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DER WEIHNACHT WIRKLICHKEIT

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Sinnend stehen wir wieder vor der Krippe und versuchen, ihre Botschaft hier und heute zu verstehen. Wir halten daran fest, daß es sich um ein fact und keine flction handelt. Jesus Christus ist als echter Mensch von Maria um die Zeitenwende in Palästina geboren worden. Sein Erscheinen bedeutet eine welthistorische Wende, Sein Anspruch (das Reich) erstreckt sich über alle Menschen. Er ist für alle gekommen und hat eine echte Botschaft vom himmlischen Vater. In Ihm Ist Gott Mensch und der Mensch Gott geworden. Weihnachten ist damit nicht nur Vergangenheit (es geschah in den Tagen des Kaiser Augustus), es ist Gegenwart (allen, die an Ihn glauben, gibt er Macht, Kinder Gottes zu werden). Sein Reich, Seine Herrschaft über die Herzen, ist im Wachsen, die Erfüllung steht noch aus. Das ist die Zukunftsdimension.

Wir schauen auf das gewohnte, so liebevoll gestaltete Bild der Krippe. Führt es uns wirklich zur wesentlichen Erkenntnis oder lenkt es nur ab?

Da beginnen die Schwierigkeiten. Die dichtende, liebenswürdige Volkspoesie und die Künstler haben alles so lieblich ausgestattet. Doch liegt das nicht im biblischen Bericht selbst begründet? Erzählt er nicht von Krippe und Stall, Engel und Sternen, Hirten und Weisen? Die moderne Bibelkritik spricht von einer „bildlichen Einkleidung“. Die Engelserscheinung sei bereits Deutung der Botschaft. Es ist ein Kreuz des modernen Menschen, daß die Häufung von Wundern ihm den

Weg eher verstellt als frei macht. Drum wollen wir beide Deutungen gelten lassen. Wenn wir immer nach dem Wesentlichen fragen und die Ausschmückungen nicht so stark betonen, verstehen wir die Frohbotschaft am besten.

Was wissen wir wirklich von Seiner Ankunft und Kindheit? Recht wenig. Das Wunderkind unserer Legenden war Er gewiß nicht. Wir sehen heute mehr Seine Herauf-kunft von den Menschen und nicht den versteckten Gott. Auch die Theologen haben dafür die fixe Formel, so sehr sie seit Anfang darum gerungen haben, nicht in der Tasche. Die Aussagen der Heiligen Schrift lassen sich nicht unter einen Hut bringen. Paulus hat eine andere Theologie als Lukas, Johannes faßt das Christusgeheimnis anders als die Synoptiker. Vereinfachen wir nicht, wo es nicht geht.

Das eine steht fest: es geht um Ihn, Seine Gestalt, Sein Wort und Seinen Willen. Wir können das nicht auf einmal ganz in den Blick bekommen. Darum ist Jesus auch in gewisser Weise bis heute ein Fremder geblieben. Das Volk spricht vom Herrgott am Kreuz, sieht in der Eucharistie nicht den Leib des Herrn, sondern nur den verhüllten Gott. Das Jesuskind wird ins Märchenhafte verzeichnet. Ist die Schrift dran schuld, oder die Theologen und Prediger, oder liegt es in der Natur der Sache? Es gibt keine Psychologie Jesu. Warum ist die einst so populäre Gestalt des Herzen Jesu so rasch verblaßt? Müßten wir vielleicht im Geiste nach dem lebendigen Jesus suchen oder einfach seinen Geist, den Er verheißen hat? Weist das über die Bibel hinaus ins Freie, Unmittelbare?

Oder wird Jesus und Seine Botschaft uns erst in der Nachfolge klar? Wie kann man mit der Bergpredigt fertig werden? Warum ist die katholische Moraltheologie auf den zehn Geboten und nicht auf dem Evangelium aufgebaut? Stehen wir erst am Anfang? Vielleicht weisen die neuen Versuche der Nachfolge einen Weg? Die französischen Arbeiterpriester, die Kleinen Brüder und Schwestern Jesu, die Foko-lare. — Sind wir mit dem herkömmlichen Christentum wirklich am Ende? Steht ein neuer Aufbruch im Geiste des Volkes Gottes bevor? Bricht das alte Haus zusammen? Sehen wir nicht, wie die alte streng hierarchische, feudale, kuriale Struktur der Kirche mit der neuen des Volkes Gottes schwer zu vereinen ist? Kein neuer Kodex, keine bischöfliche oder päpstliche Kurie, noch so perfekt, kann uns helfen. Eher verstellen sie uns die Sicht. Es geht um etwas anderes. Ist es nicht tragisch, daß das, was die Katholiken scheinbar am meisten einit, die große Einigung mit den andern verhindert? Gilt nicht auch hier das große Jesuswort: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein?

Aber hat das noch etwas mit Weihnachten zu tun? Ziehen wir damit nicht weit fort von der Krippe? Weihnacht heißt Menschwerdung Gottes, das heißt: Jesus ist in den Stall und die Krippe und das Chaos der Zeit hineingeboren worden. In Macht und Herrlichkeit kommt Er später.

Wir müssen Weihnachten mit unserer Zeit und unseren eigenen Verhältnissen konfrontieren. Das Märchen interessiert uns nicht, die rauhe Wirklichkeit soll erklärt und geändert werden. Jede Generation muß die Botschaft neu bedenken. Man kann nicht sagen, daß alles sich ändert, im Gegenteil altes und neues hängen zusammen.

Der Weg dahin ist weit und schwer. Selbst die Weisen aus dem Morgenland verloren zeitweise den Stern aus dem Blick und mußten mühsam suchen.

Es bleibt bestehen: Jesus, einmal geboren, muß trotzdem immer neu in den Herzen und in der Welt wiedergeboren werden, bis alles vollendet ist. Weihnacht war Anfang, zu-

gleich aber wurde auch das Ziel anvisiert: das Reich Gottes. Wir können die Fragen, die aufgeworfen sind und heute etwa in der christlichen Literatur mit einer nie dagewesenen Offenheit und Radikalität ausgesprochen werden, nicht zum Schweigen bringen. Der Kommunismus kann vielleicht auf die Linie Stalins zurückgeschraubt werden, aber die Kirche kann nicht mehr auf den Stand vor Johannes XXIII. gebracht werden. Es geht nicht um die Institution, es geht um seine Sache in unserer Zeit und Welt.

Weihnachten 1967 heißt, daß wir auf Ihn schauen, auf Ihn hören und Seine Botschaft zu verwirklichen suchen in der ganzen Weite christlicher Existenz.

Vielleicht ist die geistige Umstellung das Schwerste dran. Es bringt die Schmerzen einer echten Geburt.

Und wenn wir zu ganz unerwarteten Ergebnissen kommen? Wenn das Unterste zu oberst gekehrt werden muß? Auch dann. Weihnachten ist die Frage nach dem Christentum unserer Tage. Verallgemeinernd kann man das, was Jesus mit dem Worte Reich Gottes meint, das so schwer verständlich ist, einfach das Christentum nennen. Wieviel ist davon wirklich da?

Wir können beides sagen: viel und wenig. Im Laufe der Zeit hat sich unter dem Einfluß Jesu das Denken der Welt geändert, aber diese Änderung reicht nicht tief unter die Haut. Machen wir etwa die Probe mit der Frage nach dem Weltfrieden. Es wäre kindisch, zu glauben, in den nächsten hundert Jahren würden wir den großen Frieden haben. Da müßten alle Wölfe zu Lämmern werden. Davon merkt man aber noch nichts. Die Angst allein kann keinen Krieg auf die Dauer verhindern. In hunderttausend Jahren wird sich vielleicht die Rasse Mensch ändern. Aber noch merken wir nichts von einer Mutation, nicht einmal bei uns selber. Nur Ihn haben wir als Vorbild und Zeichen.

Der Kirchenvater hat gesagt: Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch Gott werde. Tedlhard de Chardin hat den Gedanken auf seine Weise neu aufgegriffen. Auf kurze Sicht ist es noch zum Verzweifeln, auf lange Sicht dämmert ein Licht auf. Die Hoffnung wächst. Der Glaube wird schwerer, die alten Bilder tragen nicht mehr, alte Stützen fallen, wir tappen ins Freie hinaus. Wer kann in der dünnen Luft leben?

Doch wir haben Ihn. Die ungeheuren Bilder haben auch für uns ihre Ausdruckskraft: das hilflose Kind in der Krippe, der Leichnam auf dem Kreuz. Der Glaube an den barmherzigen Vater, der uns liebt, aber die conditio humana noch nicht ändert, die Hoffnung, daß alles bewahrt bleibe bei Ihm, die strahlende Gestalt des Herrn, wie Er unter den Menschen gelebt hat in dieser Tiefe und Lauterkeit. Vor allem aber die Gegenwart Seines Geistes, den Er versprochen und geschickt hat und immer wieder schickt, auch uns.

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