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Der Tempel der Verstoßenen

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Ein buddhistischer Mönch hat sein Kloster für Aids-Kranke geöffnet und hilft ihnen, in Frieden zu sterben.

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Ein buddhistischer Mönch hat sein Kloster für Aids-Kranke geöffnet und hilft ihnen, in Frieden zu sterben.

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Türkisfarbene kleine Bungalows reihen sich hinter blumengeschmückten Gärtchen aneinander, auf dem Sportplatz spielen junge Männer Ball, am kleinen Kiosk daneben gibt es kühle Drinks. Die Anlage am Fuß einer grünen Hügelkette außerhalb ” der Provinzhauptstadt Lopburi, 150 Kilometer nördlich von Bangkok, könnte man auf den ersten Blick fast mit einem Feriendorf verwechseln. Nur das Krematorium gleich am Eingang und die überall herumstehenden orangen Särge erinnern daran, daß die Menschen nicht hierher kommen-, um Urlaub zu machen, sondern um zu sterben. Etwa 200 Aids-Kranke aus allen Regionen Thailands haben hier ihre letzte Zuflucht gefunden. Die kleine Ket Sarin, die inmitten von Teddybären und Plüschtieren in ihrem Bett sitzt, ist mit ihren sechs Monaten die jüngste Patientin. Ihre Mutter starb vor wenigen Wochen, der Vater bereits vor einem halben Jahr.

Vor fünf Jahren trifft der buddhistische Mönch Alongkot, der Abt des Klosters Phrabatnampu, die ersten Aids-Kranken in Bangkok. Sie liegen von den Ärzten und Krankenschwestern gemieden und vernachlässigt in einem Krankenhaus. Auch die Angehörigen besuchen sie nicht. Ein Patient stirbt weinend in seinen Armen. So oft er die Verstoßenen besucht, stirbt einer der Patienten. „So begann ich zu verstehen”, erklärt Abt Alongkot mit ruhiger Stimme, „daß die Patienten, die dem Tode nahe sind, in meinen Armen in Frieden sterben können. So als wären ihre Eltern oder Freunde dabei”. Er nimmt die ersten Kranken mit in sein Kloster, um sie besser betreuen zu können, aber seine Mitbrüder fürchten sich und laufen davon. So pflegt Abt Alongkot die ersten sieben Patienten eigenhändig, wäscht, verarztet und füttert sie, meditiert und spricht mit ihnen und hilft ihnen, friedvoll zu sterben.

Modellprojekt

Auch die Leute aus dem nahen Dorf begegnen ihren neuen Nachbarn mit Feindschaft und wollen mit den „schlechten Menschen” nichts zu tun haben. Erst nach einem Jahr schwindet das Mißtrauen und die Angst der Dorfbevölkerung. Die Leute kommen wieder ins Kloster, spenden Nahrungsmittel und Geld. Einige beginnen, kleine Häuser für die Patienten zu bauen; die in immer größerer Zahl zum Kloster kommen. Nach und nach wird Wat Phrabatnampu zum größten Aids-Hospiz Thailands und gilt heute landesweit als Modellprojekt.

Über 800.000 der 60 Millionen Thais sind HIV-positiv. Mit zirka zwei Prozent Infizierten in der Altersgruppe zwischen 15 und 49 nimmt Thailand eine Spitzenposition in Asien ein. 1995 starben 50.000 Thais an den Folgen der Immunschwäche. Um die Jahrtausend wende wird Aids in Thailand Todesursache Nummer eins sein. In Südostasien wird es dann mehr Menschen mit der Immunschwächekrankheit geben als in Afrika.

4.000 Personen stehen auf der Warteliste von Wat Phrabatnampu, dabei wird hier niemandem Heilung versprochen. Pra Alongkot weiß, daß er den Körper der Patienten nicht heilen kann, aber er versucht, ihnen zu helfen,, psychisch mit ihrer Situation fertig zu werden. Die Meditation sei das wichtigste für die Patienten, ist der 43jährige Abt überzeugt, denn sie verhilft zu einem starken und ruhigen Geist und gibt den Kranken die Möglichkeit, ihre Gefühle und ihre Gedanken zu kontrollieren. Der Tod sei das gemeinsame Ziel unseres 1-ebens, lehrt er alle Kranken. „Wenn ein Patient heute stirbt, helfen wir ihm heute, friedvoll zu sterben. Und wenn wir morgen sterben, dann werden die anderen uns morgen helfen, friedvoll zu sterben.”

Im Heute leben

Obwohl es für die Gesundheit schädlich ist, arbeiten einige Patienten den ganzen Tag im Sterbesaal, pflegen die Sterbenden, die bis auf die Knochen abgemagert, apathisch in ihren Betten liegen. Sie geben ihnen zu essen, zu trinken und lindern ihnen mit Massagen die Schmerzen. Andere basteln Holzspielzeug, arbeiten in der Küche oder im Garten. Der eine Kranke hilft dem anderen .„ Auf diese Wei -se machen sie das Beste aus jedem Tag, sorgen sich nicht um Gestern, sorgen sich nicht um Morgen.”

„Nach der Arbeit ging ich oft in Pubs oder Bars, wo Mädchen tanzten und sangen, dann ging ich mit ihnen ins Bett”, berichtet der 28jährige Pak Dei. Er hat in einem Hotel in Bangkok gearbeitet. Als er sich nach fünf Jahren etwas Geld zusammengespart hatte, ging er in sein Dorf zurück und heiratete. Er wußte nicht, daß er das Virus in sich trug, bis ihm der Arzt nach der Geburt seines Sohnes mitteilte: „Es tut mir leid, aber ihre ganze Familie hat Aids.” Seine Eltern jagten ihn davon, zu seiner Frau hat er keinen Kontakt mehr, und als vor sieben Monaten die ersten Symptome an seinem Körper sichtbar wurden, kam er hierher. Eine typische Geschichte, wie man sie hier mit kleinen Variationen jeden Tag erzählt bekommt.

In über 80 Prozent der Fälle erfolgt die Infektion mit dem Virus in Thailand bei Prostituierten. Die Männer stecken ihre Frauen an, und die Frauen infizieren ihre Babys. Nach Schätzungen von UN-AIDS sind etwa 2,3 Prozent der schwangeren Frauen in Thailand HIV-positiv. Jedes Jahr kommen ungefähr 6.000 Kinder mit dem Virus zur Welt. Bei den meisten stirbt die Mutter, bevor die Kinder ihr fünftes Lebensjahr erreichen.

Nach anfänglichem Zögern stellt die thailändische Begierung jetzt mehr Geld als jedes andere Land in dieser Begion für die Aufklärungsund Präventionsarbeit bereit. 83 Millionen Dollar waren es im letzten Jahr. Die Anstrengungen zeigen erste Früchte: Der Gebrauch von Kondomen verdoppelte sich seit 1990, die Zahl der Geschlechtskrankheiten sank um 80 Prozent, auch die Bäte der Aids-Neuinfektionen ist rückläufig.

Aufklärung und Prävention haben auch für Abt Alongkot erste Priorität. Ständig ist er in ganz Thailand unterwegs, um Vorträge zu halten. Es ist nicht zuletzt auch seinen Anstrengungen zu verdanken, daß die Diskriminierung der Aids-Patienten spürbar zurückgegangen ist. Trotz aller Erfolge der Aufklärungsarbeit wird sich aber das Problem der Aids-Kranken in den nächsten Jahren noch verschärfen und die Gesellschaft vor große Herausforderungen stellen.

Fluß des Lebens

Während draußen ein heftiges Monsungewitter niedergeht, feiern einige Mönche in gold-orangen Boben im Saal neben dem Krematorium die Totenliturgie. An der Stirnseite des Saales eine goldene Buddhastatue, etwa 1,5 Meter hoch. Von vielen hundert weißen Säckchen ist sie fast ganz bedeckt, sodaß nur noch der Kopf zu sehen ist. Aschesäckchen sind das, die die Angehörigen nicht abholen wollten. Drei Patienten starben letzte Nacht und sind in ihren Särgen aufgebahrt. Für jeden gibt es eine eigene Feier. Heute drei Sterbefeiern, morgen zwei, übermorgen vier ... Ein paar Patienten, die im Kloster Freunde der Toten geworden sind, beten mit den Mönchen. Sie verdrängen den Gedanken an den Tod nicht mehr. Der weise Mensch, so hat ihnen Abt Alongkot beigebracht, akzeptiert den Fluß des Lebens.

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