6692067-1962_42_01.jpg
Digital In Arbeit

Der Sieben-wöchige Krieg

Werbung
Werbung
Werbung

Allmählich wird es ernst. Auf den Plakatwänden machen die letzten Pal-mers-Mädchen den grimmigen, auf den Schilling niederfahrenden drei Pfeilen Platz. Dort, wo gestern noch OMO sich für die „milde Wäsche“ empfahl, prangt heute eines aus der soeben angelaufenen Kitschplakat-Serie der SPÖ (Mutter mit Kind, Großpapa mit Wellensittich usw.). Mit dieser „weichen Welle“ glaubt die zweite Regierungspartei anscheinend, den Geschmack des verschnulzten Normalkonsumenten am besten ansprechen zu können. Der FPÖ-Blinde lächelt seinen größeren SPÖ-Kollegen gerade dort an, wo vor noch nicht allzu langer Zeit eine international wohlrenommierte Firma ihre Haushaltsgeräte empfahl. Die Don-Kosäken aber haben sich angesichts der Plakat gewordenen Forderung „Kommunisten ins Parlament“ „abgesetzt“. Sicher ist sicher ... Mit anderen Worten: Herrn und Frau Österreicher wird an allen Ecken und Enden deutlich vor Augen gehalten, daß unser Land sich mitten in dem Sie-benwöchigen Krieg der Parteien um die Gunst des Wählers befindet.

Wie aber reagieren die Österreicher auf diese Herausforderung? Dem hektischen Getriebe in den Parteisekretaria reu steht ein beinahe lähmendes Desinteresse der Bevölkerung gegenüber. Es ist schon so, wie der kluge Beobachter der „Oberösterreichischen Nachrichten“ festgehalten hat:

„Vom Badeurlaub zurückgekehrt, denkt der Normal-Österreicher bereits an den Skiurlaub. Er denkt auch an Weihnachten und an die Geschenke, die er Tante Marie und dem kleinen Pepi machen wird. Er denkt überhaupt an vielerlei. Nur an eines denkt er kaum: an die bevorstehenden Wahlen.“

Und je lauter die Detonationen der abgefeuerten Böller und Knallfrösche werden, umso mehr Wachs stopft sich Seine Majestät, der Wähler, in die Ohren. Je greller die Schreckbilder und angesprochenen Farbreflexe, umso entschiedener wendet sich der Gast... Nur sind Herr und Frau Österreicher eben nicht Gäste, sondern für das Schicksal ihres Landes voll verantwortliche Staatsbürger.

Was ist aber eine Demokratie ohne Demos — ohne ein waches, über sein Schicksal wachendes Staatsvolk? Georges Bernanos' Warnruf gilt auch heute für uns. „Demokraten machen eine Demokratie. Bürger eine Republik. Eine Demokratie ohne Demokraten, eine Republik ohne Republikaner, und schon haben wir die Diktatur.“

Die Entwicklung ist unerfreulich. Sie birgt aber auch Gefahren, die, heute nicht erkannt, morgen oder übermorgen übermächtig werden können.

Gerade in der letzten Woche wurden wir daran erinnert, daß in einer Situation wie der unseren, wo ein Ringen um die Schalthebel staatlicher Macht sich angesichts einer in ihrer überwältigenden Mehrheit apolitischen, ja apathischen Bevölkerung vollzieht, kleinste Gruppen und Cliquen das Gesetz des Handelns an sich reißen können. Die großen, die starken, die mächtigen Parteien lassen sich dann gleichsam beim Nasenring nehmen und folgsam führen — wohin sie eigentlich nicht wollen. Das sind die wirklichen Lehren des Berndorfer Zwischenfalls. Die Sozialistische Partei wird sich hüten müssen, einer Verletzung des Gesetzes die Mauer zu machen, und der Österreichischen Volkspartei steht es gar nicht gut, statt die Masse der gutgesinnten Mitglieder des Kameradschaftsbundes schon längst von einer gefährlich engstirnigen Führung zu befreien, als „Schutzmacht“ von Leuten aufzutreten, die zwar mit Lippenbekenntnissen zur Republik Österreich nicht sparsam sind, in deren Augen aber der Kampf für die Freiheit dieses Landes „Verrat“ ist und deren Presseerzeugnisse die Meinung vertreten, die österreichische Unabhängigkeit diene nur den Interessen des Weltbolschewismus. Hier auch im Trubel des Wahlkampfes die Fronten unscharf werden zu lassen, könnte eine gefährliche Entwicklung der österreichischen Innenpolitik einleiten. Deshalb nocheinmal, und immer wieder: Den Anfängen widerstehen!

So gehen wir also durch die Wochen dieses Herbstes dem 18. November zu. „Wie wird ,Die Furche' sich im Wahlkampf verhalten?“ So wurden wir von Freunden und „Freunden“ gefragt. Die Antwort fällt nicht schwer. Eine von einer klaren weltanschaulichen Gesinnung getragene, freie kulturpolitische Wochenschrift wird die Bedeutung der Entscheidung vom 18. November nicht verniedlichen und die Fronten nicht vernebeln. Sie wird aber auch ihre Spalten nicht der Verhetzung leihen. Der Leser der „Furche“ — der Gleichgesinnte und der Andersdenkende — ist ein politisch mündiger, ein in seinem Wahlentscheid gefestigter Mensch. Er verwahrt sich gegen billige Propaganda. Wohl aber hat er das Bedürfnis nach Information, den Wunsch, inmitten einer sehr materiell orientierten Zeit und Gesellschaft auf eine feste geistige Position zu treffen. Mit ihr konfrontiert er dann seine eigene Meinung. An ihr rundet er seine Anschauung ab. Diesem Charakter unserer Leserschaft glauben wir in der Wahlzeit am besten zu entsprechen, wenn wir heute mit der Veröffentlichung einer Aufsatzfolge beginnen, in der ein unabhängiger katholischer Beobachter die „Vier Mann am Start“, unsere, von Splittergruppen abgesehen, „traditionellen“ vier um die Gunst des Wählers werbenden Parteien, einer kritischen Analyse unterzieht. Daneben aber werden wir nicht müde werden, eine Gefahr aufzuzeigen, die uns vielleicht die größte des 18. Novembers erscheint: die „Weiße Gefahr“. Die Gefahr des weißen Stimmzettels oder der Wahlenthaltung. Die Gefahr der politischen Gleichgültigkeit oder des Ekels an dem, was sich heute in Österreich als Politik präsentiert. Und ein Drittes: Kardinal König verabschiedete sich vor seiner Reise zum Konzil über Radio und Fernsehen mit folgender staatspolitischer Mahnung:

„Es ist nicht Sache der Kirche, in den Wahlkampf einzugreifen. Wohl aber darf ich an die gemeinsame Verantwortung für das allgemeine Wohl unseres Vaterlandes erinnern. Was immer bei diesen Wahlen zur Entscheidung steht — und es soll in der Demokratie offene und klare Entscheidungen geben — wir müssen uns immer vor Augen halten, daß das, was uns alle verbindet, viel mehr ist, als das, was uns in Tagesfragen trennen kann. Die Aufgaben, vor denen Österreich steht, werden in Zukunft nicht kleiner, sondern größer sein. Sie können auch in der Zukunft wie in der Vergangenheit nur durch das Zusammen* wirken aller politischen Kräfte dieses Landes gelöst werden. Diese Zusammenarbeit aber muß getragen werden von einem Geiste, der das Gemeinsame höher schätzt als das Trennende.“

Dieser „Wunsch und diese Bitte“ des Wiener Oberhirten ist ein guter Leitstern für ein Blatt, das es sich immer zur Ehre anrechnet, seinen Intentionen dienen zu dürfen. Mit der Beherzigung der Worte Kardinal Königs erfüllen wir aber auch nur gleichzeitig das Vermächtnis unseres Gründers, der seiner „Furche“ von allem Anfang die Aufgabe stellte, alles zu tun und alles zu lassen, damit nicht wieder, zum Unheil dieses Landes, eine tiefe, unüberbrückbare Kluft die eine Hälfte seiner Bürger von der anderen trenne.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung