6567074-1950_02_07.jpg
Digital In Arbeit

Der Tod des Friedländers

Werbung
Werbung
Werbung

Verlegen ging Georg, der Diener des Fried-länders, durch die enge Gasse Egers zu dem Hause des Apothekers Pachelbel, an dessen verschlossenem Tor sich zwei pelzvermummte städtische Gardisten duckten. AI9 sie den Diener des Herzogs erkannt hatten, fragten sie, welcher Teufel ihn in einer solchen Windsbraut umhergetragen; er aber fühlte keine Lust zu einer Unterhaltung. Kaum vermochte er die Tür, die der gewaltige Wind ihm aus der Hand zerrte, festzuhalten, daß sie nicht heftig ins Schloß schlage. Die Flammen in den Laternen flackerten wild, der Wind zischte im Hof, dos Gelände des Umgangs knirschte, die Ziegel auf den Dächern rasselten und im Hof stürzte allerlei Gerumpel durcheinander. Es war kalt. Er ging zum' Obersthofmeister, der schon zur Nacht gegessen hatte und mit anderen Beamten Karten spielte. Man spürte den Geruch von indianischem Gewürz. Er bekam den Befehl, an der Tür seiner Hoheit Nachtwache zu halten.

Zuerst ging er in die Küche. Die Köche, schweigsam und verdrossen, bereiteten Fleisch und Tunken für den nächsten Tag zu. Man sah hier keine Frau. Das ganze Pfaus schien eine dunkle Klausur oder eine Strafanstalt. Einer von den Köchen schob ihm wortlos eine Schüssel mit Essen hin und goß ihm Bier ein.

Über dem Feuer wurde Wasser in Kesseln gewärmt. Die Köche unterhielten sich mürrisch, streitend, ob es den städtischen Kommandanten gelungen, in so kurzer Zeit ein anständiges Bankett zu rüsten und warum nicht auch sie zu der Arbeit herangezogen worden. Georg beobachtete zerstreut, wie einer von ihnen einen Kapaun brühte und ausweidete. Der gebrühte Vogel war auf dem Tisch sehr häßlich, seine Beine waren lächerlich ausgereckt, die Finger des Kochs rieben aus der weißlichen Haut Federn und Kielwurzeln, die Wuaa hinten am Kopf grinste von wertlosem Tierblut und das Auge war halb von einer Haut überzogen wie der Verstand eines Prahlhanses; dann gerieten die Finger in den aufgeschnittenen Bauch des gereinigten Vogels.

Georg vergaß beinah zu essen und erwachte erst aus einem seltsamen Hindämmern, als zwei Burschen kamen, das heiße Wasser zu holen, das für das Bad Seiner Hoheit gerüstet war. Da mußte er sich eilen.

Der zweite Page wartete schon auf ihn. Auch der Bader war schon im Zimmer und brauchte immerzu eine Handreichung. Georg bewegte sich wie ein Diener, der durch Flinkheit seine Zerstreutheit ver-' deckt, und sah alles mit scharfer Klarheit wie ein Mensch, der bewußt und freiwillig die letzte und entscheidende Übung einer schweren und traurigen Sünde verrichtet. £r sah alle Dinge im Zimmer, den Bader, den Lakaien und den Gehilfen, ihre Bewegungen, die vor langer Gewöhnung lächerlich geworden waren, ihre Gesichter und ihre seltsame Förmlichkeit; derf Herzog, der nicht auf sie achtete, denn zu dieser Stunde überließ er nur seinen armen Leib jenen, die um ihn hin und her liefen und mit den Händen allerlei verrichteten, was für seinen Leib notwendig war, aber überflüssig für den Geist. Man rüstete das Bad. Mit dem Kleid zogen sie dem Herzog das aus, was Respekt weckte, und enthüllten das, was das Entsetzen des Grauens und verächtlichen Mitleids wachrief. Ein elender

Leib erschien, der auf Bettlerstroh gehörte und nicht in ein Herzogslager; dieser Leib sehnte sich 6chon nach dem Grab.

Auf dem Tisch lagen neue Salben und Bandagen bereit. Der Geruch des kranken Leibes mischte sich mit dem Dampf und dem Qualm des Räucherwerks. Es war heiß, denn das Feuer im Kamin flammte mächtig. Es war, als wollte der Bader mit seinen Salben dem Tod den Leib des Herzogs verekeln; als verlängerte eher menschliche Böswilligkeit denn Fürsorge das Leben dieses Leibes um einen Tag, wieder um einen und wieder um einen Tag, ehe der solcherart gereizte Tod zum Sprung ansetzt in plötzlicher Raserei.

Dieser Leib war fremd, unendlich fremd, lächerlich fremd. Georg erinnerte sich mit Ekel an die Arbeit des Koches, die er vor einer Weile gesehen. Eas war nicht sein Herr. Dieser Leib war die Müh' und Sorge nicht wert, war nur etwas, das kunstfertigen, aber beliebigen Händen anvertraut wurde; war Menschen anvertraut, denen nichts anderes zukam. Seine Hoheit war vielleicht irgendwo auf Reisen, mag sein, jenseits des Erzgebirges oder auf der Plassen-burg oder noch weiter; konnte jetzt nicht zurückkommen und hatte hier nur ihren zerschlissenen Leib hinterlassen, der von ihr nichts mehr aussagen konnte.

Das Haupt war weiß, die durchweichten Haare schlaff, die Gesichtsrunzeln voll Schweiß und der Nacken welk. Auf diesem Haupt sollte die Krone erstrahlen. Und als der Leib im Laken war und der Bader die Glieder knetete und verband, erinnerte es wieder an die Arbeit des Kochs, der mißmutig und sorgsam am Abend vor dem Sonntag ein mageres Huhn zubereitet.

Dann war der Leib wieder im Hemd und die Füße in Schlafschuhen, auf die Knie wurde eine Decke gebreitet und auf die Schultern ein Mantel, die Burschen trugen das Bad hinaus und der Lakai die abgelegte Wäsche, der- Herzog saß im Lehnstuhl und seine Augen waren auf die Kerze im vergoldeten Leuchter gerichtet, in dem Leuchter, in dem sie im Zelt in den Nächten vor den Schlachten und nachher und auf allerlei seltsamen Reisen geleuchtet hatte. Die Augen Waren erfrischt und strahlten, das Haupt reckte sich in den erneuerten Kräften des Leibes und der nichtermattenden Heftigkeif des Willens wie vor Jahren, da er dem Kaiser Aug in Aug' getrotzt und der Kaiser nachgegeben hatte. Nun schien der Leib eine seltsame und arglistige Täuschung; er konnte nicht mehr völlig dem Geist gehorchen, konnte ihn aber nicht hindern. Dieser Geist bestritt in den Lüften siegreich den kaiserlichen Adler. Seine Augen senkten sich bisher nicht vor der Sonne.

Seine Hoheit war wieder da. Noch konnte sie die Schlacht lenken, wenngleich nur aus der Sänfte. Und führte sie nur die Armeen hervor zum Marsch gegen die schändlichen Kaiser, so brauchte sie nicht einmal das erste Treffen erleben, es wäre genug zu unvergänglicher Ehre und unverweslichem Ge-dencken. Ließe sie sich nur nicht zur Barmherzigkeit erweichen angesichts wessen immer aus dem schändlichen Geschlecht!

Der Herzog entließ den Bader und horchte auf die Sturmstöße.

„Was gibt es?“ fragte er Georg; „regnet es etwa?“

„Nein. Der Wind ist frostig und vielleicht wird es schneien.“

„Dann hätten unsere Freunde in den Bergen einen schlechten Weg.“ „Die Kaiserlichen auch.“

Die Antwort gefiel dem Herzog. Über sein Antlitz huschte ein schmerzliches Lächeln.

„Hilf mir aufs Lager!“

Der Befehl war in diesem Augenblick eine Auszeichnung. Der Herzog'ergriff seinen Arm und vertraute sich seiner Hilfe an. Georg stützte den Herrn. Der Mensch führte den Menschen; sie taten ein paar Schri;te zusammen. Zwei Herzen schlugen nebeneinander, ein jedes anders.

„Lösch aus und geh!“

Georg stellte den Stuhl mit der vergoldeten Klingel ans Bett, beschattete das Licht und war dann wieder auf dem Gang. Er stützte sich gegen die Tür und mochte nicht gehen. Ihm war, als höre er das Herz des Herzogs schlagen.

Es war Nacht. Im Hausflur ging die Wache auf und ab, mit vorsichtig gedämpften Schritten, um die Nachtruhe nicht zu stören. Als Georgs Gedanken sich schon zu sammeln begannen und Vorstellungen in betörendem Halblicht auftauchten, peitschte der Wind in die Fenster und winselte in die Hofmauern mit einem verzweifelten, gespenstischen und wütigen Aufstöhnen, bei dem das Rauschen im Herd und das Summen des Blutes in den Schläfen stockten.

Ihm war, als sollte diese Nacht wie eine Ewigkeit der Angst werden. Er wußte nicht, wieviel noch bis Mitternacht verblieb, bis zu der er wachen sollte. Aber wird er heut' überhaupt schlafen? Der Herzog vielleicht doch, er schien beruhigt und erfrischt...

Möchte er gut schlafen!

Der Wind nahm zu. Plötzlich erbebte das ganze Haus. Er erschrak. Aus dem Zimmer des Herzogs schrillte die Klingel. Er trat rasch ein.

„Ich bin matt“, stöhnte der Herzog; „laß Bier bringen, aber kaltes!“

Er lief und als er die Treppe hinuntersprang, da war es, als würde das Tor eingerannt; als wäre ein höllischer Schlag aufs Tor gefallen. Er richtete dem Mundschenk den Befehl aus und kehrte an seinen Platz zurück. Durch eine Ritze schlug pfeifender Frosthauch wie aus dem Rachen eines zahnlosen Ungetüms. Der Mundschenk blieb lange aus. Endlich kam er. Er trug die Livree und brachte das Bier in vergoldetem Becher.

„Bleich bist du wie ein Sensenmann“, 9agte der Mundschenk.

Georg trat ins Zimmer und half dem Herzog, sich halb aufrichten.

„Nun werd ich vielleicht schlafen“, sagte der Herzog, den Becher zurückgebend.

Der Mundschenk ging. Georg brachte das Kissen in Ordnung. Von der Kerzenflamme gingen Strahlen aus wie von dem Licht der Zauberer und Beschwörer.

„Jetzt will ich schon schlafen“, flüsterte der Herzog, auf das Kissen sinkend. Dann fragte er wie im Traum: „Was ist die Losung heut'?“ „Sankt .Jakob!“ antwortete Georg.

Er erwartete noch ein Wort und war überrascht, alt er sah, daß der Herzog im Einschlafen war. Langsam trat er hinaus, kaum hatte er aber die Tür hinter sich zugezogen, als ein Sturmstoß krachte, daß es war, als stürzte eine ganze Häuserseite des Platzes ein, als fielen die niedergehauenen Wächter gegen das Tor und als drängte sich ein ganzes Rudel von Teufeln ins Haus. Sogar der bissige Mundschenk preßte die Stirn ans Fenster und horchte hinaus, als Georg kam.

„Hast Angst?“ sagte Georg.

Der Diener grinste, brummte etwas und ging die breite Holztreppe hinunter. Da flog die Windsbraut wie ein Drache heran und packte das ganze Haus in die Fänge. Es mußte etwas geschehen sein, denn schon hörte man das Krachen de9 Tors und Gestampfe und Geschrei. Vielleicht hatte die Windsbraut bösen Schaden getan oder es drohte eine Gafahr.

„Sankt Jakob!“ flüsterte Georg.

Schon schärfte er die Aufmerksamkeit.

Es mußte ein Unglück geschehen sein. Menschen rannten über die Treppen, stießen einander nieder, ein Körper fiel die Stufen hinunter und Menschen brüllten. Schon sah er, daß sie heraufjagten wie rasend. Er sah einen tollgewordenen Rittmeister der Butlerschen Dragoner mit der Partisane in der Hand und riesige Dragoner mit gezogenen Säbeln. Was konnten die bei Seiner Hoheit wollen? Gewiß waren sie trunken.

Er trat ihnen entgegen und schrie: „Was nehmt ihr euch heraus? Seine Hoheit schläft!“

Da sah er ein wildes Grinsen, einen Sprung, graues Gefunkel von Stahl, und wollte sich an etwas festhalten, etwa an dem Mantel des Dragoners, der äich eben über ihn beugte. Er fühlte, daß jemand mit dem Fuß fürchterlich gegen die Türe stieß, dann noch 'einer, und daß die Tür auseinanderklaffte. Er spürte das Gekläff roher Schimpfworte, begriff aber nichts, fühlte nur vergebliches Staunen darüber, daß er gefällt mit dem Kopf gegen die Wand dasaß und sich nicht rühren konnte. Er konnte nicht aufschreien; er tat den Mund auf und erkannte, daß er keine Stimme hatte. Da begann ihn schon ein tödlicher, verzweifelter und rasender Schmerz zu pressen, er drückte die Hand ans Herz und staunte, daß sie warm und feucht war“. Eine Ohnmacht wandelte ihn an, und er entsetzte sich vor dem Tod. Er hätte gern einen Blick in das Zimmer getan; vor der Ohnmacht hatte er nur Geschrei, Gestampfe und Schlagen gehört und in den Augen das Licht der Kerze gefühlt, das aus dem Zimmer kam wie aus einer Folterkammer; die Flammenstrahlen stachen ihn in die Augen und in die Wunde im Herzen, ihr scheußlicher Glanz zwang zum Würgen. Die Ohnmacht preßte ihm die Kehle zusammen wie eine blinde Schlange.

Er erwachte erst, als jemand mit dem Fuß an ihn stieß, aber er regte sich nicht. Er besann sich, wo der Schmerz her wäre, den er in der Brust spürte, wer da im Hause herumschrie. Der Feind war da. Er hatte keine Waffe bei sich, und als er aufstehen wollte, fühlte er sich vergehen. Dieses also war der plötzliche und unerwartete Tod? Aber noch lebte er und das Bewußtsein kehrte zurück.

Wieder kamen Leute mit Laternen. Er schloß die Augen. Er wollte aufbrüllen, und es gelang ihm kaum ein Aufwinseln. Schon war es zu spät, vielleicht lebte er nicht mehr, sah nur noch zu wie ein Toter, der noch nicht ausgekühlt ist, aber schon etwas anderes atmet als ein Lebender.

Die lebenden Menschen gingen in das Zimmer des Herzogs hinein, legten dort etwas zusammen und zogen es über den Fußboden. Dann zogen sie eine schwere Last die Treppe hinunter, es klapperte wie Knochen.

Er begriff, was geschehen war, aber er begriff es als ein Toter, dessen Sinn eines menschlichen Ausdruckes nicht mehr fähig ist. Der Tod war da. Es blieb nur der Taumel dieser Weile, da der Leib schon von diesem Ufer geschleudert und noch nicht auf das jenseitige aufgefallen war.

Das Herz drückte ihn. Er wandte sich um und stützte sich mit den Händen auf den

Boden. Er kroch auf die Treppe zu und umklammerte das Geländer.

Das Zimmer des Herzogs war verwüstet und leer. Auch das Haus geisterte mit Verwüstung. Das ganze Leben, vom Tor des Todes gesehn, schien wüst und verödet, dunkel und leer. Der Schmerz schnitt ihn.

Ja, nun war er also wirklich seiner Pflicht zum Herzog ledig. Jetzt konnte er gehen. Ihm war, ak biete ihm der Teufel mit höf lidiem Lächeln die hilfreiche Hand.

Er kroch hinunter. Es gelang ihm aufzustehen. Unten waren die lebenden Menschen bei Laternenschein damit beschäftigt, Truhen in die Kanzlei des Herrn Wessely zu schaffen. Die Lichter und die Lebenden flirrten durcheinander. Er schlich an der Wand hin. Die lebenden Menschen wandten sich um, aber er war schon draußen vor dem Tor. Der Frost erfrischte ihn und ihm war, als höre seine Wunde zu bluten auf.

Aber statt barmherziger oder blinder Dunkelheit fiel teuflischer Glanz auf ihn. Eine ganze Gornette Dragoner füllte das enge Gäßchen aus; im Glanz der Fackeln und Laternen lohten gezogene Säbel und lebende Menschen, auf der Erde stehend und auf lebenden Tieren sitzend; die Pferde wandten sich in der Windrichtung, die Menschen schäumten vor entsetzlicher, ehrloser Hoffart des Daseins. Vor dem Haus glitzerte ein Rittmeister. Es war dort ein Wagen, einem Henkerskarren ähnlich. Ein großer Glanz fiel auf den Wagen und auf den legten starke Knechte einen schweren Sack. Es war ein Sack aus einem roten Teppich. Dann erschien Obrist Butler und rief Rittmeister Braun zu, er möchte die gefangenen Beamten auf die Hauptwache bringen. Die Dragoner setzten sich in Bewegung, ohne sich um den Karren zu kümmern. Der Obersthofmeister stolperte vor dem Pferd des Rittmeisters Braun einher und zwei Soldaten schleiften ihn. Obrist Butler ritt auch davon. Obristwachtmeister Geraldin trieb das Gesinde ins Haus zurück und ließ das Tor schließen.

Georg wollte den Augen entfliehen, die auf seine blutigen Kleider geheftet waren. Jemand tat einen Schrei und schleifte ihn zu dem Karren, daß er mit den Händen auf ihn fiel.

„Hilf ziehen!“

Der Furier gab der Mähre einen Peitschenhieb und der Karren begann schmählich zu rattern. Voran leuchteten Fackeln, die Lichter bewegten sich, schaukelten und hüpften nach dem Schritt und Humor der Pferde. Das war die Vorhut. Und hinter ihr fuhr der Karren wie ein Triumphwagen, und auf dem Karren wurde ein roter Sack gefahren.

Da bemerkte Georg, daß aus dem Sack Gliedmaßen lugten, menschlich und bloß. Und als wäre ihm menschliches Erinnern zurückgekehrt, taumelte er hin und fiel. Reiter sprengten an ihm vorüber, ein Pferd sprang vor ihm zurück. Als er sich aufraffte und um sich sah, verschwand schon der Triumph Seiner Hoheit hinter der Gassenecke.

(Aus dem Roman „Friedland“ von Jaroslav Durych. Mit Bewilligung des Verlages Herold, Wien VIII.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung