der Sprache, des Sprechens und Sichmitteilens (durch das die meisten Konfusionen entstehen), hat zwar auch Hofmannsthal beschäftigt und in dem „Brief des Lord Chandos“ dichterische Gestaltung gefunden. Aber es war dies keine ihn als Dichter betreffende Schwierigkeit, für ihn, den Stefan George apostrophiert hat als „Erfinder rollenden Gesangs und sprühend gewandter Zwiegespräche“. Hofmannsthal durchlebte, um 1900, eine Lebens- und Schaffenskrise, aber diese hatte andere, tieferliegende Ursachen als die Sprache. Aber Hofmannsthal war auf andere Weise, obwohl mit Hans Karl nicht identisch, ein Schwieriger. Und ein echt österreichischer, spezifisch wienerischer dazu.

Er war es keineswegs als junger Mensch, als Gymnasiast und später als Student. In den Loris-Briefen sowie aus den Zeugnissen gleichaltriger Freunde tritt uns ein sehr natürlicher, weltläufiger und heiterer junger Mensch entgegen, der völlig frei ist von Sentimentalität und Jugendmelancholie. Das Hochartistische und Altkluge seiner formvollendeten frühen Verse steht in einem sehr merkwürdigen (und sehr reizvollen) Gegensatz zu der knabenhaften Heiterkeit eines auch körperlich keineswegs zarten Jungen, der reitet, ficht und Tennis spielt und allein oder mit Freunden anstrengende Wanderungen und Radtouren auf dem damals in Mode gekommenen Bicycle bis ins obere Italien unternimmt ...

An Schlagfertigkeit und geistvoller Bosheit fehlte es Loris freilich nicht. Noch als Schüler hörte er sich die Suada eines damals berühmten, aus dem Norden gekommenen Kritikers, Verteidigers der Naturalisten und Feind alles „Neuromantischen“, eine Weile an und fragte dann sehr artig und unschuldig dazwischen: „Sagen S', Herr Doktor, Sie reden so gescheit, warum schreiben S' dann lauter so dumme Saphena, r-i'Diej, Gunst„.eines anderen .^^ra^ur^yaltigen. ■ versohaczte-er irsich au£ LatozeitanH ebenfalls durch* eine Replik. Bei einem Spaziergang in größerer Gesellschaft wies der Kritiker auf den umgebenden Naturzauber und sagte: „Ist das nicht, wie Dante singt,..“ Er sprach aber nicht weiter, denn es kam trocken zurück: „Dante singt nicht!“ — Diese Anekdoten zeigen Hofmannsthals Empfindlichkeit gegen jederlei Phrase und poetisches Getue. Durch das Abschneiden solcher Dinge hat er viele verletzt

Ebenso groß war seine Empfindlichkeit gegenüber allem Unerwarteten und Gesellschaftlich-Beschwerlichen. Er haßte den Anspruch, der aus Ungebühr oder aus Mangel an Takt an ihn gestellt wurde und entzog sich diesem oft durch ein Wort von brüskem Sarkasmus, das dann von Mund zu Mund ging und seine Schuldenrechnung vergrößerte. Es ist bekannt, daß es ihn völlig aus dem Gleichgewicht brachte, wenn er zum Beispiel unvermutet von Freunden überfallen wurde. „Ich vergesse nicht den Ausbruch zorniger Verzweiflung, ja beinahe Raserei, durch den er uns einmal entsetzte, als einer seiner ältesten Bekannten sich telegraphisch für den selben Abend ansagte, während er ihn erst drei Tage später erwartet hatte, in einem solchen Grad verwirrte ihn das Unvorhergesehene“ (Jakob Wassermann). Dabei liebte und pflegte Hofmannsthal das Gespräch wie wenige seiner Zeitgenossen. Aber er bevorzugte das Beisammensein unter vier Augen oder im kleinsten Kreis — und er mußte sich auf den Besuch, der ihn dann oft reich beschenkt verließ, erst einstellen. Das gehörte zur Ökonomie seines Lebens und Schaffens.

Seine Sympathien waren bekannt und wurden viel beredet. Bei Künstlern, besonders jüngeren, die er schätzte, pflegte er „der Gute“ dem Namen voranzusetzen. Bei andern hieß es, als stehendes Epitheton ornans „dieser... de malheur“. Einen sehr erfolgreichen Romanautor, der seinerseits Hofmannsthal sehr verehrte und daher seine Gesellschaft suchte, mochte er nicht. Durch die fixe Idee, diesem ähnlich zu sehen, wurde seine Abneigung noch verstärkt. Auf ihn bezieht sich ein Stoßseufzer, der Holmannsthal entfuhr, als er während einer Reise ins nördliche Afrika zu Beginn des Jahres 1925 von einem militärischen Zwecken dienenden Aussichtsturm aus einen Blick in die Wüste tun konnte. „Wie schön“, sagte er ganz verzückt zu einem ihn begleitenden Bekannten. „Wie schön — und weit und breit kein S. Z.“

So geduldig und freundlich er gegenüber Hilfebedürftigen, die er seiner Unterstützung für wert hielt, sein konnte, so störrisch zeigte er sich andern gegenüber und machte daraus auch vis-ä-vis seinen Freunden kein Hehl. „Aufzwingen lasse ich mir niemanden“, war hier die Parole. Mehrfach bezeugt ist eine groteske Szene, die sich bei einem der großen Empfänge von Max Reinhardt in Schloß Leopoldskron abspielte. Einer wohlhabenden Dame der Gesellschaft, die auch künstlerischen Ehrgeiz hatte, gelang es, sich Hofmannsthals zu bemächtigen, ihn von den übrigen abzusondern und in einem abseits gelegenen Zimmer zu einer Unterredung zu zwingen. „Plötzlich bot sich“, so erzählte Marta Karlweis, „der in den glänzenden Sälen versammelten Menge ein sonderbares Schauspiel: Mit allen Zeichen ■chreckensvoller Verstörtheit stürzte Hofmannsthal vorwärts durch die Räume, wie blind, laut und durchdringend den Namen seiner Gattin rufend, die bestürzt herbeieilte und sich mit ihm in den Wagen und von dem Schloß, ja von dem Ort, wegbegeben mußte. Sie selbst berichtete zwischen Lachen und Ärger den absurden Auftritt. Er saß dabei, sah nicht auf, berührte ein paarmal seine Stirn mit den geschlossenen Fingerspitzen, stieß wiederholt den Atem durch die Nase und sagte nur: ,Ihr wißt nicht, wie ungeheuerlich die ordinäre Kraft des Bösen in der Frau gewesen ist.'“ Marta Karlweis berichtet und interpretiert: „Die geschwinde Schärfe, mit der er innerlich verneinen konnte, sowie die zornige Grundbeschaffenheit seiner Natur brachte es mit sich, daß er in späteren Jahren wiederholt und nur halb im Spaß versicherte, er habe sich entschlossen, ein .mürrischer Greis' zu werden. Dieses Wort .mürrisch' artikulierte er so mit Lust am Zermalmen, wie ein Knabe Nüsse aufbeißt. Als seine Kinder klein waren, ließ er sie davonlaufen mit der Weisung, gegen fremde Menschen nur recht mürrisch zu sein, ja recht mürrisch, damit nicht durch ihre Vermittlung allerhand Volk ins Haus gezogen käme, wie im Märchen .Schwan kleb an'. Ganz verstehen kann das Pittoreske solchen Auftrages nur, wer die vollkommene Höflichkeit des Auftraggebers gekannt hat.“

In der Tat war Hofmannsthals Rodauner Haus wohl eines der gastfreundlichsten Dichterheime, in welchem der Hausherr sein eigenes Zimmer und das geliebte, auf einer steilen Holztreppe zu erreichende Gartenhäuschen dem verwöhnten Gast zur Verfügung stellte. Hofmannsthal, der bereits im 55. Lebensjahr starb, wurde auch kein mürrischer Greis, sondern war, während seiner letzten Lebensjahre so, wie ihn der große deutsche Altphilologe Ludwig Curtius während eines Besuches bei seiner Tochter Christiane in Heidelberg geschildert hat: „Es war um ihn eine eigentümliche Sphäre der Stille gebreitet, inmitten derer er sich befand und aus der er wie aus einer Ferne mitten unter uns sprach. Er tat dies mit einer vorsichtigen Bedächtigkeit, die so sehr von Milde erfüllt war, daß er, seine Worte sorgsam wählend, jedem scharfen Ausdruck auswich. Mir fiel auf“, so erzählte Curtius, „daß, so viele Menschen und Ideen auch berührt wurden, er jedes verurteilende Wort vermied, um ja gerecht zu bleiben und alles Menschliche gelten zu lassen.“ So erfüllte sich, was der noch nicht Vierzigjährige einmal zu der völlig verblüfften, noch viel jüngeren Grete Wiesenthal sagte: Sie gingen gemeinsam in heiterem Gesprächen begriffen durch die Straßen Wiens, als Hofmannsthal plötzlich stehenblieb und, das Gespräch unterbrechend, zu der jungen Frau neben ihm bemerkte: „Nicht wahr, Greterl, wir beiden werden einmal heitere alte Leute sein?“

Zur Feier des 50. Geburtstages hatte Rudolf Borchardt mit den nächsten Freunden und einigen Wissenschaftlern von ■ RaRg eine Festschrift . vorbereitet. Rudolf Kassner,“ R: A. Schröder und Max JVJel}, Walter .Brecht und Jösei Nädler,' Leopold ,. von Ändrian, Thomas Mann und Karl Vossler waren unter den Beiträgern. Aber bereits der den ..Eranos“ — dies der Name der Unglücksschrift — einleitende „Brief“ Rudolf Borchardts erregte Hofmannsthals peinlichstes Befremden. Borchardt hatte, in der besten Absicht des leidenschaftlich Verehrenden, nicht nur in seinen Epitheta zu hoch gegriffen, sondern benützte die, wie ihm schien, passende Gelegenheit zu einer Abrechnung mit der Zeit und zu einer scharfen Abgrenzung gegenüber dem George-Kreis. Hofmannsthal bemerkt dazu (in einem Brief an Borchardt vom 4. Februar 1924): „In einzelnem ist Deine sonst so sichere Feder ein paarmal so ausgeglitten, daß ich es nur mit Überarbeitung und Übereilung mir erklären kann.“ Der Panegyriker habe einfach „den Mund zu voll genommen“ und mache ihn als Leser störrisch und unlustig. Auf eine Phrase Borchardts („die endliche Tuba der Geschichts- und Geisterwelt Habsburgs“) repliziert Hofmannsthal — und man hört förmlich seine zornig gereizte, hohe und sich überschlagende Stimme: „Ich bin keine Tuba, will auch keine sein, war nie eine und werde nie eine werden! Und schon gar keine endliche Tuba.“ Freilich entschuldigt er sich bald bei seinem Freund wegen dieser heftigen Kritik und bittet ihn, diese absurde Sache, die ihn für Tage und Wochen in halbe Verzweiflung gesetzt und dem physischen Erkranken nahe gebracht habe, auf sich beruhen zu lassen. Und der Schwierige fügt hinzu: „Laß dieses Rätsel in seinem Lichte; ganz vermögend es Dir aufzulösen, werde ich vielleicht nie sein...“

Die zuweilen heftige Art der Ablehnung, mit besonderem bezug auf Gespräche, die Hofmannsthal mit Hermann Bahr und anderen Literaten geführt hat, kommentiert Eduard Buschbeck folgendermaßen: „Die Strenge Hofmannsthals war mit Liebenswürdigkeit der äußeren Form gepaart, die unvergleichliche Anmut seines Gesprächs ließ kein Unbehagen aufkommen, und wenn er gerade ein künstlerisches Todesurteil ausgesprochen hatte, wußte er nachher lächelnd zu fragen, ob er denn nicht recht hätte. Die Schärfe seiner Formulierungen hob er damit nicht auf: Er gab eine bittere Pille zu schlucken und schien von einer naiven Freude durchdrungen, daß sie wunderbar süß geschmeckt haben mußte. Das Unbedingte der geistigen Haltung war von einer äußersten Verbindlichkeit seines menschlichen Umgangs begleitet.“

In einem Nachruf auf Hofmannsthal sucht auch Franz Werfel nach den Gründen und Ursachen für die „Schwierigkeit“ Hofmannsthals und kommt dabei der Wahrheit wohl sehr nahe. Der Dichter habe, so meint er, die Fremdheit seines Wesens mit hundert Dingen bemäntelt, die ihm dazu dienten, sein inneres Licht gegen die Welt abzublenden. Anderseits war die „Mattscheibe“ seines Körpers und Geistes, durch welche die Strahlen des Lebens in uns eindringen, krankhaft gelichtet: er besaß einen allzu ungenügenden Reizschutz. So wurde für ihn der Aufenthalt unter Menschen zur Riesenanstrengung. Wie viele sehr sensible Menschen war auch er „identifikationskrank“, das heißt, er spürte alles, was in den andern vorging, als eigenes Seelenereignis. Deshalb erschöpfte ihn der Verkehr mit Menschen so tief. Und deshalb war Hofmannsthal in den Augen und im Urteil seiner Zeitgenossen ein „Schwieriger“.

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