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Der unzeitgemäße Schwejk

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Man hat ihn auf die Bank der Schelme neben Sancho Pansa, Eulenspiegel und Münchhausen gesetzt und eine satirische Weltfigur aus ihm gemacht. Vielleicht ist er nicht so tapfer und geistreich wie die großen Schalksnarren. Aber dieser Rundkopf mit der Knollennase, dem ein amtsärztliches Zeugnis notorische Blödheit bescheinigt hat, bewältigt den Irrsinn der Welt durch seine verschmitzte Idiotie. In normalen Zeiten und normalen Lagen würde man sie als gesunden Menschenverstand bezeichnen. Das Wort blöd ist wurzelverwandt mit dem französischen „ėblouir“, blenden, düpieren, durch Ungewohntes verwirren. Wer den Zusammenhang überdenk kommt dem Wesen Schwejks nahe.

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Man hat ihn auf die Bank der Schelme neben Sancho Pansa, Eulenspiegel und Münchhausen gesetzt und eine satirische Weltfigur aus ihm gemacht. Vielleicht ist er nicht so tapfer und geistreich wie die großen Schalksnarren. Aber dieser Rundkopf mit der Knollennase, dem ein amtsärztliches Zeugnis notorische Blödheit bescheinigt hat, bewältigt den Irrsinn der Welt durch seine verschmitzte Idiotie. In normalen Zeiten und normalen Lagen würde man sie als gesunden Menschenverstand bezeichnen. Das Wort blöd ist wurzelverwandt mit dem französischen „ėblouir“, blenden, düpieren, durch Ungewohntes verwirren. Wer den Zusammenhang überdenk kommt dem Wesen Schwejks nahe.

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Dieser unendlich redselige Antiheld, dessen Abenteuer und Anekdoten angefüllt sind mit einer „Mischung von Powidl und Ekrasit“ (Polgar), ist nicht einfach ein passiver Dummkopf. Er kann die Wahrheit so sagen, daß sie wie Dummheit klingt. Er kann die Eingleisigen, Gradlinigen, Sturen aufs köstlichste verwirren. Denn unverwüstlich und aktuell bleibt das Thema: Eine Ordnung in Frage stellen, indem man sich scheinbar dazu bekennt. Dem zivilen, behördlichen, militärischen Apparat seine Absurdität beweisen, indem man ihn wörtlich nimmt. Im Schwejk ist der unwissende Widerstand des kleinen Mannes gegen alles, was von oben kommt, der Wunsch, die Oberen, wer sie auch seien, zu überlisten und ein Leben auf eigene Faust zu führen, mit Hilfe des unwiderstehlichen Tricks der Unterwerfung, die Zu nichts verpflichtet. „Man soll nicht zu viel von sich verlangen. Es ist schon viel, wenn man überhaupt noch da ist heutzutag. Da ist man leicht so beschäftigt mit Uberlebn, daß man zu nix anderm kommt.“

Heutzutag: das ist der tschechische Untertan der k. u. k. Monarchie, der das vaterländische Pathos durch seine Einfalt der Lächerlichkeit preisgibt und Sand ins Getriebe der Kriegsmaschinerie streut; das ist der kleine Mann, der bei Brecht als „Schwejk im zweiten Weltkrieg“ in das Räderwerk der Gestapo und der SŠ gerät und dem unmenschlichen Regime durch scheinbar treuherzige Unterwürfigkeit .entgegenwirkt; das sind die zahllosen Schwejks in der unmittelbaren Gegenwart vor einem bösen Winter. In deren Mutterwitz müßte heute freilich Trauer, in der Unterwürfigkeit Erbitterung und Haß durchschimmern. Angeblich wimmle es in der CSSR nur so von Schwejks, wie die Zeitungsberichte rings um das okkupierte Land glauben machen wollen. Sie kommen nicht los von der Klischeevorstellung, daß die Schwejk-Natur den Tschechen eingeboren sei. (Und ist es so viel oder so wenig wie die Natur des „Herrn Karl“ den Österreichern!) Sie fallen alle auf das hemmungslos zugunsten des Fremdenverkehrs ausigeschrotete nationale Idol herein, das in einer Vielfalt (von der Stoff puppe und Porzellanfigur bis zum obligaten Prag-Besuch bei Gulasch und Pilsner in Schwejks Stammlokal „Zum Kelch“) dargeboten wird, als wäre es nicht eine von Jaroslav Hašek erfundene Figur, sondern als hätte Schwejk wirklich gelebt.

Aber die poetische Utopie vom Sieg des kleinen Mannes und seiner Vernunft gegen Unheil und Brutalität, der alles übersteht, weil er naiv und pfiffig ist, hat keine Geltung mehr im Zeitalter der Angst und der Unsicherheit. Schwejk ist einfach zu harmlos und zu dumm, um Angst zu haben. Er steigt nicht auf die Barrikaden, um bis zum letzten Blutstropfen zu kämpfen. Die Gestalt läßt sich nicht mechanisch aus dem ersten und dem zweiten Weltkrieg in die unmittelbare Gegenwart übertragen; eine Fortsetzung des Romanfragments, welche die Abenteuer des braven Parteigenossen Schwejk schildern würde, kann es und wird es nicht geben. Denn in der jetzigen teuflischen Situation hilft keine augenzwinkernde Gemütlichkeit, schwejkisch-doppelbödige Passivität mehr; zu wirklichem Widerstand aber ist die bauernschlaue Idiotie nie gediehen. Brecht, der sich mit der Gestalt eingehend befaßt hat, schrieb in sein Tagebuch: „Auf keinen Fall darf Schwejk ein listiger … Saboteur werden … er ist lediglich der Opportunist der winzigen Opportunitäten.“ Und dann noch jener Satz, der die gesamte östliche Doktrin aus den Angeln hebt und zugleich die heutige Lage des unglücklichen Volks trifft: „… bin wieder überwältigt von diesem riesigen Panorama Hašeks, dem echt unpositiven Standpunkt des Volkes darin, das eben das einzige Positive selbst ist und daher zu nichts anderem .positiv“ stehen kann.“ Der Prager Philosoph Ivan Svitäk schien Brechts Jahrzehnte zurückliegende Einsicht notwendig zu ergänzen, wenn er im August 1968 nach den Erfahrungen der vollzogenen Okkupation die Gewißheit als .historisch wichtig“ bezeichnete, „daß die Freiheit nicht ,erschwejkt‘ werden kann und daß wir uns durch die Geschichte nicht .durchschwej- ken“ können“. Freilich, das Hinterhältige an Schwejk bleibt, daß, wenn man ihn wegräumt, ein solches Loch klafft, daß man erst recht merkt, wo er gestanden ist.

Jaroslav Hašekwar ein Prager Original, Bohemien und Spaßmacher, stadtbekannt wegen der Streiche, die er seinen Freunden und Feinden, aber auch sich selbst spielte. Das geschah meist, weil er so selten nüchtern war. (Er konnte, so wird erzählt, sämtliche Rechte an einem seiner Werke einem Theaterdirektor für ein Glas Pilsner verkaufen.) Nicht immer aber war der Alkohol die Ursache der Streiche, oft gab es einen ganz realen Grund: der anekdotenselige Hašek suchte durch seine Art von Provokation Material für seine Geschichten. 19 stattliche Bände umfaßt im Original das erzählerische Werk des schon mit 40 Jahren verstorbenen Autors; der größte Teil ist erst nach 1945 in Buchform erschienen. In Hašeks Geschichten, heißt es in der Ankündigung des Verlages, habe es immer schon den Schwejk gegeben, bevor und nachdem er den Schwejk geschrieben hatte, das Buch, das in aller Welt den Anfang der modernen tschechischen Prosa repräsentiert Darum gab man dem neuen Auswahlband den Sammelnamen Schwejkiaden, um anzudeuten, daß auch in diesen 41 Humoresken und Satiren Schwejk gegenwärtig ist, auch wenn er nicht beim Namen genannt wird. Im Vergleich zu dem zwischen Gemütlichkeit und Verschlagenheit sprungbereit lauernden - Witz des „Schwejks“ sprudeln Hašeks Kurzgeschichten eher gemächlich. Sie handeln von seltsamen Drogisten, Handwerkern, kleinen Gewerbetreibenden, Wirten, Polizisten, Junggesellen, Lehnern, Katecheten, Schülern, Viehhändlern und sonstigen Zeitgenossen; auch hier gelingt es, aus allen Begebenheiten das Kuriose auf drastische Weise herauszufiltern. Hašeks grotesker Humor ist frei von jeder Intellektualität, er ist derb und lustig, schlagkräftig und pfiffig und nur selten überdreht und langweilig. Gleich die erste Geschichte des Bandes ist die schönste: „Die weiße Seele des guten Jaroslav Hašek erzählt“, wie schwierig es ist, in den Himmel zu kommen ohne gültige Ausweispapiere und ohne eine überzeugende Tat, nachdem sie sich von ihrem Körper getrennt hatte, der in Bud- weis wegen Hochverrats, begangen im Delirium tremens, erschossen worden war. Aber lassen wir ihn selbst für sich und seinen Humor werben, wie er es einmal in einem launigen Vorwort zu einem seiner Geschichtsbände getan hat: „Das Buch, das hiermit den geschätzten Lesern vorgelegt wird, ist wahrhaft geistvoll geschrieben und gehört durch die treffliche Auswahl der hier veröffentlichten Arbeiten, ihren künstlerischen Wert, die hervorragende Ausstattung sowie die Qualität des Papiers zu den größten Delikatessen der Weltliteratur. Ich bin überzeugt, daß dieses Buch des beliebten Autors wegen der edlen Tendenz, des brillanten Stils und der sprachlichen Schönheit, volles Verständnis, hohe Anerkennung und weite Verbreitung finden wird.“

SCHWEJKIADEN. Von Jaroslav H alek. Geschichten vom Autor des „Braven Soldaten Schwejk“. Aus dem Tschechischen übersetzt von Ehrenfried PoSpisü. Christian Wegner Verlag, Hamburg. 272 Seiten. DM 12.80.

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