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Der Staat Gottes

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Die „Burg“ bringt als österreichisdie Uraufführung Fritz Hochwälders Schauspiel „Das heilige Experiment“. Hochwälder, der vor 1938 bereits in dem strebsamen kleinen „Theater der 49“ in Wien aufschien, ist jenen Weg gegangen, auf dem ein Österreicher hoffen darf, in der Heimat Anerkennung zu finden: Nach Erfolgen in der Schweiz, in England, Frankreich und den Vereinigten Staaten kehrt er nun in der „Burg“ heim. Mit. einem Stück, dessen Stärke in der Größe des Themas und in der Meisterung dieses Themas durch den Autor liegt. „Das heilige Experiment“ spielt an einem Tage, am 16. Juli 1767, und schildert zusammengedrängt auf wenige entsdieidende Stunden Größe, Tragik und Untergang des Jesuitenstaates Paraguay.

Die geschichtlichen Grundlagen: Die weltumfassenden Erfolge der jesuitischen Mission im 16. bis 18. Jahrhundert, beruhen auf einer bis dahin in der Christenheit unbekannten Durchführung des pauli-nischen Grundsatzes: „Allen, alles sein“. Die Jesuiten vertieften sich in Sprache und Gesittung, Kultur und Wesensart der Chinesen und Japaner, Inder, Neger und Indianer und hatten • mit ihrer, Klugheit und Liebe, verbindenden Art unerhörte Erfolge. Jesuiten spielten eine führende Rolle am Hof des Kaisers *Kang-hi in China, in den Religionsgesprächen am Hof Akbars des Großen, des Urenkels Timur Lenks in Indien, im New York der Gründerjahre, bei Huronen in Kanada und den Indianerstämmen von Mexiko bis Brasilien. Sie lebten als Ärzte und Schauspieler, als Soldaten und Diplomaten, als Gelehrte und Künstler, als Arbeiter und Ingenieure, als Farmer und Indianerhäuptlinge; und sie starben als Christen: Am Marterpfahl der Irokesen, kopfabwärts gekreuzigt in Japan, verbrannt, in Kerkern hinsiechend, an vielen Orten der weiten Erde ...

Im Rahmen dieser weltweiten Tätigkeit will „Das heilige Experiment“, der Jesuitenstaat in Paraguay, gesehen werden, den kein anderer als Voltaire als einen „Triumph der Menschlidikeit“ bezeichnet ha: — ein Name, den unseres Wissens kein anderer Staat der Erde bisher erworben hat. Die Geschichte der Eroberung Amerikas ist die Geschichte eines europäischen Sündenfalles erster Ordnung. Weder die Mahnungen des großen Bischofs von Chuzko Las Casas, noch die zahlreichen Predigten von Missionaren aller europäischen Zungen haben es vermocht, die Europäer, die Christen abzuhalten, die eingeborene Bevölkerung der beiden Amerika rücksichtslos zu versklaven, in Bergwerken und Plantagenbetrieben aufzubrauchen, bis „Ersatz“ in der Form von Negersklaven kam. . Ein eigenartiger blutfahler Glanz fällt von Amerika, Afrika und Indien atrf das Spiegelglas der Sdilösser und Paläste, in den Kerzenschimmer der höfischen Gesellschaft, die sich, zwischen Menuett und italienischer Oper, mit Leibniz über die „beste aller Welten“ zu unterhalten pflegte...

Die Spanier und Portugiesen hatten in Südamerika ein Kolonialreich im Stil der „Gründerjahre“ aufgebaut, Grundbesitzer und Großhändler waren die Stützen dieser Reiche. „Arbeitskraft“ lieferten die Indios, die in Jagden zu vielen Tausenden eingefangen wurden. Zentrum des Sklavenmarktes war Rio de Janeiro; die biederen spanischen Bürger der südamerikanischen Kolonialstädte zogen in regelmäßigen Zeitabständen zur Menschenjagd aus. Da dieses „Menschenmaterial“ durch unsachgemäße Behandlung sehr schnell verdarb, griff man bald zum Import von Negersklaven aus Afrika. Der südamerikanische Hafen Carta-gena wurde zum Hauptumschlagplätz dieser Ware; hier machte sich nun bereits ein Jesuit unliebsam bemerkbar. Petrus Claver setzt es durch, daß die aus Afrika ankommenden Sklavenherden ihm eine Zeitlang zur Glaubensunterweisung übergeben werden — ein sdiwerer Ausfall an Gewinn für Händler, Kaufleute, Grundbesitzer! Der spanisdie Staat, der Hof von Madrid, braucht immer mehr Geld — Gold. Um ihre kolonialen Steuerzahler zu stärken, errichtet dieser Staat „Kommenden“: er schenkt spanischen Grundbesitzern staatliche Grundstücke mit zugehörigen Arbeitskräften; diese kommendierten Indios waren also Sklaven, die vom Staat den spanischen Herren zugewiesen wurden. Gegen diese Kommendierte'nwirtschaft richtet sich nun der Kampf der Jesuiten: Die Seelen der hier robotenden Indios waren mit ihren Leibern, die hier verdarben, für das Christentum verloren. Pater Anchieta, der einen großart'igen Versuch unternahm, die verschiedenen Dialekte der südamerikanischen Sprachen zu einer indianischen Gemeinsprache zusammenzufassen — ein Werk von großer kulturpolitischer Bedeutung —, scheute sich nicht, durch „seine“ Indios ein von ihm selbst verfaßts Versdrama aufführen zu lassen, in dem der Sklavenhandel und die Laster der Kolonisten sehr offenherzig dargestellt wurden. Für Spanier und Jesuiten war also kein Raum in einem Ort: Die Kolonisten wollten die Leiber, die Jesuiten die Seelen der Indianer. Da die blutige Erfahrung aber zeigte, daß in den versklavten, zerschundenen Körpern die Seele nicht gedeihen wollte, entschlossen sich die Jesuiten zur völligen Absonderung von der Welt der Weißen. Die Väter zogen mit ihren Booten die großen Ströme des Landes immer stromaufwärts, dann legten sie an und begannen ihr Missionswerk. Aus einigen Familien von Guarani-Indianern am Parana entstand ein Staat, der sich allmählich auf beiden Seiten des Uruguay-flussei ausdehnte und schließlich große Teile des heutigen Brasilien, von Bolivien, Paraguay, Uruguay, Chile und Argentinien umfaßte. Von dem. stets geldbedürftigen Philipp III. erhielten sie ein Patent, welches ihnen gegen Anerkennung der Oberhoheit der spanisdien Krone und Entrichtung einer jährlichen Kopfsteuer erlaubte, völlig abgesondert von den Weißen ihre Reduktionen aufzubauen, den ersten kommunistischen Staat vor der UdSSR — auf der Grundlage des Glaubens und der christlichen Moral! Ein Bundesstaat, bestehend aus einzelnen Reduktionen, in sich geschlossenen Großsiedlungen, die ' nur für Krieg und Außenhandel gemeinsame Bindungen eingehen. Die Reduktion lebt von Landwirtschaft und Industrie; der Großteil des Landes gehört als „Gottesacker“ der indianischen Gemeinschaft, daneben besitzt der einzelne als Privateigentum seine „Abamba“, den „Acker des Mannes“. Achtstundentag; drei Tage muß für den Gottesacker, die übrige Zeit kann auf dem eigenen Gut gearbeitet werden. Arbeitspflicht für alle. Die Kinder, welche bis zum 17. Jahr einem Jugendmeister unterstehen, dürfen sich ihren Beruf selbst wählen. Es gibt Industrie (Weberei, Schmiede- und Kunsthandwerk), die in Gewerkschaften mit eingeborenen Funktionären organisiert ist. Die Früchte und industriellen Erträgnisse des Landes werden in großen Speichern gesammelt und dann an die einzelnen Familien ausgegeben. Es gibt kein Geld, nur Tausch. Das Leben vergleitet in Musik: Um 5 Uhr morgens zieht die Dorfgemeinde mit Musik zum Gottesdienst, Musikkapellen begleiten sie zur Arbeit, holen sie vom Felde, zum Feierabend heim. Die Jesuiten hatten nämlich sehr bald erkannt, daß die Musik für die an sich arbeitsscheuen, aber musikalisch hochbegabten Indianer ein unentbehrliches Stimulans bedeutet. Die Indios singen große Chöre, jedes Dorf hat seine Musikkapelle; deutsche Tänze und Märsche, Teile aus italienischen Opern werden gespielt. Vor allem aber lieben sie großartige Feste.

Schau- und Prunkzüge, athletische Wettkämpfe, Theater . und kriegerische Spiele! Dieser Idealstaat, der 150 Jahre bestand und 150.000 Indios vereinigte, wird von rund 100 Jesuiten geführt. In jeder Reduktion, die mehrere tausend Indios umfaßt, sind zwei Jesuiten als Priester, Ärzte, Lehrer, Aufseher — und militärische Führer tätig. Ja„ dieser Staat hat ein Heer von 30.000 Mann. Dies Privileg hatten die Jesuiten vom spanischen König erhalten, da die Kolonisten durcfi bewaffnete Banden von „Mameluken“ die Indianer der Reduktionen wegschleppten. Anfang des 18. Jahrhunderts hatten ,sie so 60.000 Menschen für ihren „Arbeitseinsatz“ rekrutiert. Um dies zu verhindern, hatten die Jesuiten ein Heer aufgestellt, das sich in. zahlreichen Kämpfen tapfer bewährt: Als Hilfstruppe der Spanier gegen die Portugiesen — so fallen in einem Feldzug 600 Indios mit einem deutschen Pater an der Spitze — und auch im Kampf gegen die Spanier selbst.

Militia Dei: Das Heer zeigt das Kreuz auf: Läßt sich das Reich Gottes auf Erden mit Feuer und Schwert erkämpfen oder auch nur verteidigen?

Die spanischen und portugiesischen Kolonisten schäumen yor Wut gegen den Jesuiten-staat: Ihre Sklaven entlaufen ihnen in die Freiheit Paraguays, ihr Handel geht zurück, da der von den Jesuiten gezüchtete Tee jede Konkurrenz schlägt. In Lissabon und Madrid häufen sich die Anklagen: Der jesuitische Staat rebelliere gegen die Kronen Europas — man fabelt von einem König Nikolaus von Paraguay — er unterdrücke und versklave die Eingeborenen. Dann handfester: Dieser Staat besitze geheime Gold- und Silberbergwerke, unterschlage dadurch die Steuern, und unterbinde den Handel der Kolonisten.

Inzwischen ist auch in Europa das Gewitter über den Orden zur Entladung gekommen. 1759 wird er in Portugal, 1766 in Spanien verboten, ein Jahr später löst die spanische Regierung den Jesuitenstaat auf,

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In die Szenerie eines Tages ballt Hochwälder das Problem der Jahrtausende zusammen: Kann das Reich Christi durch einen irdischen Staat verwirklicht werden? Fer-nandez, der Provinzial des Ordens und seine Patres glauben bis zum letzten Augenblick, daß ihr Staat berufen ist, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit den unterdrückten Indios zu bringen. Sollen, dürfen, können die Väter der Gesellschaft Jesu 150.000 Menschen der Raffsucht und Beutegier der spanischen Kapitalisten ausliefern? Ist ihr Staat nicht der Staat Gottes, das Reich Gottes auf Erden? Erst mit der Todwunde im _ Herzen durchschaut Fernandez die Versuchung seines Lebens: In der Maske Christi ist der Antichrist erschienen. Der Christus seiner Indios ist ein mächtiger glanzvoller Herr, der den Seinen ein sattfrohes genießerisches Leben auf Erden gibt. Da reißt der Provinzial die Karte seines Staates von der Wand Er löscht diesen selbst aus. Die Jesuiten, welche bereits zu den Waffen gegen die Spanier gegriffen hatten, ergeben sich — sie übergeben ihre Menschen, Länder, Hab und Gut den Verbrechern und gehen in die Gefangenschaft. Was bleibt? Ein Fetzen der Landkarte ist hängengeblieben: das Bild des Franz Xaver mit dem blutenden Herzen in der Hand — und dies bleibt in der Weltgeschichte: Immer wieder wird der Christ hinausziehen, um den Unterdrückten dieser Erde das Wort vom Reiche Gottes zu verkünden ... Neben Franz hängt mächtig, riesengroß der Leib des Herrn: er trägt eine Krone auf seinem Haupt — Zeichen der Weltherrschaft — sein Körper aber blutet hier weiter aus tausend Wunden .., ,

Der moderne Mensch wird unwillig: Warum sind die Jesuiten nicht dem Willen ihres Waffenmeisters, des P. Oros gefolgt, der Lossage von Spanien, Kampf bis zum Letzten, Erbauung eines eigenen Staates wollte? Hätte ein solcher nicht der Menschheit mehr genützt, nachdem er bisher, was selbst Todfeinde des Ordens bestätigen, der einzige Idealstaat der Welt war? Dieser Staat besaß eine so starke Anziehungskraft auf seine Umgebung, so daß im Laufe weniger Jahre die 150.000 Indios sich vervielfacht hätten ... Eine neue Welt wäre entstanden ...

Die Geschichte kennt ein Gegenbeispiel: 1525 säkularisierte Albrecht von Brandenburg, der letzte Großmeister seines Ordens, den Deutschen Orden und schuf einen „eigenen Staat“: Preußen.

Der Mann an die Frau

Du gleichst der Erde, Ich dem Baum, der lest in ihr verwurzelt steht. Du spürst die Macht des Sturmes kaum, der hart durch meine Krone weht.

Du fühlst den Frost der Sternje nicht, kennst nicht das große Einsamsein — dir leuchtet Gottes müdes Licht wie Sonnenglan? und Mondenschein. .

Du segnest wie die Heimat mich, gibst meinem Wachstum Kraft und Sinn: -

Ich aber streue über dich die Blüten meiner Zweige hin.

Oskar Lad statter, St. Jakob in Deffereggen

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