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Das Leben Arthur Koestlers, nachzulesen in einer Biografie von Christian Buckard.

Er war einer der bekanntesten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts und zugleich einer der umstrittensten; mit seinen Selbsteinschätzungen stand Arthur Koestler fast immer allein. Als er, 75-jährig, 1980 noch einmal zurückblickte auf sein Leben und sein Werk, sprach er von "zwei fundamental unterschiedlichen Perioden" seiner Entwicklung, und er hielt fest, er hätte sich zunächst, "auf der Suche nach Utopia", ganz auf die Politik, später jedoch, "auf der Suche nach einer Synthese", vor allem auf die Wissenschaft und die Philosophie gestürzt, beide Seiten müssten unbedingt zusammen gesehen werden. Aber niemand sah das so oder wenigstens ähnlich; Koestler blieb und bleibt im kulturellen Gedächtnis der Autor des Romans "Darkness at Noon" (1940; dt.: "Sonnenfinsternis", 1946), der Wortführer des Antikommunismus in der Epoche des Kalten Krieges.

Auch Christian Buckard folgt in seiner Koestler-Biografie, die rechtzeitig vor dem 100. Geburtstag des Autors am 5. September 2005 herausgekommen ist, keineswegs konsequent den auktorialen Lektüreanweisungen: Es ist zwar kaum zu übersehen, dass er die Geschichte des Schriftstellers, die Geschichte des ungarischen Juden und Zionisten Arthur Koestler aufregend, fesselnd, faszinierend findet. Aber es ist ebenso wenig zu übersehen, dass er auf den Spuren seines Autors einer langen Reihe von Konstrukten zur Geschichte des 20. Jahrhunderts begegnet und diese Konstrukte (auch Koestlers Konstrukte), statt sie einfach zu übernehmen oder zu verwerfen, umsichtig nebeneinander hält und kritisch überprüft und also nicht nur über die Odyssee eines Einzelgängers, sondern über "die Geschichte eines Extremisten im Jahrhundert der Extreme" berichtet. In Buckards Koestler-Biografie werden alle politischen Zielsetzungen und Umwälzungen, die für den Autor von besonderer Bedeutung gewesen sind, aufs Tapet gebracht.

Koestlers Vater war Ungar, seine Mutter stammte aus einer der ältesten jüdischen Familien Prags; zu Hause wurde Deutsch gesprochen. Nach dem Ersten Weltkrieg floh die Familie nach Österreich; Koestler studierte in Wien, an der Technik, und er begann schon damals, in den Reihen der "Unitas", einer jüdischen akademischen Verbindung, sich für das "Neue Jerusalem" zu engagieren. Obwohl ihm die jüdische Tradition, namentlich die jüdische Religion nicht viel bedeutete, ging er 1926 erstmals nach Palästina, um sich dort einer Kollektivsiedlung anzuschließen. Lange hielt es ihn allerdings nirgends; er suchte also und fand Arbeit als Korrespondent verschiedener europäischer Zeitungen, pendelte zwischen Berlin und Jerusalem und Paris, und es war für ihn ganz und gar nicht unvereinbar, sich zum einen seinem Mentor Vladimir Jabotinsky, den manche als den ersten jüdischen Faschisten betrachteten, und zum andern den Kommunisten anzuschließen. Koestler kämpfte in den Reihen der Spanischen Republikanischen Armee, er erzielte mit seinem Gefängnistagebuch "Ein Spanisches Testament" (engl. 1937, dt. 1938) den literarischen Durchbruch, trat wenig später, 1938, unter dem Eindruck der Moskauer Schauprozesse gegen die "Trotzkisten" aus der kp aus und suchte von da an hartnäckig nach den Gründen für das Scheitern revolutionärer Bewegungen, vor allem in seinen Romanen "Die Gladiatoren" und "Sonnenfinsternis". - Eine Zeitlang ist Koestler im berüchtigsten französischen Lager, in Le Vernet interniert, später kommt er nach England, noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs wieder in den Nahen Osten.

Koestlers Rolle im Rahmen der Frühgeschichte des Staates Israel, im schier undurchdringlichen Dickicht der diversen Fraktionskämpfe, wird von Buckard mit der denkbar größten Umsicht charakterisiert: Wenn es um das "Auslösen politischer Tretminen" ging, war Koestler nicht selten an vorderster Front. Ob er der jüdisch-arabischen Verständigung oder etwa der Latinisierung des hebräischen Alphabets das Wort redete, Koestler konnte immer mit unkonventionellen Vorschlägen provozieren und mit überspitzten Formulierungen noch ein paar Scheiter ins Feuer werfen. Mit seiner fixen Idee, die Juden hätten nur zwei Wege zur Auswahl: entweder in ihren Gastländern sich vollständig zu assimilieren oder die Staatsbürgerschaft des hebräischen Staates anzunehmen, mit dieser Idee stand Koestler schließlich ebenso mutterseelenallein wie mit seiner These, die osteuropäischen Juden seien Abkömmlinge der Khasaren und also gar keine Semiten; das Buch "Der dreizehnte Stamm" (1976) sollte dem Antisemitismus gänzlich den Boden entziehen, es blieb aber wirkungslos wie die meisten mehr oder weniger, zumeist weniger wissenschaftlichen Arbeiten Koestlers.

Buckard hat die Quellen gründlich studiert. Er folgt den Selbstdarstellungen Koestlers, ohne umgehend nachzuhaken, im allgemeinen nur dort, wo der Autor sich über seine privaten Beziehungen auslässt, und stellt immer wieder heraus, dass auch die heftigsten Reaktionen auf Koestlers Arbeiten gewöhnlich einiges für sich gehabt haben. Aber er zeigt nicht zuletzt, was in Koestlers Werken nach wie vor haltbar erscheinen könnte, oder jedenfalls nachdenkenswert, wie beispielsweise die Überlegungen über die Anfänge und die möglichen Folgen der kulturellen Globalisierung: Buckards Biografie ist nicht weniger spannend als die besten Romane Arthur Koestlers.

ARTHUR KOESTLER

Ein extremes Leben 1905-1983

Von Christian Buckard. C. H. Beck, München 2004. 416 Seiten, geb., e 27,70

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