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Der Student an der Hochschule

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Im Herzen Schwedens liegt fernab von jeder anderen menschlichen Siedlung die Schule Lund sb er g mit ihrem Kirchlein, umgeben von weiten Wäldern und dunkelblauen Seen. 250 Studenten und Professoren, meist Angehörige der evangelischen Kirchen der verschiedensten Länder und Kontinente, trafen sich dort zu einer Tagung des Christlichen Studentenweltbundes, um in der Stille des schwedischen Spätsommers die Aufgaben des christlichen Studenten auf der Universität festzulegen.

Es war erschütternd und zugleich für uns Österreicher etwas beruhigend, von der ganzen Erde das gleidie Bild zu sehen, sei es von China, Holland oder von uns. Erschütternd, weil mit einem Schlage die Weltweite der Zerrüttung und des Zerfalls klar wurde, und doch beruhigend, weil nicht nur wir und das deutsche Volk allein inmitten einer Welt von Gerechten in solche Tiefen gefallen sind. Die alte Ordnung ist tot, eine neue wird unter Schmerzen geboren und niemand vermag zu sagen, ob sie gut oder schlecht sein wird. Dieser Zustand der Ungewißheit läßt deutlich zwei Folgeerscheinungen erkennen: auf der einen Seite den Verlust jedes Glaubens, der jene geistige Leere nach sich zieht, der wir heute auf Sdiritt und Tritt begegnen, und andererseits das Wiederaufleben alter und neuer Ideologien und Glaubensrichtungen, die die innere Kraft religiöser Bewegungen ausmachen.

In dieser Welt steht nun die Universität als Opfer ihrer eigenen Schwäche, aufgebaut auf liberalem Rationalismus oder analytischem Materialismus, während sie in gänzlich nnzusammenhängende Teile zerfallen ist. Der alte Sinn der „universitas litterarum et scientiarum“ ist verlorengegangen und die Hochschule damit in Gefahr, zu einem Polytechnikum zu werden, das nur Fachwissen, aber keine Allgemeinbildung mehr zu vermitteln imstande ist. Heute schon werden auf den heutigen Hochschulen keine wirklichen Lebensfragen mehr besprochen.

Es war interessant, von Vertretern verschiedener Länder • zu hören, daß dort genau wie bei uns zumeist zwei Gruppen von Studenten auffallen. Zunächst der eifrige Streber, der mit Scheukkppen vor den Äugen nur seinen Semestern nachlauft, ohne zu -wissen, daß es daneben und darüber hinaus noch andere Dinge gibt; er will sobald als möglich sein Studium beenden, um vermeintlich oder tatsächlich verlorene Zeit wieder hereinzubringen. Daneben der andere Typus, der inskribiert, um irgend etwas zu tun — auf österreichische Verhältnisse übertragen, um Beschäftigungsausweis und Zusatzkarte zu erhalten —, vielleicht nur, weil cj eben zum guten Ton gehört, einmal in möglichst ferner Zeit einen akademischen Grad zu erwerben.

Die Folgen davon sin* schwerwiegend genug: ein Kontakt zwischen diesen Studenten und Professoren besteht nicht mehr. Überdies haben Glaube und Religion keinen Platz mehr auf der Universität, die vorgibt, neutral zu sein, es aber in Wirklichkeit nicht ist. Man meint vielfach, daß der christliche Glaube vom wissenschaftlichen Standpunkt aus nicht mehr annehmbar sei, so daß die Atmosphäre unchristlich, wenn nicht sogar antichristlich erscheint. Und auch wir selbst, die wir uns als Christen fühlen, neigen oft dazu, zwischen Glauben, Studium und Politik zu trennen, eine Tatsache, die von der heutigen Universität eher unterstützt, als abgelehnt wird. Dies ist um so erschütternder, als doch die Universität der Ort ist, an dem Generationen — vertreten durch Professoren und Studenten — einander begegnen und wo die Möglichkeit eines internationalen Sichkennenlernens und einer Verständigung der einzelnen Disziplinen, wie wohl kaum später, gegeben ist.

Man war sich in Lundsberg völlig klar darüber, daß ein Eingreifen vom Standpunkt der christlichen Verantwortung aus geboten ist. Es zeigt sich also die Aufgabe, das Evangelium in die Hochschule hineinzutragen, ein wahres Christentum vorzuleben. Der erste Schritt besteh? darin, den christlichen Glauben in seiner ganzen Fülle zu erfassen und ihn dann den anderen mitzuteilen. Jeder, der schon einmal einen solchen Versuch unternommen hat, wird wissen, wie leicht gesagt und schwer getan das ist. Wir müssen uns darüber klar werden, daß wir für unsere Umgebung verantwortlich sind. Dabei ist es leicht verständlich, daß die Möglichkeiten einer solchen Missionsarbeit in anderen Ländern größer sind, weil zum Beispiel in den Vereinigten Staaten die Studenten in gemeinsamen Heimen leben und damit von vorneherein einen engeren Kontakt miteinander haben. Auf der anderen Seite muß man aber auch sagen, daß gerade wir in Österreich durdi das Erlebnis der vergangenen Jahre für viele Fragen weit aufgeschlossener sind als die Hochschüler von manchen Staaten, an denen der Krieg vorbeigegangen ist.

Weil das Christentum nicht ohne Gemeinschaft bestehen kann, ist die Bildung von christlichen Studentenbewegungen unerläßlich, und es ist bezeichnend, daß in Österreich und Deutschland — auch auf katholischer Seite — Studentengemeinden entstanden sind, die ihre Aufgabe darin sehen, die sonst Unerreichbaren und Außenstehenden zur Kirche zu führen. Sie sollen in Verbindung mit dem Universitätsleben sein, denn die Gefahr einer Studentengemeinde liegt darin, sidi aus dem Sturm und Lärm der Welt auf eine stille Insel zurückzuziehen und Erbauungsstunden für Akademiker zu halten. Wer • den Missionsbefehl ernst nimmt, hat für die Fragen dieser Welt offen zu sein. So muß also eine christliche Stu-, dentenbewegung eine zielvolle Gemeinschaft sein, die den Studenten in ihrer Gesamtheit dient, indem sie die Kluft zwischen den Fakultäten überbrückt und so die alte „uni-versitas“ wieder erweckt, die Verbindung zwischen Studenten und Professoren wieder herstellt und Verständnis für die Unterschiede der Bekenntnisse, Rassen, Volksschichten und politischen Einstellungen durch die Verkündigung des Evangeliums schafft.

Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, wurde besonders auf den Mittelpunkt jeder christlichen Studentenbewegung, die Bibelarbeit, hingewiesen. Darüber hinaus hat zum Beispiel die Evangelische Studentengemeinde in Österreich kleine Gruppen gebildet, die sich aus Vertretern aller Fakultäten zusammensetzen und zu den Tagesfragen, der Kunst und Literatur von heute, von christlicher Seite her Stellung nehmen. Diese Arbeitsgemeinschaften liefern die Themen für offene Abende und Wochenendlager, zu denen man auch nichtdiristliche Studenten und Professoren einlädt, um auf diese Art unsere Botschaft an sie heranzutragen. Diese „Weekends“ bilden in anderen

Landern einen wesentlichen Bestandteil der Missionstätigkeit der christlichen Studentenbewegungen, denn sie bieten eine weitaus größere Möglichkeit einer persönlichen Fühlungnahme als Vorträge, und gerade auf das gegenseitige Verstehen und Kennenlernen kommt es an. Es gilt 'die große Masse der teilnahmslos Abseitsstehenden aufzurütteln und erst zu Fragenden und Suchenden zu machen.

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