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Der todtraurige Possenreißer Joachim Ringelnatz

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Der Belesene weiß auf „Publikum noch stundenlang..." sofort weiter zu zitieren „...wartete auf Bumerang", mag den Seemann Kuttel Daddeldu und möchte gern einmal hören, wie „draußen im Walde kängt das Guruh" - nicht achtend der Drohung: „Warte, nur balde kän-gurst auch du". Er ordnet Joachim Bingeinatz im Geiste sofort zwischen Kurt Tucholsky und Christian Morgenstern ein - Tucholsky 1927 über Bingeinatz: „Wie schön leuchtet ihm manchmal der Morgenstern! Das schadet nichts." Doch von kaum einem Autor des 20. Jahrhunderts mit so populärem Namen ist nur noch ein so kleiner Teil der Werke bekannt — Grand genug, dem Literaturfreund, vor allem, wenn er ein Faible für die halb bis ganz vergessenen Dichter der Zwischenkriegszeit und deren Lebensläufe hat, „Joachim Ringelnatz -Das Gesamtwerk in sieben Bänden" zu schenken.

Die vor einem Jahrzehnt in der DDR schnell vergriffene, bei Diogenes neu aufgelegte Ausgabe ist eine literarische Fundgrube. Band 4 beispielsweise beginnt mit den 1922 unter dem Titel „Ein jeder lebts" erschienenen Erzählungen, über die Tucholsky schrieb, aus der Geschichte „Durch das Schlüsselloch eines Lebens" habe er „jahrelang ganze Absätze ... fast auswendig" gewußt - er bescheinigte Hans Bötticher, der sich Bingeinatz nannte, bei ihm sei die Sentimentalität „so hübsch in bunten Teig eingebacken, daß man sie nur ganz leise im Nachgeschmack hat -und was gradezu erstaunlich ist, das ist das Auge und das Ohr des Autors. Er hört noch die Schwingungen, die in den Pausen zwischen den Worten sind - es entgeht ihm nichts - es ist oft wie eine Liebe bei Whitman, wenn er beobachtet und tendenzlos feststellt, was es alles gibt auf dieser bunten Erde."

Er begann als Traditionalist - und in mancher Beziehung blieb er es bis zuletzt. Freunde der Gedichte des Wortwitz-Artisten werden erstaunt seine tiefernste Lyrik lesen - und vielleicht überrascht sein, zu hören, daß dieser Dichter auch Dramen geschrieben hat, von denen „Die Flasche" seit der Uraufführung anno 1932 und auch nach dem Krieg noch dann und wann inszeniert wurde, während acht bei einem Bombenangriff verbrannten. Vier sind erhalten und in Band 3 abgedruckt.

Daß Bingeinatz vor seiner literarischen Karriere Seemann war, ist bekannt - doch seine Erlebnisberichte werden schon lang nicht mehr gelesen. Dabei ist „Mein Leben bis zum Krieg" (Band 6) Sozialreportage erster Güte. Vor dem Ersten Weltkrieg wurden deutsche Schiffsjungen geschunden wie heute nur noch illegale Einwanderer. Dabei begeisterte sein Tagebuch „Als Mariner im Krieg" aufgrund seiner Aufrichtigkeit noch 1928 die Pazifisten. Ätzend beschrieb er einen Besuch Kaiser Wilhelms II. auf einem Schiff: „Der Kaiser ... kam mir sehr ernst und sehr eitel vor. Er schritt sehr rasch die aufgestellten Beihen ab und hatte für das zerschossene Schiff nur einen flüchtigen Blick. ,Guten Morgen, Matrosen!' grüßte er, obwohl es halb acht Uhr abends war, und ich hörte deutlich, wie von den Leuten, die allerdings schon seit morgens angetreten standen, viele statt ,Hurra' ,Hunger' riefen."

Anhand der Prosa und Lyrik Rin-gelnatz-Böttichers läßt sich aber auch die Entwicklung des kaisertreuen deutschen Patrioten und durch die Niederlage aus der Bahn geworfenen Seeoffiziers („Ich war aus dem Kriege entlassen") zum Selbstparodisten und zur tragischen Figur des deutschen Kabaretts nachvollziehen. Seine Berufswahl hatte keinen Ausbrach aus der bürgerlichen Welt bedeutet, sondern von oben ermutigten, weit verbreiteten bürgerlichen Wunschträumen entsprochen - nach dem Ersten Weltkrieg wurde Bingeinatz zwar oft politisch verstanden, verweigerte sich aber der Politik. Immerhin gelangen ihm Stellen wie diese:

„Köpfe und Rümpfe trennen sich Überall im Blut. Überall bekennen sich Leute zum Henkersmut...

Ferne Unwetter grolleri.

Es gruselt dumpf:

Was werden die Köpfe wollen, wenn sie wieder hupfen auf ihren

Bumpf?"

Doch solche Stellen sind die Ausnahme. Das Metier, auf das sich Bin-gelnatz am besten verstand, ist das des Sprachwitzes, der Ironie, aber der Ion seiner Gedichte ist trauriger, dafür aber auch noch komischer als der Morgensterns. Der 12 Jahre ältere'Christi-an Morgenstern war in mancher Hinsicht sein Ausgangspunkt. Sein Wiesel auf einem Kiesel und Bingeinatz Schleiche an einem Teiche sind noch Hand in Hand unterwegs. Nach dem Ersten Weltkrieg trennen sich endgültig ihre Wege. Der „lebenslang unsichere Bingeinatz" wurde zum Chronisten seiner eigenen „existentiellen Batlosigkeit", so Herausgeber Walter Pape, und eigentlich zu einem Dichter des Bückzuges ins Private.

Von den 3008 Seiten dieses „Gesamtwerks" hat sich erstaunlich viel gehalten, ist, teils an sich, teils von wegen Geistesgeschichte, lesens- und auch sehenswert geblieben, denn Bin-gelnatz war auch ein begabter Zeichner. Er lebte und starb arm. In sozialer Hinsicht ein totaler Mißerfolg. Mit einem winzigen Teil der nach seinem Tod angefallenen Tantiemen wäre ihm geholfen gewesen.

JOACHIM RINGELNATZ - DAS GESAMTWERK IN SIEBEN BÄNDEN

Herausgegeben von Walter Pape. Diogenes Verlag, Zürich 1994. 7Bände, 5008 Seilen, Hin., öS2.525,-

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