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Der Zirlcus

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An einem Abend kam das Karele atemlos auf den Hof gelaufen und schrie uns zu, durch die Leopoldstraße tanze ein richtiger Bär herab. Wir ließen alles Hegen und stehn und rannten mit. Schon drängte sich dort ein Spalier von Neugierigen. Zwei bunt gekleidete Männer führten den kleinen Trupp, sie hatten kalkweiße Gesichter mit blutroten Nasen und machten mit unbekannten Instrumenten Musik; es klang nach Trommeln und klirrte von metallenen Schellen. Der langweilig graue Nachmittag war plötzlich weg. Hinter beiden ritt ein Mädchen in himmelblauem Trikot auf einem schwarzen Pony und lächelte. Dann kam der Bär, auf zwei Beinen tappend, den Ring in der Nase, an langer Kette von einem braunen Mann geführt, dem das Haar In schwarzen Kringeln ins Gesicht fiel. Den Zug beschloß ein Kamel, auf dem ein winziger Affe hockte, eine lange, dünne Kette um den Hals. Das rote Samtjäckchen, aus dem ein unendlich, schön sich ringelnder Schwanz hing, entzückte uns, seine zwinkernden Augen sahen furchtsam musternd, traurig und frech zugleich ins Publikum, und hin und wieder bleckte er die Zähne; das sah nach Wut und Gelächter aus, doch paßte beides nicht zu den schwermütig bewegten Lidern. Die kleine Truppe bog auf den Platz mit dem Springbrunnen ein und stellte sich dort zurecht. Nun sollte der Bär tanzen. Der Mann, der ihn führte, holte ein schwarzes hölzernes Rohr mit metallenen Klappen hervor und blies darauf; dazu schlugen die zwei Kalkgesichter ihre runden Trommelteller und schüttelten sich, daß die Glöckchen schwirrten. Der Bär wiegte den schweren Kopf langsam hin und her und trat von einem Fuß auf den anderen; dabei drehte er sich ein wenig im Kreis. Bald aber schien er genug zu haben und schwenkte die Vorderpratzen wie ein Hund, der Männchen macht, bettelnd auf und ab. Da ließ der Mann das Spiel und riß an der Kette mit dem Nasenring, daß der Bär ein tiefes Brummen ausstieß und wieder zu hopsen anfing.

Die Zuschauer lachten über ihn, aber mir war es, als hätte ich selbst einen Ring in der Nase und man zöge daran, damit ich tanze. Es war ein brennendes, stechendes Gefühl in der Brust, es kam aus übergroßer Empfindlichkeit allem gegenüber, was mir durch die Sinne einging. Der Blick bemächtigte sich der Gegenstände so heftig, daß er gleichsam mit ihnen verschmolz. Ich fühlte jede Regung mit; war sie eine des Schmerzes, litt ich; war sie eine der Freude, dann zuckte es mir durch die Glieder vor Lust. Die vergewaltigende Kraft des Auges ging so weit, daß Ich Gesichter von Menschen, die ich liebte, für mein eigenes Gesicht hielt und wegsehen mußte, weil es nicht mehr auszumachen war, ob dies nun der andere sei oder ich selbst.

Wir hatten dem Vater von dem Aufzug der Tanzbärengruppe erzählt und auch davon, daß sie zu dem Rummelplatz gehöre, der sich in den Wlltener Feldern aufgetan hatte. Zum erstenmal im Leben betrat ich die Welt fahrender Leute. Bunt, fremd, laut, aus fernsten Ländern, lockte es qewaltig und verschloß sich zugleich gegen alles nicht Dazugehörige, es weckte ein heißes Verlangen, dabeizusein, und flößte zugleich Grauen ein, dem Glitzern der Schlangen nicht unähnlich, in denen es heimlich von Giften fließt. Dazu kam der betäubende Lärm mechanischer Orgeln, der jedes Gespräch überschrie. In einer beängstigenden Art von Rausch hielt ich mich an der Hand des Vaters fest, froh daß es diese Hand gab, von der klare Sicherheit ausging — es konnte einem nichts geschehen, solange man sie nicht ausließ.

Schiffsschaukeln schwangen über uns hinweg, sie hingen an silbernen Stangen und streiften mit ihren Schnäbeln die blaugoldenen Draperien, mit denen das hohe Gestell abschloß. Daneben lief ein Karussell, lauter kleine Pferdchen, abwechselnd weiß und schwarz, schön gesattelt und gezäumt, mit funkelnden Steigbügeln und waagrecht flatternden Schweifen. Der Vater kaufte drei Karten, eine für den Bruder und zwei für mich, weil ich Namenstag hatte. Doch ehe die Fahrt anhielt, um die Reiter wechseln zu lassen, erschien auf einem hohen Podium der Bärenführer in rotem Trikot, darin er sich wie nackt, ausnahm, und das Mädchen, die himmelblaue Reiterin von gestern, sprang ihm mit einem einzigen Satz auf die Schultern — er hatte ihr bloß die Hand gereicht, da stand sie schon droben. Wie ein Engel lächelte sie uns zu. Diesmal trug sie statt des blauen Trikots eine silbern funkelnde Schuppenhaut und so glich sie einem sich hochschnellenden Fisch, als sie nun durch die Luft zu wirbeln begann, von dem roten Mann geworfen und aufgefangen wie ein Ball. Er klatschte hin und wieder in die Hände und rief Ihr „Hopp“ zu. Es gab keine Pause in dem Fliegen und Stürzen, Hüpfen und Sichschnellen, und alles schien so leicht zu gehn, daß man glaubte, es augenblicks nachmachen zu können. Dann aber nahm der Mann das Mädchen fester in die Hände und fing an, es zu biegen und zu dehnen, seine Arme und Beine durcheinanderzubringen, sie zu verknäueln, zu entwirren und noch schauerlicher zu verknüpfen, daß mir vor Schreck und Bangen das Herz zitterte. Wieder spürte ich jeden Griff an mir selbst, schmerzlos und dennoch unerträglich. Aber auf einmal glaubte ich nicht mehr, daß es ein wirkliches Mädchen sei, mit dem der Mann spielte, ich sagte es dem Vater und dem Bruder, glühend vor Eifer: die ist nur aus Gummi! Aber kaum hatte ich mich damit getröstet — selbst die Enttäuschung tat. hier wohl, da sie die Welt wieder ins rechte Maß rückte —, als der Mann den glitzernden Knäuel in die Luft warf. Das gesch-nh das Wunder: mit einem einzigen Zuck flogen Arme und Beine aus der Verwicklung, als zerplatze ein Stern, einen silbernen Augenblick lang stand die Figur in der Luft, dann landete sie in den Armen des Mannes, dem sie gleich darauf wie eine Sehlange entglitt. So leicht der auf Durschaubarkeit gerichtete Sinn sie in eine Gummipuppe verwandelt hatte, so schwer fiel es ihm nun, sie in das MärldTen zurück-zuverwandeln; da half ich mir damit, das Geschöpf sei beides zugleich oder zumindest beides abwechselnd gewesen, eine Vorstellung, in der ich durchaus keinen Widerspruch fand.

Dann fuhren wir Karussell. Solange die Fahrt noch so gemach vonstatten ging, daß wir den Vater in der Menge finden konnten, um ihm zuzujauchzen, solange war es eine Lust, im Kreis mitzufliegen; als sich dann aber alles ringsum in eins verwischte und selbst zu kreisen anfing, doch in verkehrter Richtung; als das Auge nicht mehr imstande war, die Dinge festzuhalten, weil sie sich in ein immer schnelleres Strömen zerlösten, da fühlte ich mit wachsender Beklemmung, daß auch in mir selbst alles in Unordnung geriet. Ich fürchtete nicht, herunterzufallen, auch machte mir die rasende Bewegung nicht Angst, aber im Kopf begann es immer wilder zu kreisen, aus dem Magen stieg es unaufhaltsam in den Hals, und als die Fahrt endlich zur Ruhe kam, hatte ich mich über den wiehernd emporgeworfenen Kopf meines Schimmels erbrochen. Mein schreiender Befehl, anzuhalten, war fm Toben der Orgel untergangen; stärker noch als an der Übelkeit litt ich unter der Wut, daß man gegen meinen Willen weitergefahren war. Der Vater hob mich vom Pferd, meine zweite Fahrkarte bekam der Bruder, der wie ein Sieger auf seinem Rappen saß und sich unverschämt freute.

Aus dem Budi „Das unversehrte Jahr. Mit Bewilligung des Otto-Müller-Verlages, Salzburg.

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