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DER WIRT VON EMMAUS

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„Tief drunten in Rußland erlebte ich Ostern wie nie zuvor und vielleicht auch nie mehr künftig im Leben“, erzählte der Heimkehrer, „denn da bin ich dem Wirt von Emmaus begegnet und habe an dem Tisch gesessen, an dem der Herr mit Seinen Jungem gerastet.“ Seine Angehörigen blickten ihn verwundert an. Emmaus — das lag doch im Heiligen Lande — wie kam er zu dieser Behauptung? Aber er lächelte eigen und sagte nach einer kleinen Pause:

„Die Heilsgeschichte wirkt weiter bis in unsere Tage hinein, ihr werdet es mir gleich bestätigen, wenn ich euch von dem Russen erzählte, dem ich in jenem Dorf hinterm Knie des Don begegnete. Es waren noch jene Tage, da wir zuversichtlich in die Zukunft sahen, noch war die Front nicht ins Wanken geraten. Ich lag dort mit meinen Leuten im Quartier. Wir hatten ruhige Tage, und eines Abends suchte ich auch die kleine, unscheinbare Schenke am Dorfrand auf, denn ich wußte, daß Bier dorthin transportiert worden war. Rein äußerlich unterschied sie sich kaum von den geduckten Katen der armen Bauern des Dorfes. Aber als ich eintrat, blieb ich fast betroffen stehen, so sauber und licht sahen mir die frisch geweißten Wände entgegen, die blanken Tische! Auch der alte Mann hinter der Theke machte einen guten Eindruck, sein langer Bart war blütenweiß, wie frisch gewaschen. Ansonsten war er das Urbild eines russischen Dörflers, mehr breit als groß, ein faltenreiches Gesicht mit hohen Wangenbögen und hellen Augen und einem einfältigen Lächeln um den Mund.

Ich setzte mich ohne Umschweife an den nächstbesten Tisch. In einer bauchigen Vase standen ein paar künstliche Blumen — Osterblumen. Ja, ich erinnere mich, daß wir in wenigen Tagen Ostern hatten, man vergaß es hier fast. Schon wollte ich die Beine ausstrecken und es mir gemütlich machen, da kam der Alte heran und murmelte untertänig: „Pan Offizier, bitte, willst du so gut sein und dich an einen anderen Tisch setzen?“ Ich sah mich erstaunt um, ach so, dieser war reserviert. Erwartete der Wirt noch eine Abendgesellschaft? Es sah doch nicht danach aus. Aber ich pflegte nicht den großen Herrn herauszukehren und setzte mich selbstverständlich nebenan. Jetzt entdeckte ich mit Staunen,daß gerade über dem Tisch, wo ich gesessen, ein großes russisches Kreuz hing, mit den bekannten drei Querbalken — ebenfalls mit Osterblumen geziert. Der Alte trat abermals zu mir, stellte das Bier vor mich hin und sah mich forschend an: „Bist du ein Christ, Pan Offizier?“ fragte er vorsichtig. Ich lächelte und sagte, daß ich katholisch sei. Sein Gesicht leuchtete auf. Er stützte die Hände auf den Tisch und sah mich abermals lange an, dann, als habe er Zutrauen gefaßt, sagte er entschuldigend: „Pan Offizier, jener Tisch bleibt frei, auch wenn keiner kommt, denn — er ist für den Herrn. Du mußt wissen, Väterchen Jesus Christus ist einmal bei mir eingekehrt mit Seinen beiden Jüngern.“ Ich lächelte und glaubte zu begreifen. Der Alte war nicht recht im Kopf, ein harmloser Fall allerdings. Er setzte sich umständlich mir gegenüber und sagte, als errate er meine Gedanken: „Du fragst nicht, wann und wie, Pan Offizier, darum sehe ich, daß du mir nicht glaubst. Wenn du aber das heilige Gotteswort richtig verstehen lernst, dann weißt du, daß wir in jedem unserer Nächsten den Herrn aufnehmen, am meisten aber in seinen Stellvertretern. Glaubst du das?“ Ah* da hinaus wollte er. Ich wußte mich zu erinnern, daß ich im Dorf ein paarmal den Namen ,Emmaus-Wirt' hatte fallen hören, wenn von ihm die Rede war, und hatte das für einen Beinamen gehalten, der ihm im Scherz zugelegt worden war. Nun horchte ich auf. Der Alte sah mein zustimmendes Nicken und sagte leise:

„Das ist nun zehn Jahre her, damals war die Priesterver-folgung im Gange, sie flüchteten unerkannt von Ort zu Ort, aber die meisten wurden am Ende doch gefaßt. Unseren Popen hatten sie kurzerhand erschossen, als er sich weigerte, die Kirche zu profanen Zwecken herzugeben. Nun, unser Dorf war verwaist, ein neuer Pope kam nicht. Vergeblich warteten wir, daß auch zu uns einmal ein heimlicher Priester käme, wir lagen zu weit ab. Eines Abends nun um Ostern herum, es war kurz nach dem Fest, klopften drei abgerissene Hausierer bei mir an und baten um Unterkunft. Sie handelten mit allerhand brauchbaren Dingen, ich wies sie nicht ab und gab ihnen jenen Tisch dort, da konnte ich sie gut beobachten. Sie gefielen mir, in ihrer stillen Art, und ich fragte, was ich bringen dürfte. Der Älteste, der einen grauen Bart hatte und sehr erschöpft war, sagte zögernd, ob ich Weizenbrot im Haus hätte und etwas Wein. Nun, das waren kostbare Dinge, aber — ich hätte sie auch ohne das Geldstück gebracht, das mir einer seiner beiden jüngeren Gefährten stumm hinschob. Ich hatte gleich Vertrauen und Mitleid. Sie sahen so abgehetzt aus! Sollten sie sich einmal bei mir guttun. Sie waren die einzigen Gäste. Draußen regnete es in Strömen. Ich brachte also das Verlangte und zog mich hinter die Theke zurück. Da saßen diie drei und rührten nichts an, vielleicht waren sie zu erschöpft. Ist ja auch keine Kleinigkeit, bei dem Wetter — plötzlich erschrak ich. Der Alte in der Mitte, der mit dem grauen Bart, neigte sich vor — wurde er ohnmächtig? Nein, tief beugte er sich über den Teller, auf dem das Weizenbrot lag, nun nahm er es dn die Hände, brach es, hob still die Augen zum Himmel — ich taumelte gegen die Wand — ich erkannte ihn am Brotbrechen. Und ich zitterte, als er sich abermals neigte über das Glas mit rotem Wein. Und dann kniete ich. Aber ich stand unter einem jähen Gedanken wieder rasch auf, ging zur Tür und verriegelte sie fest. Dann trat ich zum Tisch und bat unter Tränen, teilzuhaben an diesem Abendmahl des Herrn. Die drei hatten bereits empfangen, es blieb genug für mich und das ganze Dorf. In der Nacht holte ich die Leute zusammen, erklärte ihnen, daß ein fliehender Bischof bei uns eingekehrt war mit zwei neugeweihten Jungpriestern. Es war Ostern, Pan Offizier.

Am anderen Morgen waren sie verschwunden, so jäh, so still, wie der Herr den Emmausjüngern entschwand. Die Weite unseres Landes nahm sie auf — Gott schütze sie. Es war seither das letzte Osterfest, das wir als Christen würdig feiern konnten. Seitdem, Pan Offizier, warte ich auf die Rückkehr des Herrn — du verstehst. Ich halte Seinen Tisch reserviert, wer auch kommen mag. Und sollte ich Ihm je wieder begegnen, dann kann ich in Frieden scheiden. Vielleicht, daß Er nochmals beim Emmauswirt einkehrt, denn es will Abend werden...“ Das Wasser trat in seine hellen Augen, er wandte sich ab. Mir aber war das Licht der Osternacht aufgegangen, mitten in der Finsternis, wie nie zuvor. Ich werde mein Leben lang davon zehren ...“

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