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Der „ungeliebte” Lehrer

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Viele Schüler, zumal die älteren, mögen den Lehrer nicht. Auch bei den Erwachsenen genießt er keine innere Achtung und findet wenig Zuneigung. Jedermann weiß das, manche sagen es auch heraus, aber niemals wird öffentlich darüber gesprochen. Zur Zeit der Zensuren brandet die Unmutswelle gegen die Lehrer zu beachtlicher Höhe auf: sie entlädt sich oft in Karikaturen und bissigen Scherzen. Das trübe Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler ist beachtlich, und es wird nicht besser, wenn man es totschweigt. Man müßte offen darüber sprechen und sich um Abhilfe bemühen.

Das Übel ist nicht nur von heute: schon in römischen Zeiten bestand die Abneigung gegen den Lehrer. „Keine Gemeinschaft mit dir, du Mörder der Kinderseele, haßbegrüßtes Geschöpf Knaben und Mädchen zugleich. Noch ist die Stille der Nacht nicht gewichen den Helmen der Hähne, und schon wütet dein Haß mitten im Prügelge- klatsch.” (Martial, Epigr. IX/44.)

Zum Lehrer „gemacht”

Der römische Lehrer erweckte Haß bei seinen Schülern und vergalt ihn mit seinem eigenen. Lag es an der Rute, die er schwang? War sie die Ursache oder war sie sein Schutzmittel gegen die Haßfront der Schüler?

Der rutenschwingende Lehrer ist heute keine Schreckgestalt mehr für die Schüler: die.Rute ist aus der Schulstube verbannt. Und auch das Düster der Nacht erfüllt den Schulraum nicht mehr. Aber es herrscht darin auch nicht wünschenswerte Helle der aufrichtigen Neigung und des gegenseitigen Verstehens. Und sie müßte doch da sein an einer Stätte des Wissens und der Erleuchtung.

Liegt es am Lehrer, daß sie fehlt? Vermag er nicht richtig ohne Bitternis zu geben? Ist er wirklich der von Natur aus ewig nörgelnde und neunmalkluge Mensch, der sich vom Lehrberuf angezogen fühlt und ihn wählt?

Nein. Man hat ihn ebenso durch Z an£ oder Überredung, in. seinen Beruf hineingedrängt wie die1 Anwärter der meisten anderen Berufe. Die Eltern zumeist treffen die Wahl ohne Ansehung der geistigen Struktur des Heranwachsenden. Die Berufswahl nach eigenem Wunsch ist seltene Ausnahme.

Den Typ des Lehrers, der keine Gnade vor den Augen seiner Mitmenschen findet, schaffen nicht die Anlagen, der Beruf vielmehr gibt ihm seine besondere Prägung. Sonderheiten in der Ausübung seines Amtes verleihen ihm die Merkmale seines Wesens. Er ist ständig von dreißig und mehr Augenpaaren bewacht. Nicht das geringste Versehen, der harmloseste Fehler, die geringste Schwäche bleiben unbemerkt und unbesprochen. Das Wissen davon fördert nicht seine Selbstsicherheit, führt vielmehr oft zu nervöser Zerfahrenheit oder zu überheblichem Gehaben, erweckt Unlust und Unwillen, macht griesgrämig, gereizt, argwöhnisch. In anderen Berufen kann man sich vor Zuschauern schützen, der Lehrer kann es nicht. Auch die ständige Unruhe unter der jugendlichen Zuhörerschaft schaffen oft dem Lehrer die unliebsamen Züge. Sie macht dem Störempfindlichen die Erfüllung seiner Pflichten unerträglich schwer.

Aus solchen und noch anderen Ursachen erwächst der grämliche, auf nachsichtslose Pflichterfüllung gerichtete Lehrertyp, der bei Schülern und bei Eltern auf Ablehnung stößt.

Und wie sich die Liebe in tausend Fäden von Mensch zu Mensch schlingt, so zieht auch die Abneigung ihre grauen Fäden von hier nach dort. Und die Jugend ist grausam in ihrer Abneigung und in ihrem Unverstand, vergilt nachsichtslose Strenge mit innerer, mitunter auch äußerer Widersetzlichkeit.

Wenige sind auserwählt

Der Schulraum, in dem nicht der erfrischende Hauch des gegenseitigen Verstehens und der Zuneigung, sondern die Atmosphäre des verhaßten Zwanges besteht, wird unleidlich für Lehrer und Schüler.

Dem Lehrer bereitet dann sein Beruf manche verzweiflungsvolle Stunde. Er erträgt ihn viel schwerer als ein anderer Berufstätiger den seinen, weil er ständig selbst unter dem Alpdruck der Ablehnung steht, die er bereitet.

Er mag ein gelehrter und schätzenswerter Mann sein, aber er hat die Berufung zum Lehrer nicht. Er hat nicht den Drang, sich mitzuteilen, er fühlt nicht das Bedürfnis, beizustehen, zu helfen, zu fördern, auch wenn es das Unverständnis der Jugend zuweilen recht schwer macht. Kurz: ihm fehlt die gebende Liebe zum jungen Menschen. Forscher, Gelehrte von Weltruf, geachtete und verehrungswürdige Männer und Frauen versagen nicht selten als Lehrer. Ihnen fehlt zu ihrem außerordentlichen Intellekt die Fähigkeit der fruchtbaren, mitreißenden Darstellung und wahrscheinlich auch das Interesse daran.

Aber wie sich der Künstler Zugang zu den Seelen seiner Zuhörer schafft, wie er sie fesselt durch die Gewalt seiner Darstellung, sie erbaut, erhebt, erheitert, so muß auch der Lehrer seine jugendliche Schar durch richtige Auswahl und eindrucksvolle Darstellung des Lehrgutes innerlich zu erfassen vermögen. Damit soll der Lehrer nicht zum Künstler gestempelt werden, obgleich es wahre Künstler in diesem Beruf gibt. Sie sind ein Segen für die Jugend und werden von ihr geradezu fanatisch geliebt. Wie bedauerlich, daß sie sosehr in der Minderzahl sind! Einer von den wenigen war Michael Faraday. Seine „Naturgeschichte der Kerze” ist das Dokument für eine Lehrgestaltung, die in wahrhaft künstlerischer Einfühlung in den Geist seiner Hörer seine Darbie-Verfehlte Auslese

Warum also genießt der Lehrerstand nicht die Wertschätzung bei jung und alt , die ihm auf Grund seiner bedeutungsvollen Tätigkeit gebührte?

Am Anfang des Übels steht die verfehlte Berufsauslese. Der Lehrberuf ist wie kaum ein anderer an bestimmte Anlagen gebunden, die festzustellen man unterläßt. Man glaubt immer noch an die Allmacht des Intellekts und des Wissens und trifft darnach die Auswahl unter den Lehramtsanwärtern. Und so ist für die Aufnahme in den Lehrerbildungsanstalten das Wissen und Können in den herkömmlichen Schulfächern maßgebend und daneben auch noch der Nachweis des Wohlverhaltens in der Schule. Ähnlich verhält es sich mit den Anwärtern des Mittelschullehramtes.

Ob es aber einen künftigen Jugendbildner zu seinem Beruf drängt, weil er die Gabe und das Bedürfnis hat, zu lehren, zu helfen, darnach wird nicht gefragt, und gerade darin besteht der Kern des Lehrerdaseins. Nichts gegen gründliche Wissensbildung des Lehrers: er kann gar nicht genug Wissen haben. Aber das allein genügt nicht. Wenn jemand nicht gerne von seinem Wissensschatz abgibt, wenn er nicht fühlt, wann er geben soll und wie er seine Gaben abzumessen hat, wenn er nicht die Darstellungskraft besitzt, um auch für weniger Begehrtes aufnahmewillig zu machen, taugt er nicht zum Lehrer, und hätte er alles Wissen dieser Welt.

So geschieht es denn eben, daß im Lehrberuf Menschen stehen — ehrliche, fleißige, schätzenswerte Männer und Frauen —, denen die richtige Eignung zum Beruf fehlt; denen das verzeihende Verstehen für entwicklungsbedingte Fehler und Schwächen der Jugend fehlt sowie das Bedürfnis, ihr zu helfen, sie zu reifem Menschentum zu führen; Männer und Frauen, die erkennen müssen, daß sie den Berufsanforderungen nicht genügen können, daß sie fehl am Platz sind und von der Jugend abgelehnt werden.

Es ist nicht zuletzt gekränkter Stolz oder Beschämung über die Zurückweisung ihrer Person, die den teils überheblichen, teils zurückhaltenden Menschentyp schafft, als den man den Lehrer zu kennen glaubt oder hinstellt. Kein Mensch kann auf Dauer in einer Atmosphäre der Abneigung leben, ohne dabei seelisch Schaden zu erleiden, sich auf verhängnisvolle Grundsätze zurückzuziehen wie etwa: „Mögen sie mich hassen, wenn sie mich nur fürchten.” In jedem Beruf gibt es Menschen, die fehl am Platz sind, nirgends aber wirkt sich das so unheilvoll aus wie beim Lehrstand, denn hier geht es um das kostbare Gut Mensch, das geleitet und gestaltet werden soll. Für mancherlei Arbeitsgebiete wurden bereits umfassende Testverfahren geschaffen, um unter den Bewerbern die geeignetsten auszuwählen. Auf dem Gebiet der Menschenführung, dort, wo es um den Höchstwert Mensch geht, erfolgt die Auswahl immer noch nach unzulänglichen Gesichtspunkten.

Wandlung tut not

Und das ist der Zweck dieser Ausführungen: Sie wollen ein Übel im : Schullriren äufzeigen und beim richtigen Namen nennen, wollen zeigen, daß es anderswo liegt als gemeinhin angenommen wird; daß der, den man oft für schuldig hält, selbst ein Geschädigter ist, weil man verabsäumt hat, ihn bei dem bedeutungsvollen Schritt der Berufswahl richtig zu beraten.

Der Lehrberuf ist zum Teil schon Mangelberuf geworden. Somit muß man die Menschen hinnehmen, die sich dazu anbieten. So könnte man sagen. Und wo Mangel herrscht, da gibt es keine Auswahl. Aber warum ist der Lehrberuf Mangelberuf? Nicht zuletzt des geringen Ansehens wegen, das er genießt. Es ist betrüblich, wie sehr dieser Beruf bei vielen Schülern auf Ablehnung stößt und wie sehr dafür das Vorbild ungeliebter Lehrer die Ursache ist.

Damit schließt sich der Kreis. Hier Abhilfe zu schaffen, ist nicht einfach und erfordert seine Zeit. Die Schaffung eines vorbildlichen Lehrkörpers an den Lehrerbildungsanstalten könnte ein erster Schritt sein. An ihr sollten nur solche Lehrer wirken dürfen, die in ihrer Tätigkeit einem echten inneren Ruf folgen: echte Führer und Freunde der Jugend, die das Bildungsgut richtig zu wählen und beseelt darzustellen vermögen.

Das Vorbild des Lehrers, der mit vollen Händen und warmem Herzen von seinem inneren Reichtum gibt in einer Form, die dem Empfangenden die Erkenntnis der Werthaftigkeit erschließt und ihn mit echter Wachstumsfreude und Dankbarkeit erfüllt, wird dem jungen Menschen in seinem künftigen Beruf leitend vor Augen stehen.

Vor allem der Lehrer macht eine Schule zur guten oder zur schlechten. Er kann die ärmlichste Schulstube zur Schatzkammer machen, aus der reicher Segen für seine jungen Mitmenschen erfließt… Menschen zu führen, zumal jugendliche, ist eine Gabe, die nicht jedermann beschieden ist. Viele, die sie haben sollten, besitzen sie nicht. Zum Schaden der Jugend und zu ihrem eigenen. Es trifft sie aber keine Schuld: Man hat sie für einen Beruf bestimmt, c ihnen nicht liegt.

In der Erkenntnis dieser Tatsache stimm nan deshalb nicht in die Klage gegen sie ein, sondern begegne ihr mit begütigenden Worten.

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