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Erich Wolfgang Skwara als literarischer Gralsritter, der Leser im Labyrinth.

Don Juan ist nicht tot, fühlt sich unverstanden und als Allegorie des schürzenjagenden Pöbels missbraucht. Im Mittelpunkt von Erich Wolfgang Skwaras lyrisch-essayistischem Roman "Pest in Siena" steht er, Don Juan, der durch die Literatur und Kunstgeschichte geistert. Ein Untoter, der keine Ruhe findet.

Leben heißt lieben in vollen Zügen. Den Kelch gilt es zu leeren, um Verzweiflung zu vergessen, sich seiner Existenz gegenwärtig zu sein. Skwara, der aus Salzburg stammende Weltbürger und Literat auf der Suche nach dem wundertätigen Kelch, ist ein sonderbarer Gralsritter und mit den gängigen Kategorien kaum zu erfassen. In der Neuauflage des Romans ist das "Tagebuch zur Probe", das der Arbeit unmittelbar voranging und das der Autor als "kleine Investition gegen meine Angst vor der eigenen Zukunft" verfasst hatte, abgedruckt: Das Tagebuch als Steinbruch, wenn die Ideen einmal ausgehen sollten.

Skwara ist wie Don Juan in Europa unterwegs. Die Notizen und Gedanken in der Begegnung mit Capri, Venedig, Olympia oder Frankfurt lassen wenig Lokalkolorit spüren. Der Autor ist nicht auf Reisen, um das Fremde zu erleben, sondern sich selbst zu erkennen. "Nicht die Entfernungen zwischen den Ländern sind riesengroß, sie sind im Grund inexistent; riesenhaft sind nur die Entfernungen zwischen einzelnen Menschen."

Mit der Zentralfigur hat er nicht nur die Reiselust gemein, auch das Verhältnis zu Liebe und Tod verbindet sie. Don Juan ist auf einer verzweifelten Suche: "Weil wir nicht weinen können, weil wir nicht lieben können, wollen wir reden und Sprache finden, um uns zu rechtfertigen für das, was uns verstummen lässt." Er ist unterwegs zwischen Städten und Menschen, Kunstgattungen und Werken, trifft van Gogh oder Chopin, doch da er "die Kunst des Gesprächs" nie erlernt hat, sind die Gespräche Gedankenströme, von einem literarischen Chronisten ans Licht geholt.

Das Leben bewegt sich zwischen Lieben und Tod, dazwischen ist die Hölle des Schweigens. Zwischen absurden Polen spielt sich dieses Leben ab und Don Juan kommt zur Erkenntnis, dass die Pest auch ein Segen war: Der Tod war allgegenwärtig und die Menschen waren gezwungen zu leben, kurz und intensiv. Don Juan hat den Tod als Gesellschafter seiner Lust missbraucht und erkennt, dass die Veränderungen, die die Zeit mit sich brachte, nicht immer Verbesserungen waren. Gleichgültigkeit ist an die Stelle der Pest getreten.

Dies ist ein roter Faden, der Leser muss seinen Weg durch das Labyrinth suchen. Dunkel und zuweilen von Wolken umhüllt ist der Weg, zuweilen von wohliger Schwermut bestrahlt. Im "Tagebuch zur Probe" heißt es: "Wieder heimkommen zu Georg Trakl. Vor seinem Grab, ich habe 10 Minuten Zeit, bin ich augenblicklich aus der Maschinerie des Tages gerissen und mir ist bewusst, wohin ich gehöre: hierher. Seiltänzerische Gewandtheit treibt mich um diesen Planeten, ich bin nirgends und überall, aber seltsam ist es, dass ich mich trotzdem nur hier bei Trakl, unter allen Arten am wohlsten fühle." Hoch über dem Alltag darf sich der Leser von Zeile zu Zeile, von Bild zu Anspielung vortasten. Das ganze Unterfangen steht gelegentlich knapp vor dem Absturz, etwa wenn Don Juan als Phönix "anstatt höher zu steigen - abwärts flog, sich einbohrte in den menschlichen Schmutz, in die Gemeinheit, und endlich die Klarheit der brennenden Tiefe erreichte."

Er nimmt sich das Leben, ein letzter Sieg über die "ewige Einbahnliebe, die er den Meeren, den Ländern, den Menschen geboten hatte". Unausdenklich, was passieren könnte, wenn der Abschied nur halb gelänge. Don Juan "würden sie nimmer finden, er wollte keine Beweise liefern, er wäre ein Irrtum des Wolfgang Mozart, eine Legende, ein fester Traum der europäischen letzten Atemzüge." Die europäischen letzten Atemzüge mögen ein gar großer Abgang sein, das Werk nimmt gefangen und lädt ein, die Gedanken zwischen den eigenen Polen von Liebe und Tod wandern zu lassen.

Tagebuch zur Probe / Pest in Siena

Von Erich Wolfgang Skwara

Edition Korrespondenzen, Wien 2002

193 Seiten, geb., e 23,-

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