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Der wiederentdeckte Entdecker Zar zuras

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Geschichten überlagern sich oft wie Sedimente. Aus einem einzigen Material entstehen die . wunderlichsten Formen, verdichtet von Erzählern, gefaltet von Jahrhunderten, verschüttet vom Vergessen. Ein Anschnitt kann wie ein Canyon die Geschichte der Geschichten freilegen. Die oberste Schicht legen wir selber auf, wenn wir uns als Begeisterte an der Überlieferung beteiligen.

Ein neues Buch des Haymon-Verlages geht auf so eine Canyon-Begei-sterung des Dichters Raoul Schrott zurück. Als Kind war er beeindruckt vom Buch „Unbekannte Sahara” des Wüstenforschers Almäsy, geschrieben 1939. Zwei Geschichten entfachen dort die Sehnsüchte: die Suche nach der verschollenen Oase Zarzura, und die Entdeckung von Felsbildern ;mit

„Schwimmern in der Wüste”. Beides Beweise, daß vor ein paar tausend Jahren Teile der Sahara noch wasserreich und blühend waren. Raoul Schrott ist kürzlich per Landrover seiner Jugendsehnsucht nachgefahren und hat beides vorgefunden: die Reste der mythischen Oase, und nicht weit davon die berühmten Felsbilder im Original.

Der Hauptteil des neu erschienenen Buches ist der Reprint von Almä-sys Buch von 1939, zusammen mit der Abbildung der Schwimmer. Die Fachleute datieren die Bilder in die Zeit zwischen 8.800 und 3.300 vor Christus, als dort tatsächlich temporäre Seen mit beträchtlichen Wassertiefen existierten. Aber die Geschichte von Almäsy und den Felsbildern hat inzwischen ganz andere Nebengeschichten erzeugt: Der Kanadier Ondaatje schrieb einen Roman um die Gestalt des Almäsy (1992), und darauf folgte der spektakuläre Film dazu: „Der Englische Patient” (1996). Der Kinogänger erinnert sich an die eindrücklichen Ur-Schwimmer zu Beginn, schwarz auf rauhfarbigen Untergrund gemalt. Dieser Gag ist leiderfast das einzig Echte, während der Rest Hin-zu-Geschichte ist.

Die andere Geschichte, vom verschollenen Zarzura, war schon für Almäsy ein Canyon, vor dem er staunend stand: Er folgte Spuren durch die arabischen Legenden, fand sie in Tausendundeiner Nacht als „die Messingstadt”, in Handbüchern für Schatzgräber als „eine Stadt weiß wie eine Taube”, und zuletzt erwähnt bei englischen Wüstenforschern von 1835, die sie auch nur vom Hörensagen kannten. Was Almäsy 1933 schließlich vorfand, war „ein Wadi, 24 Kilometer lang und durchschnittlich 200 m breit... Auf der ganzen Fläche Gras und Salambüsche nahezu verdorrt... Überreste von Tibbu-Grashütten sowie Kamel- und Rinderknochen als Kunde von vergangenen besseren Zeiten”. Der Entdecker lenkt seine mythische Begeisterung ohne Enttäuschung um ins Geographische: „Ist nicht die Tatsache des Vorhandenseins einer Oase im Innern der bisher unerforschten Wüste um vieles überzeugender als Märchen und Legenden?”

Schon Almäsy hat als Randgeschichten eingeflochten, was einmal Zentralgeschichte war. Der Perserkönig Kambyses zieht 520 vor Christus mit 40.000 Mann vom Nil zur Oase

Siwa. Die Armee wird „beim Frühstück” von einem Sandsturm vernichtet, wie Herodot berichtet. Almäsy entdeckt von der Katastrophe die letzten Wegzeichen aus Stein im Sand. 200 Jahre später legt Alexander der Große auf der gleichen Route Wasserdepots an, Almäsy sieht die Scherbenfelder der Amphoren. Napoleon hat Kartographen in seinem wissenschaftlichen Stab, Almäsy kartographiert die letzten weißen Flecken in der Karte dieser Wüste.

Raoul Schrotts editorischer Anschliff präpariert weitere Einschlüsse heraus. Almäsy blieb nach seiner Expedition in Afrika, wechselte im Zweiten Weltkrieg von der britischen zur deutschen Seite, organisierte 1942 während des Rommel-Feldzugs ein Geheimkommando, bei dem er zwei deutsche Spione über 2.000 Kilometer durch „seine” Wüste bis an den Nil eskortiert. Das Husarenstück gelingt, Almäsy kommt, grüßend an englischen Patrouillen vorbeifahrend, heil zurück.

Zum Wundersamen kommt hinzu, daß des Autors Fahrtenbuch, damals von den Engländern konfisziert, während der Arbeitan diesem Buch im britischen Kriegsarchiv ausgegraben wurde. Es ist im Buch vollständig abgedruckt. Auch diese Fährte führt bis zu uns heran: Raoul Schrott findet auf seiner Fahrt am Rand der Piste auch den Bedford wieder, den Almäsy bei seinem Kommando vor 55 Jahren listig mit einer Handvoll Sand in den Motor fahruntauglich gemacht hatte. Er „steht noch aufgebockt, als hätte man die Reparatur gerade erst aufgegeben”.

Eine Geschichte für sich ist das Leben dieses Almäsy. Jahrgang 1895, ungarischer niederer Adel, vom letzten Kaiser in den Grafenstand erhoben, Autodidakt in vielen Fächern, Werksvertreter der Steyr-Automobile in Ägypten, Fluglehrer, Vertrauter Rommels, Realist und Träumer. Er stirbt, nach dem Krieg in russischen Gefängnissen schwer mitgenommen, 1951 in Salzburg. Auf seinem Grabstein dort steht, mit einer Wendung ins Poetische: „Pilot, Saharaforscher und Entdecker der Oase Zarzura.”

Seine Geschichte lebt: Biographien über ihn und auch ein Museum in seinem Geburtsort Schloß Bernstein im Burgenland sind im Entstehen. „Schwimmer in der Wüste” ist ein poetisches Geschichtenbuch mit lauter historischen Geschichten und, was die Schwimmer betrifft, auch wunderbaren Bildgeschichten.

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