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Der Weg des geringsten Widerstandes

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Daß der richtige Zeitpunkt verpaßt wird, mag noch psychologisch verständlich sein und als „allzu menschlich“ registriert werden. Weit kritischer ist es hingegen mit dem richtigen Ort. Denn gespart wird in der Regel — und nur allzu wenige Ausnahmen bestätigen diese Regel — am Punkt des geringsten Widerstandes. Aber dieser Punkt ist es zumeist, an dem ganz sicher nicht gespart werden dürfte, wenn nicht der eigentliche Zweck des Unternehmens geopfert werden soll. Weil außerdem die Punkte relativ geringen Widerstandes nur spärlich vorhanden sind, machen die dort erzielten Einsparungen überdies meist nur sehr geringe Beträge aus.

Wenn etwa im Haushaltsbudget gespart werden soll, dann ringt man sich zu dem Entschluß durch, pro Tag eine Zigarette weniger zu rauchen und nur noch einmal pro Woche ins Kino zu gehen — und vielleicht genügt es, wenn man der Hausbesorgerin nächstes Jahr nur fünf statt zehn Schilling Neujahrsgeld gibt. Und mit dem Ausmalen der Küche wartet man noch bis auf weiteres zu. Dagegen muß das Transistorradio unbedingt gekauft werden, weil ein Wochenendausflug ohne mitgebrachte Musik doch all zu traurig ist.

Wenn im Urlaubsbudget gespart werden soll, dann wählt man ein Arrangement, das man sich eben gerade noch leisten kann, und spart dafür nachhaltig an Ort und Stelle. „Gelato“ mjr am Sonntag, kein Liegestuhl am Strand, sondern das Handtuch aus dem Koffer, keine Motorbootfahrt nach Portofino, kein abendliches Einkehren in einer lauschigen Osteria, denn wir müssen sparen. Und wenn man versehentlich doch bei einem Besuch des Nachbarstädtchens in einem Ristorante landet, dann wählt man lieber Kuttelfleck um 600 Lire als Kotelette um 800 Lire — denn „200 Lire haben oder nicht haben, sind bekanntlich 400“. Na ja. Hinterher hat man das beruhigende Gefühl, im Urlaub weiter weg gewesen zu sein als alle anderen Kollegen — und sich die meisten Urlaubsvergnügungen versagt zu haben.

Wenn bei einer Zeitung oder Zeitschrift gespart werden soll, dann ist es das probateste Mittel, die Honorare der freien Mitarbeiter zu kürzen oder niedrig zu halten. Das macht nämlich im Monat unter Umständen ein paar tausend Schilling aus — und die Papierfabriken, die Gewerkschaft der graphischen Betriebe, die Trafikanten und die großen Nachrichtenagenturen geben es halt nicht billiger, irgendwo aber müssen wir doch sparen. Und freie Mitarbeiter gibt es ohnehin wie Sand am Meer. (Daß die besseren von ihnen dorthin abwandern, wo sie besser bezahlt werden, merkt man — wenn überhaupt — erst viel später.)

Nicht auf Kosten der Qualität

Wenn ein Rundfunkbudget gekürzt werden muß, dann werden vor allem die qualitativ hochwertigen Sendungen eingeschränkt, obwohl diese nur einen Bruchteil aller Sendungen darstellen und die gesamten Sendekosten wiederum nur einen Bruchteil des Gesamtbudgets ausmachen. Aber auch hier bricht sich dann die Neigung, am Punkt des geringsten Widerstandes einzusparen, erfolgreich Bahn. Denn, Hand aufs Herz, wie viele paar tausend der zwei Millionen Radiohaushalte werden schon die Opernübertragungen aus Salzburg oder ein literarisch wertvolles Hörspiel mit erstklassigen Schauspielern vermissen? Na eben. Und wenn man dagegen bedenkt, was für ein Aufheulen nicht nur durch die ganze Argentinierstraße gegangen wäre, wenn man im Personalstand durchgreifend reorganisiert hätte! (Wo doch die Leut’ eh schon so g’schimpft haben wegen der Abfertigung für einen einzigen Generaldirektor!)

Wenn ein Staatshaushalt gekürzt werden muß, dann sind die Probleme vollends so gewaltig, daß man am besten überhaupt nicht einspart. Anderseits sind auch die Einnahmsmöglichkeiten beschränkt — und so muß man halt doch ein bisserl sparen. Seufzend, aber doch. Also, zunächst einmal Einsparungskommissare. Dann eventuell einen Aufnahmestopp — nicht schlagartig, sonst können sich die betroffenen Ämter nicht rechtzeitig darauf einstellen. Und nicht total, weil sich ja immer wieder einmal die Notwendigkeit ergeben kann, daß doch da oder dort dringend eine Kraft gebraucht wird. Und dann eventuell ein bisserl sparen. Wo es nicht weh tut: vielleicht bei Lehrmitteln für ein Universitätsinstitut oder bei der Landesverteidigung (denn, unter uns: wenn der dritte Weltkrieg kommt, is’ eh alles für die Katz’, also wozu jetzt die Million herblatteln für Flugzeuge, die dann eh keinen Hug- platz in ganz Österreich finden?) oder beim Bürobedarf für die Finanzämter: da ein Radiergummi, dort ein Farb- bandl, es läppert sich!

Ich habe einmal eine hübsche Geschichte von einer Sitzung gelesen, bei der über die Verwendung von sehr viel Geld beschlossen wurde. Da stimmten wohlmeinende, aber in der Materie selbst keineswegs bewanderte Männer — entsprechend einer von ihren Partei- oder Klub- oder Vereinsfreunden ausgearbeiteten Vorlage — über den Bau eines Atomreaktors ab, der hunderte Millionen kosten sollte. Das war in ein paar Minuten vorbei. Nachher ging es um einen Fahrradschuppen für die in dieser Anlage Beschäftigten. Kostenpunkt: fünfzehntausend. Und hier tobte nun die Debatte zwei Stunden, hier wußte jeder halbwegs Bescheid, hier wurden die Vorzüge von Dachpappe gegen Schieferdach erregt erörtert. Und zuletzt gelang es tatsächlich, eine Einsparung durchzusetzen: für den Fahrradschuppen wurden im Budget nur elftausend statt fünfzehntausend — sagen wir: Escudos eingesetzt. — Eine Geschichte, die sich gewiß nirgends abgespielt hat, aber überall hätte abspielen können.

Wenn eine Gemeindeverwaltung spart, dann geht das nur allzuleicht auf Kosten der architektonischen Ästhetik oder auf Kosten der Qualität von Material und Arbeitsleistung. (Denn das grundsätzlich absolut zu bejahende Ausschreibungssystem basiert natürlich zum Teil auf dem Trugschluß, daß jeder Bewerber die absolut gleiche Leistung erbringen würde.) Wenn Verkehrsbetriebe sparen, dann verkleinern sie die Fahrscheine — und die Deutsche Bundespost zum Beispiel spielt oder spielte ernsthaft mit dem Gedanken, das Briefmarkenformat erneut zu verkleinern. Wenn Spitalsverwaltungen sparen, dann leidet darunter zumeist in allererster Linie die Verpflegung der Patienten. In den Gefängnissen spart man bei der Ent lohnung von Häftlingen, so daß diese — selbst wenn sie eifrig arbeiten — nach der Haftentlassung noch lange Zeit an den Gefängniskosten abzuzahlen haben.

Wer nur bei sich selbst in seiner eigenen Familie sparen will oder muß, der wird über kurz oder lang einen Weg finden, um mit seinem Geld auszukommen; und wenn dann die Waschmaschine tatsächlich Vorrang haben soll vor dem neuen Wintermantel, dann ist das eben der Lebensstil des Betreffenden, den man — achselzuckend zwar — halt „nach seiner Fasson selig werden" lassen muß.

Die „öffentlichen Gelder“

Bei öffentlichen Geldern, bei öffentlichen Stellen liegen die Dinge anders. Kaum einer der Verantwortlichen wird persönlich durch Sparmaßnahmen betroffen, und wenn er in seinem Ressort nicht sorgsamst haushält, dann muß er deswegen nicht jeden zweiten Tag Erdäpfelgulasch essen. Im Gegenteil: je mehr Personal (nötiges und unnötiges), je mehr Material und Geldmittel ihm zur Verfügung stehen, desto höher ist sein Rang, desto wichtiger seine Beförderung, desto größer seine Bedeutung.

So kommt es zu dem „Parkinson- schen Gesetz“ der Büropostenvermehrung und so kommt es zum Scheitern aller Bemühungen um eine Verwaltungsreform. Denn eingespart wird eben stets am Punkt des geringsten Widerstandes — vor allem also beim Material (Baumaterial bei Wohnbauten, Verpflegung in den Spitälern, Farbbändern in den Büros, Glühbirnen im Haushalt) und dann dort, wo sich möglichst wenig lärmender Widerstand erhebt. Der lauteste Widerstand aber erhebt sich zumeist dort, wo das Wissen um die fehlende Existenz- berechtigung am größten ist. Wer seine Position bedroht fühlt, weil er wenig Sinnvolles zu tun hat, der errichtet einen Wall von belangloser Zusatzarbeit um sich, stöhnt demonstrativ unter der Last der Geschäfte — und bringt es schließlich zu einer zusätzlichen Hilfskraft. Was die Durchführung von Sparmaßnahmen noch besonders erschwert, das ist der dazu notwendige Mut zur Unpopularität — zumindest zur Unpopularität bei jenen, die die Opfer dieser Sparsamkeit wären. Und darum wird so selten und fast immer am falschen Platz gespart.

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