Hofmannsthal - © FURCHE-Archiv

"Hofmannsthal" von Ulrich Weinzierl: Der Verachtete

19451960198020002020

Die Reaktionen auf Ulrich Weinzierls "Hofmannsthal" reichen von halbherzigem Lob bis zu unverhülltem Zorn. Sein Buch ist bestens recherchiert, aber ...

19451960198020002020

Die Reaktionen auf Ulrich Weinzierls "Hofmannsthal" reichen von halbherzigem Lob bis zu unverhülltem Zorn. Sein Buch ist bestens recherchiert, aber ...

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn Hugo von Hofmannsthal seiner verehrten Freundin Ottonie Gräfin Degenfeld-Schonburg ausdrücken wollte, dass er sie "namenlos und wunschlos lieb habe", floh er gelegentlich ins Englische, "um seine Passion in engen Grenzen zu halten". Für diese Formulierung muss man den Germanisten und Kulturkritiker Ulrich Weinzierl bewundern: präziser geht's nimmer. Bewundern muss man ihn ob einer Leistung, die fast an ein Lebenswerk grenzt. Der exzellente Kenner der österreichischen Literatur um 1900 hat sich für sein neues Buch "Hofmannsthal" durch eine Bibliothek gelesen: nicht nur die Sekundärliteratur zu Hofmannsthal, welche sintflutartige Ausmaße hat; nein, er kennt vor allem die 10.000 Briefe des Dichters, Librettisten, Essayisten. Jetzt erntet er für sein glänzend geschriebenes Buch nur verkrampfte Reaktionen, die von halbherzigem Lob bis zu unverhülltem Zorn reichen. Was ist da passiert?


Biografien verbeten

Hofmannsthal hatte sich Biografien ausdrücklich verbeten, und die Germanistik hat sich bisher ausnahmslos daran gehalten: Eine erstaunliche Tatsache, die etwa im biografie-begierigen Großbritannien undenkbar wäre. Weinzierls Fundgrube zum Leben des einst vergötterten Dichters nennt sich bescheiden "Skizzen zu seinem Leben". Der Verfasser wollte also dem postumen Fluch des Dichters entkommen, der da lautete: "Wer eine biografie macht, stellt sich gleich." Nur drei Aspekte aus Hofmannsthals Leben werden näher beleuchtet. Sein Verhältnis zum Judentum; sein Selbstbild als Adeliger und seine Freundschaften und Lieben. Gleich zu Beginn nennt Weinzierl Hofmannsthal ein Genie. Um ihn dann nach allen Regeln der Zitierkunst (947 Fußnoten!) als Mensch zu demontieren und als Dichter auch nicht mit einer einzigen Verszeile zu Wort kommen zu lassen.

Nähe erzeugt Hass

Für die Demontage gibt es genügend Gründe, die sich nach dem englischen Sprichwort "vicinity breeds hatred" bei immer größerer Detailkenntnis geradezu aufgedrängt haben dürften: Nähe erzeugt Hass. Hofmannsthal galt vielen als reicher Jude, gerade jenen, auf deren gute Meinung er Wert legte. Er hatte einen jüdischen Urgroßvater, gebärdete sich aber in seiner Korrespondenz bisweilen als peinlich-rabiater Judenfeind.

Er sei, um zum zweiten Aspekt zu kommen, dem Selbstbild als Adeliger, "nicht allein in Sachen des Meublements und der Kleidung, oft mehr auf Gothas als auf Goethes Spuren gewandelt". Da zitiert Weinzierl ein giftiges Bonmot von Walter Jens. Und der Freund und Ehemann Hofmannsthal erweist sich nicht selten als grausam, brüsk, ausbeuterisch im Geistigen, homoerotisch aufgeladen, aber feige, ein psychischer Sadist, gehässig. Kein Wort hat Ulrich Weinzierl erfunden, alles ist belegt. Aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Die wäre sicher ohne die freiwillig auferlegte Selbstbeschränkung auf die drei Themenkreise ans Licht gekommen, nämlich durch eine faire Verschränkung von Leben und Werk.

Für wen also ist dieses Buch geschrieben? Die, die Hofmannsthal nicht kennen, werden ihn nach der Lektüre dieser "Hinrichtung" nicht mehr kennen lernen wollen. Die Freunde seiner Gedichte, die Bewunderer des "Rosenkavalier"-Librettos werden, ja müssen peinlich berührt sein. Und die Insider haben vieles bereits gewusst.

Viele Jahre für Verachtung

Es ist schwer vorstellbar, dass jemand Jahre seines Lebens opfert, um ein Buch über einen Toten zu schreiben, den er von vornherein verachtet. Daher möchte man erfahren, was in Ulrich Weinzierl vorgegangen ist während des Forschens: Hat sich das negative Bild allmählich ergeben? Was hat das Fass zum Überlaufen gebracht? Wir werden es nicht erfahren, denn er gibt keine Interviews. Schade.

BUCH

Hofmannsthal

Skizzen zu seinem Bild

Von Ulrich Weinzierl

Paul Zsolnay Verlag, Wien 2005

319 Seiten, geb., e 21,50

Navigator

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung