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Der Tunnel des Königs Hiskia

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„... die Durchbohrung. Und dies war der Hergang der Durdibohrung: Als nodi (die Steinhauer schwangen) die Axt einer gegen den anderen, und als nodi drei Ellen zu durchschlagen waren, da hörte man die Stimme des Mannes, der seinem Genossen rief, dehn es war ein Spalt im Felsen von rechts und von links. Und am Tage des Durdibruches schlugen die Steinhauer einer dem anderen entgegen. Axt auf Axt, und es lief das Wasser vom Quell zum Teich, 1200 Ellen, und 100 Ellen war die Höhe des Felsens über dem Haupt der Steinhauer.“

Es sind viele Jahre vergangen, seit ich den berühmten Stein, der 1880 im Eingang des Siloatunnels gefunden wurde, zu Kon-stantinopel im Ottomanischen Museum sah; diesen berühmten Schriftstein direkter Bestätigung biblischen Berichtes (II. Chron. 32, , 3, 4, 30), mit dem nicht nur die jüdische Epigraphie anhebt, sondern recht eigentlich auch das weltliche Sdirifttum der Juden.

Bessere, knappere Nachridit über das große Erlebnis eines Tunneldurchbruches als diese zeitgenössische Verewigung einer technischen Großtat um 700 v. Chr. findet sich nicht in der Journalistik dreier Jahrtausende. '

Seit damals träumte ich davon, einmal diesen Siloatunnel zu durchqueren, über den einst ein anonymer Kollege eine so packende Reportage in den Stein gehauen hat. Und ich verwirklichte meinen Traum, als ich) vor einiger Zeit an einem Herbstmorgen vom Jaffator Jerusalems zur Oase der Siloateiche hinunterwanderte, die, an der Einmündung des Tyropaem in das Kidrontal gelegen, auch im, Hochsommer smaragden heraufleuchtet. Dieser Talgrund, das biblisdie Walkerfeld, ist der Schauplatz jener [Konferenz zwischen den Gesandten Sanheribs und dem großen König Hiskia, die das Buch der Könige so dramatisch schildert. Ein Stück der antiken Stadtmauer ist freigelegt, auf der damals die Bürger von Jerusalem lauschten (weshalb die jüdischen Bevollmächtigten den Assyrern vorschlugen, aramäisch zu verhandeln, um einen allzu defaitistischen Eindruck zu vermeiden).

Der untere Siloateich, einst vor dem Stadttor, ist längst verschüttet. Zwischen den hohen Mauern des oberen Teiches waschen die Frauen des nahen Dorfes Siloa wie in den Tagen der Bibel. Hohe Bäume, vor deren Sattgrün sich ein zierliches Minaritt abhebt, umgeben das Becken, zu dem man auf breiten Stufen hinabsteigt. Als dieser Quellteich der einzige lebende Brunn :n in den Wällen der Königstadt Jerusa em war, hat es hier kaum anders ausgesehen. Unverändert, seit er im Jahr der assyrischen Krise, 701 v. Chr., durch den Bferg gebrochen wurde, klafft im Hintergrund des rechtwinkeligen Beckens die schwarze Mündung des Hiskiatunnels.

Aus dem hohen dunklen Spalt schallt fröhliches Gekicher. Diplomatische Verhandlungen mit den arabischen Frauen, die gerade drinnen baden, sind notwendig. Endlich kommen alle her?us. Für ein paar Zigaretten erklärt sich eine vertrauenswürdige Matrone bereit, Schuhe und Strümpfe des Wanderers zu bewachen. So steige ich endlich in das kühle klare Wasser und wate im Licht der Stablampe in die dunkle Bergestiefe hinein.

Man fühlt sich ein wenig beklommen. Schließlich ist es eine richtige Wanderung in dpa Tartaros, bis zu den Knien im

Acheron — würdig Gehinnoms —, die man da unternommen hat. Bewunderung für dieses unversehrte Werk biblischer Ingenieure läßt bald das Gruseln vergessen. Vier Meter hoch, am Boden kaum rfteter-breit und sich nach oben verjüngend, führt der Tunnel, vorerst senkrecht wie ein Messerschnitt, in den Berg. Er ist im massiven Fels geführt und erinnert in seiner regelmäßigen Trapezform an die Gänge ägyptischer' Tempel. Die Rillen der Axthiebe zeichnen sich scharf und frisch an den Wänden ab. Streift man sie mit den Schultern, dann könnte man glauben, dieser Stollen sei eben in den Felsen geschnitten und nicht vor fast dreitausend Jahren.

Der Gang weist zunächst Nordost, genau zur Marienquelle, dem biblischen Gihon. Dann, nach kurzer müheloser Wanderung in knietiefem quellfrischem Wasser, biegt er in weitem Bogen nach Ost, schließlich nach Ostsüdost. Die Tunnelerbauer wollten die Trasse in diagonaler Luftlinie durch den Berg führen. Als sie aber die weichen äußeren Schichten durchbohrt hatten und auf den sehr harten Kalkstein traf-n, der das Rückgrat des Ophelfelsens bildet, änderten sie ihren Plan: man beschloß die härteste Schicht auf dem kürzesten Weg nach Ost^n eu durchstoßen. Gleichzeitig wurde auch das Profil des Tunnels , verkleinert, der für die nächsten zweihundert Schritte nur gebückt zu passieren ist. Endlich ist der harte Stein überwunden — es gehört nur ein wenig Phantasie, dazu, diesen Kampf mit dem Berg von den Wänden des Stollens abzulesen. Der Tunnel wendet sich nordöstlich, bald rein nördlich auf dem kürzesten Weg zur Quelle, mit deren Wasser er die Stadt versorgte.

Der geologische Befund ist klar, aber hier im Herzen des Felsens, der die Davidstadt trug, neigt man dazu, die alte Erklärung für den großen Bogen des Hiskiatunnels, der eine Luftlinie von 335 Meter in 533 Metar überwindet, zu glauben. Die ersten Erforscher vermuteten, daß der Kanal die verschollenen Grabhöhleji der Könige von Juda umgehe. Die Grüfte Davids und Salomons hat Titus als letzter betreten, bevor die Schutthügel der zerstörten Stadt den Eingang bedeckten. Sie müssen irgendwo in diesem Felsgehöft sein. Man spürt auf dieser Wanderung die Nähe des großen Geheimnisses. Man glaubt zu ahnen, daß wenige Meter entfernt die gewaltigen Toten ruhen.

Der Berg ist voll von Echos und Geräuschen. Es läuft mir kalt über dem Rücken, starre ich über den engen Lichtkreis der Lampe in die Finsternis. Seit Menschengedenken scheint niemand durch diesen Berg gegangen zu sein. Daß das nicht stimmt, beweist ein massives Gittertor in der Mitte des Weges. Daß der Tunnel sogar ein beliebter Wanderweg für Leute ist, die das Tageslicht zu scheuen haben, erhellt die Tatsache, daß das Gitter erbrochen ist und, aus den Angeln 'gerissen, im Wasser liegt.

Bald ist die Stelle erreicht, an der die Südkolonne der Erbauer offenbar die Nerven verloren hat. Der Gang wechselt ein paarmal die Richtung, ganz kurze Stollen zweigen nach rechts und links ab. Man spürt das Suchen der Männer im Fels. D i e Nordgruppe mußte nahe sein, aber man konnte sie nicht f i n d en1

Endlich, unverkennbar in der mit einemmal geänderten Richtung der Axthiebe: der Punkt, „wo die Steinbauer entgegenschlugen“, wo die Tunnelbohrer, die sich vom Siloateich durch den Berg arbeiteten, endlich mit der Arbeiterkolonne zusammentrafen, die bei der Gihonquelle begonnen hatte. Nun mochten die Assyrer kommen! Die Gihonquelle vor den Wällen konnte jetzt vermauert werden. Ihr Wasser strömte unterirdisch dem . oberen Siloateich zu, der gesichert innerhalb der uneinnehmbaren Stadtmauern lag. V

Auch den Ingenieuren, die vom Gihon begonnen, hatte der Ophelfels unangenehme Überraschungen bereitet. Es gab eben noch keine Versuchsbohrungen. Sie arbeiteten vorerst direkt ostwestlich, um möglichst rasch in den Schutz der Stadtmauern zu kommen. Als sie aber das fast quarzharte Zentralflöz des Berges erreicht hatten, mußten sie nach Süden ausweichen. Gleichzeitig, wahrscheinlich als die Südkolonne von der Diagonale abwich, begann man die harte Schicht auf dem kürzesten Weg zu durchqueren. Dann begann ein Suchen mit Kreuz- und Querstollen, bis man sich endlich fand.

All das erzählen Axtspuren uncl Kompaß noch heute dem Wanderer durch den Ophel. Wie man sich damals — zwei Jahrtausende später kam der erste Kompaß ans Mittelmeer — orientierte, bleibt freilich ein Geheimnis, wie jene Maschinen, mit denen die Riesenblöcke von Salomos Tempelmauern bewegt wurden. -

Der Siloatunnel ist nur im Sommer begehbar und endet schließlich in einer kurzen, seicht überrieselten Geröllhalde. Hat man diese Rampe erklettert, dann muß man gut aufpassen, um nicht in den kleinen Höhlenteich der Gihonquelle zu purzeln — wie es mir ergangen ist. Die

Stablampe in der Hand, rutschte ich plötzlich bis zur Brust ins Wasser und sah im hellen Spitzbogen des Quelltorcs die Silhouette einer wassarschöpfenden .Frau rasch und geräuschvoll verschwinden. Vorsichtig näherte ich mich dem Ausgang, meine Erscheinung als „Dschirin mit bengalischer Beleuchtung“ entsprechend zu erklären.

Ein paar Stufen, Kreuzfahrerwerk, führen hinauf zum gepflasterten Vorplatz der Quelle, wo der Priester Zadok einst Salomo zum König salbte. Die erschreckte Frau ist verschwunden. Ein Mann, der sein Pferd wäscht, 'betrachtet den buchstäblich „Aufgetauchten“ mit einigem Mißtrauen. Als ich das Wohlwollen des Gaules mit einem nassen Zuckerwürfel erworben habe, wird auch sein Herr freundlicher. Aus dem kleinen Haus des Brunnenwächters ruft er einen Burschen, der ein paar Wort Englisch spricht. Ich erfahre mit einiger Befriedigung, daß seit Menschengedenken niemand den Siloatunnel allein passiert hat.

Nach freundlichem Abschied wanderte ich das Kidrontal aufwärts. Zwischen dem schlanken Kegel des Absalom-Males und der Pyramide des Secharja öffnet sich in der Felswand des ölberges die dorische Loggia des Chesirgrabens. Es ist schön und tröstlich dort oben zwischen den Säulen zu sitzen, die' Sonne über dem Tempelplatz sinken zu sehen, in eine Welt' zu schauen, der unsere Zeit nichts anhaben kann. .

Die Sage erzählt, der aussätzige König Azarja habe in dieser Höhle bis zu seinem Tode gehaust. Sie wird deshalb „Beth-Ha-Chofschith — Haus der Freiheit“ genannt. Vielleicht ist solche Freiheit eines für den Alltag Toten, des aussätzigen Königs, der aus dem Grab auf seinen Palast hinabschaut, die einzig wahre Freiheit...'

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