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Der Sonntag ist verändert

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Ist es doch längst nicht mehr dieser eine Tag in der Woche, dem unsere Gefühle zufliegen, sondern es strahlt das Licht des Sonntags auch auf den Samstag, ja teilweise schon auf den Freitag über. Dabei handelt es sich nicht einfach um eine Zer-dehnung des Zeitbegriffes, die immer einer Fadisierung und Entleerung gleichkommt. Der Sonntag selbst ist verändert. Was hier astronomisch oder kalendermäßig ein Unsinn ist, hat mitten im Leben seinen tiefen Sinn. Dort sind Tage und Zeiten keine Abstraktion, sondern di'e jeweils erlebte Einheit unseres Daseins. Auf diesen organischen Grund nimmt jede dem Menschen zugekehrte Wahrheit Bedacht, ganz besonders auch die lebensmächtigen Wahrheiten unseres Glaubens. Man kann sich aber des Eindruckes nicht erwehren, daß die jur'disierende Verwaltung der höchsten Lebensquellen manche blutleere Gebilde geschaffen hat, die nicht mehr auf eigenen Füßen stehen, sondern nur mehr aufgehängt an der Schlinge der Paragraphen ihr karges Leben über dem drohenden Abgrund fristen. Damit sind und bleiben sie aber auch dem Leben entrückt. Und daher gehören schon ebenso lange, wie es das „verlängerte Wochenende“ gibt, auch die Reglementierungen der „Sonntagspflicht“. Noch ist und bleibt der Sonntag — und zwar auch als Erlebniseinheit! — im Gesetz vorgeschrieben als der astronomische Zeitraum „von Mitternacht zu Mitternacht“ (c. 1246). Wer soll nun hier auf die Dauer Recht behalten: das Gesetz oder die Freiheit? Wäre hier nicht — ganz im Sinne des „aggiornamento“ — ein Bekenntnis zur kulturellen Errungenschaft der vermehrten Freizeit fällig? Aber nicht um eine neue Bekenntnisformel geht es hier, sondern um ein echtes Zugehen auf den Menschen in der modernen Welt, eingedenk des uralten Axioms: sacrarnenta propter homines — die Sakramente sind für die Menschen da, wie der Sabbat beziehungsweise der Sonntag, nicht umgekehrt. Warum soll also der feiertäglich gestimmte Samstag nicht auch liturgisch zu einem gültigen Teil des Sonntags werden?

Damit sind wir dort, wo auch theologische Argumente am Platz sind. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um die juridische Frage, wieweit mit der Teilnahme an der Messe am Samstag der Sonntagspflicht Genüge getan werden kann. Das ist keine wesentliche Frage, weil die bloße Erfüllung des Gesetzes keine Heiligung ist — weder aktiv noch passiv. Nicht der Buchstabe ist gefragt, sondern der Geist! Nicht durch eine äußere Legalisierung des Samstags wird der Sonntag gerettet, sondern allein durch eine vollständigere Begründung des Sonntagsgebotes, die auch die Situation des heutigen Menschen, dessen Bedürfnisse und Möglichkeiten einbezieht (vgl. Liturgiekonstitution Nr. 106). Dazu seien hier zwei Wege gezeigt:

1. Der Weg der Entstehung des Sonntags. In allmählicher Absetzung vom Sabbat ist der „achte Tag“ zum selbständigen Träger des Gottesdienstes geworden. Die Apostel haben den Sabbat weder ausdrücklich abgeschafft noch die bald überwiegenden Heidenchristen zur Haltung des Sabbatgebotes verpflichtet. Daher auch die Zählung des Sonntages als des ersten oder achten Tages je nach christlichem oder jüdischem Standpunkt. Gleichwohl legen einige Bemerkungen im Neuen Testament die Feier des Sonntages nahe. Erst mit dem Siege des Christentums wird in der konstantinischen Zeit (321) die Sonntagsruhe eingehend geregelt. Das entscheidende Merkmal aber bleibt die Teilnahme an der Eucharistie.

2. Wichtiger als der Blick in die Vergangenheit ist die Würdigung des eschatologischen, der Endzeit zugehörigen Elementes der Sonntagsheiligung. Hier knüpfen wir an das an, was wir einleitend zum Tag des Herrn als Wegweiser mit zwei Armen sagten: Er ist nicht nur Denkmal vergangener Heüstaten. sondern Vorzeichen, nicht nur Wiederholung, sondern Vorausnahme und kennzeichnet gerade so die Situation des Volkes Gottes, das nicht am Ziel ist, sondern auf dem Weg, noch nicht beim Herrn, sondern in Erwartung des Tages des Herrn, mit aller zeitlichen und räumlichen Belastung, die daraus folgen. Auch der Sonntag deckt sich nicht mit dem eigentlichen „Tag des Herrn“, sondern ist ein Vorläufer von ihm, zugleich mehr und weniger. Mehr: denn er hat die aus der Auferstehung des Herrn realisierte Hoffnung und Erwartung noch voll auf seiner Seite; weniger: denn er schaut noch nicht die unverhüllte Herrlichkeit Gottes und der Erlösten. Dieser Zwischenzustand gebietet Wachsamkeit, begründet die Vigilien, in denen der Festtag erwartet wird. Die heiligen Nächte vor dem lichten Festtag blieben uns heute noch: Weihnacht, Osternacht. Und hier muß die entscheidende Überlegung hinzugefügt werden: Ist es nicht von daher auch begründet, daß wir in den eschatologischen Gehalt des Sonntags auch jenen Tag einbeziehen, der erlebnismäßig mit ihm fast schon eine Einheit bildet (und selbst wenn dies nicht der Fall wäre, müßte es gelten!): den Samstag? Durch seine Stellung „vor“ dem Sonntag vermag er die Hinordnung auf den vollen Tag des Herrn, auf die Parusie, noch besonders zu akzentuieren. Sicher kann der Samstag ohne diese Funktion des Vorzeichens, die er gegenüber dem Tag des Herrn hat, weder theologisch noch erlebnismäßig genügend umschrieben werden. Und soll die Möglichkeit erwogen werden, wie weit auch rituell der Sonntag ausgedehnt werden kann, muß diese funktionelle Stellung mitgesehen werden.

Hier geht es also nicht um die Verlegung der Sonntagspflicht, sondern um die liturgische Einholung des Samstages, der als Vorstufe zum Tag des Herrn ein eschatologisches Vorzeichen se^v, in den neuen Lebensrhythmus. Zwar wird der Samstag — nach der endgültigen „Überwindung“ des Sabbates — in seiner ursprünglichen Bedeutung als Zeichen des Heiles, der Ruhe, des Gottesfriedens kaum mehr gesehen, doch vermag gerade die wachsende Einheit mit dem Sonntag seinen alten Glanz wieder ahnen zu lassen. Darüber hinaus wird er im Licht des Neuen Testamentes in seinem Sinn neu erhellt. Die heutigen Lebensund Arbeitsweisen bringen es mit sich, daß man seiner auch kirchlich wieder liebevoller gedenken kann und das Volk Gottes von ihm aus offiziell, liturgisch den „Tag des Herrn“ — als Sonntag wie als Tag der Parusie — im voraus feiern darf. Die vorweggenommene Begehung des Herrentages hat also auch tiefen theologischen Sinn und nicht nur — was bisher oft als einziges Argument angeführt wurde — praktische Bedeutung. Die Gründe für die Vorverlegung der Möglichkeit, den Sonntag liturgisch zu heiligen, dürfen nicht allein den neuen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Verhältnissen entnommen werden. Das wäre reiner Pragmatismus. Bei ihnen handelt es sich um wichtige auslösende Faktoren, ebenso wie die konstantinische Regelung von außen her auf den Sonntag einwirkte. Für einige Diözesen Argentiniens, Israels, der Schweiz und Italiens wurde bereits das Recht der gültigen Vorverlegung gewährt, der theologische Grund scheint aber auch für sie erst entdeckt werden zu müssen. Die Katholische Studierende Jugend (KSJ) stellte einen „Antrag an die österreichischen Bischöfe“, auch für ihre Diözesen diese Erlaubnis zu erwirken. Die Gründe, die einleuchtend sind, aber rein praktischer Natur, werden möglichst vollzählig aufgeführt, hinter allem wohlgeordneten „Beweismaterial“ ist aber der alles sammelnde Grund noch verborgen.

Von ihm her bekommt die rituelle Anordnung erst kerygmatische Bedeutung, die juridische Weisung ihren Glaubenssinn: Verkündigung des Zukünftigen, der Vollendung, des Heiles. Das Paschamysterium wird begangen, bis Christus wiederkommt. Das Stehen „vor dem Tag des Herrn“ ist ganz besonders dem Sonntag als eschatologisches Moment eigen, es kann aber durch den mit ihm in erlebter Einheit stehenden Samstag noch deutlicher akzentuiert werden. So gilt es nicht nur, das Gesetz zu ändern, sondern zurückzugehen auf den Grund, der zugleich uns weit vorausliegt: der unverhüllte Tag des Herrn.

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