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Der „weiße Mann“ vom Naßfeld

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An einem Sommertag des Jahres 1778 sahen die Almbauern am Gailtaler Naßteld in Kärnten, wie so oft schon, die Gestalt des „weißen Mannes“ an den steilen Bergwiesen herumklettern. Sie fanden nichts Besonderes daran, verwunderten sich nur über die kaum glaublidie Behendigkeit des Jesuitenpaters Wulfen, der wieder einmal den seltenen Blumen und Pflanzen nadistieg. Mit einem Male scholl gellendes Pfeifen und der wiederholte Ruf: „O, o, cospetto di baeco!“ an ihr Ohr, das war Wulfens Lieblingsruf, und er galt diesmal der Entdeckung einer Blume, die sich in der Folge als ein Unikum in Mitteleuropa erweisen sollte. Bei den einheimischen Bauern unter dem schlichten Namen K u h t r i 11 bekannt, kommt sie am Naßfelde, einem etwa 1500 Meter hoch gelegenen Almgebiete, so zahlreich vor, daß ein Aussterben wohl noch nicht zu befürchten ist. Da außer auf dem Balkan und im Kaukasus bisher keine Fundorte bekanntgeworden sind, rechtfertigt es die Seltenheit der Pflanze wohl, daß sie zur ureigensten Kärntner Blume wurde und von der Wissenschaft den Namen Wulfenia carinthiaca Jac-q u i n erhielt.

Wulfen, ihr Entdecker, war als Gelehrter, Mensch und Priester eine gleich ehrwürdige Erscheinung und genoß zudem als Botaniker europäischen Ruf. Sein reiches Leben war so innig mit Kärnten, in dessen Hauptstadt er lange Jahre als Professor Mathematik und Physik lehrte, verbunden, daß ihn dieses Land mit vielem Recht als den Seinen bezeichnen darf. Im Jahre 1728 als Sohn eines österreichischen Offiziers in Belgrad* geboren, besud)tev er zuerst das Gymnasium in Kaschau und trat dann schon im Alter von 17 Jahren in den Jesuitenorden ein. Verschiedener Umstände halber mußte er seinen Lieblingsplan, Missionär zu werden, aufgeben und das Gymnasiallehrfach als Beruf wählen. Nach kurzen Stationen in Görz, Wien und Laibach landete er in Klagenfurt, hier 42 Jahre seines Lebens verbringend.

Von Natur besonders dazu prädestiniert, große Anstrengungen leicht zu ertragen, war er trotz seiner Kurzsiditigkeit im Sudien von Pflanzen sehr erfolgreich. Da er zur Zeit der Sommerhitze den Talar mit einem weißen Leibchen und den großen Hut mit einer weißen Haube zu vertauschen pflegte, hieß er bei den Einheimischen „weißer Mann“. Wenn, man weiß, daß Wulfen anfangs in größter Armut und Bescheidenheit leben mußte, um mit seinem Monatsgehalt von nur 16 Gulden auskommen zu können, wird man sich seine Bedürfnislosigkeit, die er sich Zeit seines Lebens bewahrte, erklären können. Einst beklagten sich seine Begleiter auf einer Alpe über den völligen Mangel an Trinkwasser, als Wulfen auch schon aufsprang, sich Sdinee holte und diesen aufs Brot streichend zu seinen Freunden sagte: „Seht, meine Herren, auch das stillt den Durst!“ Dem Kreise jener wissenschaftlich tätigen Männer angehörend, die Kardinal Salm um sich sammelte, nahm er auch an dessen Reise Anno 1799 zur Ersteigung des Großglockners teil. Im Tagebuch des Konsistorialsekretärs Zoppoth heißt es darüber: „Es war ein rührender Anblick, den ehrwürdigen Greis in seiner gewöhnlichen Toga, von welcher das Wasser abträufelte, auf einem vom Hüttenbau übriggebliebenen Haufen Sägespäne ausruhen zu sehen.“ (Bei der alten Salm-Hütte.)

Für seine jährlichen Studienreisen, auf denen er, methodisch vorgehend, allmählich ganz Kärnten kennenlernte, war er anfangs auf die Beihilfen verschiedener Persönlichkeiten angewiesen, die ihm auch immer reichlich zuteil wurden. Vor allem ist es Franz von Mygind, Kommerziendirektor in Wien, der den jungen Wulfen nachhaltig fördert. Und die Frucht dieser Reisen? In den Jahren 1778 bis 1790 erschienen in Jacquins Sammelsdiriften „Miscellanea and Collectanea“ unter dem Titel „Rariores plantae ^arinthiaca“ jene 364 klassischen Beschreibungen von Pflanzen Kärntens, weldie Wulfens Ruhm für alle Zeiten festgegründet haben. Sein Hauptwerk, die „Flora norica“, ein Oktavband von 816 Seiten, ersdiien erst lange nach seinem Tode im Jahre 1858. Als

Nachfolger der berühmten Botaniker Linne“ und Jacquin herrschte Wulfen als anerkannt Größter im Reiche der Pflanzen. Eine ganze Reihe von Neuentdeckungen trägt seinen Namen, aber eigentlich volkstümlich und in Kärnten unvergessen wurde er durch die Wulfenia vom Gailtaler Naßfeld!

Wulfen war ein großer Briefschreiber. Die meisten seiner in einem meisterhaften Französisch geschriebenen Briefe sind uns erhalten geblieben. Es kommt oft vor, daß er, in eine gewisse Begeisterung geratend, mitten im Brjef deutsch zu schreiben anfängt. So etf-a: „. . . Dans mes lettre anterieur iL vous et i Möns, de Linne, je crois, avoir dit assez de ce, que j'avais vu ou trouve“ de singulier depuis Clagefort, jusque Melbrücken, wo die Mel alles das gesamte häufige Schnee- und Eiswasser von ganz Großkirdiheim in die Drau entladet.“

Wer Wulfen als vollendeten Naturforscher bewundert, vernimmt mit Staunen, daß er auch ganz Seelsorger war. Ein Zeitgenosse schreibt: „... Man kann sidier sein, daß Wulfen in Klagenfurt mehr Stunden als Priester an Krankenlagern wie als Forscher daheim in seinem Zimmer zubrachte! Und die Lösung? Mit Schlag drei Uhr früh steht er auf, sowohl im Winter als auch im Sommer!“ Als im Jahre 1789 in Klagenfurt eine Typhusepidemie wütete, starben in kurzer Zeit nicht weniger als sechs Priester und zwei Militärärzte daran. Der tapfere Wulfen antwortete, als man ihn fragte, wieso er sich noch in das Militärspital zu gehen getraue: „Der Tod fürchtet mich, nicht ich den Tod!“ Freundlich und mitteilsam gegen jedermann, gewann er sich durch seine gemütliche Heiterkeit rasch die Liebe seiner Sdiüler, durch seine wahrhaft aufopfernde Menschenliebe aber die Herzen des Volkes. Bezeidinend für seine Anschauungen ist die Stelle eines Briefes an den Naturforsdier Jacquin vom 18. Dezember 1774, als es sich darum handelte, unter welchem Titel Wulfens Name in Jacquins Sammelwerk ersdieinen solle. „J'aime mieux qu'on m'apelle un sot etc. que de me donner le titre de baron. Je suis Jesuit et mourrais Jesuit — ä dieu!“

Nach nur dreitägigem Krankenlager erlag Wulfen im Frühjahr 1805 einer Lungenentzündung. Seine letzten Stunden drückten den Siegel auf sein ganzes Leben. Als der Priester mit dem Allerheiligsten ins Zimmer trat, sprang der schon in Agonie Liegende, wie von neuem Leben beseelt, aus dem Bett und empfing auf den Knien das Sakrament mit so heiligem Entzücken, daß alle Anwesenden zu Tränen gerührt waren.

Beim Leichenzug — großartig, wie ihn Klagenfurt bis dahin noch nie gesehen hatte — “waren die Fachgelehrten von Wien, Graz, Innsbruck und Laibach vertreten. Und das hatte bei dem damaligen Kutschenverkehr schon allerhand zu sagen. Zwisdien der Bürgersdiaft und den Studenten — es war ja ihr Pater Wolf! — kam es zu einem edlen Wettstreit, wer den Sarg tragen dürfe, die Studenten blieben Sieger! Es ist aber grotesk, sich vorzustellen, daß der Leidinam des so viel geehrten Gelehrten bei dieser prunkvollen Beerdigung ohne Kopf im Sarge lag! Und das kam so: Auf Grund irgendeiner sanitätsbehördlichen Verfügung wurde der Schädel vom Rumpfe getrennt und kam später in die Sammlung des Erzherzogs Johann. Auf der Wiener Weltausstellung in den siebziger Jahren der verflossenen Jahrhunderts sah man ihn wieder, neben dem Schädel eines — Raubmörders. Später nahm ihn der Kärntner Geschichtsverein in seine Obhut. Wulfens Grabdenkmal wurde schon vor längerer Zeit aus dem St.-Ruprechter Friedhof in den Garten des Klagenfurter Museums übertragen, wo es nun einen seiner Formschönheit würdigen Platz besitzt. Die große Bibliothek erbte sein Freund, der Generalvikar Hohenwart (später Bischof von Linz), der einstens sein Schüler gewesen war und mit dem Wulfen bei einer botanischen Exkursion in den Steiner Alpen einen dauernden Freundschaftsbund geschlossen hatte.

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