7129401-1997_18_21.jpg
Digital In Arbeit

Der Traum des Ruhelosen

Werbung
Werbung
Werbung

Bevor Bruce Chatwin sich einen N amen als einer der großen Rei -seschriftsteller und Geschichtenerzähler unserer Zeit machte und die Aufmerksamkeit der Ethnologen erregte, verdiente der stets und zwanghaft Reisende in einer Vielzahl von Rerufen seinen Lebensunterhalt. Er war Kunstexperte und Archäologe, Reporterund Rezensent. „DerTraum des Ruhelosen" ist ein Sammelband von Kurzgeschichten, Reiseskizzen, Reportagen und Rezensionen, die nach zentralen Themen und Fragen im Leben und Schaffen Chatwins gegliedert sind. Auch seine engagierte Auseinandersetzung mit Konrad Lorenz - die später in den „Traumpfaden " eine wichtige Rolle spielen sollte - ist im Buch enthalten.

In den autobiographischen Texten des ersten Kapitels kommt die Ruhelosigkeit des unermüdlichen Wanderers, die Gegensätzlichkeit seines während der Reisen äußerst genügsamen Lebens und der von Komfort und Snobismus geprägten Aufenthalte bei Freunden sowie seine rückhaltlose Liebe zur Exotik zum Ausdruck. Seine frühesten Erinnerungen bezögen sich auf das Meer und abfahrende Schiffe, so der Autor in dem Text „Ich wollte schon immer nach Patagonien - Der Werdegang eines Schriftstellers".

Schon sein erstes Ruchprojekt - das Manuskript stellte sich allerdings später als unpublizierbar heraus - sollte „eine Art ,Anatomie der Ruhelosigkeit' werden, in der Pascals Satz von dem Menschen, der ruhig in einem Zimmer sitzt, weiter ausgeführt werden sollte.

Die Hypothese war ungefähr wie folgt: Indem er zum Menschen wurde, hatte der Mensch, zugleich mit den geraden Beinen und dem aufrechten Gang, einen Wandertrieb erworben, den Instinkt, lange Entfernungen während der verschiedenen lahreszeiten zurückzulegen; dieser ,I'rieb' war untrennbar mit seinem zentralen Nervensystem verbunden; und wenn er in Zeiten der Seßhaftigkeit denaturiert wurde, suchte er sich ein Ventil in Gewalttätigkeit, Gier, in der Suche nach einem bestimmten Status oder in einer Sucht nach allem, was neu war."

Dies würde, so Chatwin, für ihn auch die Genügsamkeit nomadischer Völker wie der Zigeuner, deren Resistenz gegen jede Veränderung und die Empfehlung der großen Lehrer wie Christus, Buddha oder Laotse an ihre Schüler, auch wörtlich dem ,Weg' zu folgen, erklären. Der Mythos von Kain und Abel und die dem Autor ideal erscheinende „nomadische Alternative" zu unserer Gesellschaftsform, der das dritte Kapitel gewidmet ist, zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk.

Dieselbe Thematik prägt auch Chatwins Einstellung zur Kunst, die im fünften Kapitel im Vordergrund steht, und macht seine Entwicklung vom Kunstsachverständigen und Sammler zu einem unermüdlichen Kritiker der Dekadenz westlicher Kunst verständlich.

In „Die Moral der Dinge", dem Manuskript einer Rede, die er bei einer karitativen Kunstauktion des Roten Kreuzes hielt, befaßt er sich mit den philosophischen und psychologischen Auswirkungen von Resitz: „Doch warum hängen wir an Dingen? Ist das Kunstwerk tatsächlich eine Entschädigung für das Verlassensein? Der Freudsche Regriff vom Fetischismus mag angehen, wenn man zu einer eingleisigen philosophischen Sicht neigt, doch er bringt uns eigentlich nicht sehr weit. Er mag helfen, einige der besonders zwanghaften Sammlermanien zu ergründen. Doch das Erwerben symbolischer Dinge kann keine wirkliche Perversion sein, denn jedermann tut es, Entzugstrauma hin oder her. Und wenn man aus dem Verhalten ihrer sogenannten ,primitiven' Nachfahren irgend etwas schließen kann, dann nahmen sich die ersten Menschen viel Zeit, um mit der Begeisterung und der Irrationalität des modernen Kunstsammlers zu handeln, zu tauschen und an sich nutzlose Dinge zu verschenken oder entgegenzunehmen."

Chatwin meint, daß die Freude an Kunstwerken nicht von Bestand sei, da man sich an Dingen sattsieht, und der Handel mit territorialen Symbolen dem Warenaustausch vorausging: „Auf den Trobriand-Inseln handelten zwei Dörfer untereinander mit Yamswurzeln, trotz der Tatsache, daß sie beide reichlich mit Yamswurzeln eingedeckt waren ... Der springende Punkt war folgender: Wenn ich mit meinen schönen Yamswurzeln über dich herfalle, habe ich einen territorialen Anspruch auf dich und muß damit rechnen, daß du mit noch schöneren Yamswurzeln über mich herfallen wirst, wenn wir weiter friedlich miteinander leben wollen."

Er sieht Dinge, auch Kunstwerke, als Mittel zur Kommunikation und Regulierung der menschlichen Rezie-hungen: „Es wird mir eine Ehre sein, ein hübsches, aber nutzloses Ding von dir zu erhalten. Aber es wird gefährlich für mich, wenn ich es behalte und mich daran ergötze. Tue ich das, ziehe ich Neid auf mich, was ich vermeiden möchte. Außerdem ist das ,Drhg' selbst lebendig. Es mag nicht in einer Falle stecken und sehnt sich danach, dahin zurückzukehren, von wo es kommt (um wieder aufzubrechen, sobald es dort angelangt ist)".

Das Ruch zeugt einmal mehr vom erzählerischen Talent des Autors, der in einer Geschichte meisterhaft Fakten und Fiktion ineinander übergehen ließ. Sein Glaube an deren Untrenn-barkeit verleiht auch leidenschaftlichen, offenherzigen Rezensionen wie der von Oswaldo Bayers Buch „Los Vengadores de la Patagonia Trägica" („Die Bächer des tragischen Patagonien") ihre Klasse. „Der Traum des Ruhelosen" stellt einen idealen Lesebegleiter zu Bruce Chatwin dar und gewährt einen aufschlußreichen Einblick in Leben und Werk. Das Buch läßt etwas von den Möglichkeiten ahnen, die der 49jährig 1989 in Nizza verstorbene Autor nicht mehr verwirklichen konnte.

der TRAUM DES RUHELOSEN

Von Bruce Chauvin. Herausgeber: Jan Borm, Matthew Graves llanser Verlag, München 1996 256 Seiten, geb., öS 262,80

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung