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Digital In Arbeit

Der Zwang zum perfekten Körper

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Die Werbung beherrscht mit raffiniert-dümmlichen Methoden immer mehr die Köpfe der Konsumenten. Vor allem die (Haus-)Frauen sind einem regelrechten Psychoterror ausgesetzt.

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Die Werbung beherrscht mit raffiniert-dümmlichen Methoden immer mehr die Köpfe der Konsumenten. Vor allem die (Haus-)Frauen sind einem regelrechten Psychoterror ausgesetzt.

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Nach der kulturkritischen Phase der sechziger und siebziger Jahre, die Werbekritik entweder als Kapitalismus-Kritik (von links) oder als Werte-Kritik (von rechts) betrieben hatte, und nach den eher konsumberauschten, stummen achtziger Jahren, nähert man sich heute der Werbung in der Halturig des postmodernen Kenners und Genießers. Man gesteht freimütig, bestimmte Werbungen witzig oder originell zu finden, ja, daß man vielleicht sogar einen bestimmten Lieblingsspot gerne sieht, ohne damit bei seinen Freunden Kopfschütteln oder gar Verachtung zu riskieren. Viele gehen sogar ins Kino, um das jährliche Werbefilmfestival in Cannes zu genießen.

Auch Soziologen versäumen es nicht, die Werbung entweder als Bewußtseinsbildnerin und Vermittlerin von Identitätsgefühlen, als Orientierungssystem für „Lifestyle” zu diagnostizieren. Werbung gilt heute als Bestandteil von Kultur, als Kulturträger, womöglich sogar als universelles Verständigungsmittel für eine Kommunikation ohne Sprach- und Nationalitätsgrenzen.

Seit Mitte der achtziger Jahre wird die Werbeindustrie nicht müde, ihre Sprecher verkünden zu lassen, daß die von vielen Frauen (und einigen Männern) beanstandete Frau-als-Haus-frau-Werbung keine große Bolle mehr spielt. Die Werbebranche hat inzwischen gemerkt, daß es nicht mehr als „schick” gilt, nur Hausfrau zu sein und auch noch als solche angesprochen zu werden.

Die in Werbefilmen gezeigten Hausfrauen nehmen tatsächlich prozentuell ab. Der Haushalt wird entweder als völlig wartungsfrei dargestellt, der von selbst läuft, oder die wenigen verbleibenden Hausfrauen bekommen in Alter und Outfit einen verblüffenden Schub in Bichtung Jugendlichkeit und Eleganz.

Aber auch dabei verbreiten die Werbebilder nach wie vor regelrechte Lügengeschichten. Die Arbeit im Haushalt wird entweder lächerlich gemacht oder einfach abgestritten. Entweder wird der Haushalt mit einem Luxusambiente versehen, in dem die verwöhnte Hausfrau müßiggehend repräsentiert, ihren Fitneßübungen nachgeht oder nur über die Politur ihrer Einbauküche streicht. Oder es wird suggeriert, daß, der wahre Luxushaushalt von einem Mann erledigt wird, der mit „seiner” tollen Küche die Freundin verwöhnt.

Die häufigste Darstellung zu Frauen und Haushalt ist allerdings immer noch die, daß ein Fachmann und Kenner die unwissenden weiblichen Geschöpfe über den richtigen Topf, die richtige Waschmaschine oder das richtige Putzmittel aufklärt. Diese männlichen Wesen sind wahlweise „Meisterkoch” oder Partner, der die Waschmaschine hat, die sich „alle Frauen wünschen”. Auf jeden Fall ist der Haushalt, wenn Frauen und Männer dort auftauchen, ein Ort von purem Vergnügen, von gehobenem Lebensstil und „Liebe” - jedoch nicht von Arbeit und Mühe.

Frauen werden in der Werbung auch häufig als „zu fett” dargestellt: entweder können sie sich beim Essen nicht beherrschen, oder sie sind einfach dicklich und komisch, was durch schreiende Aufmachung und zu enge Kleidung noch hervorgehoben wird. Was könnte die Aufmerksamkeit besser erregen als eine rundliche, grelle, komische Frau? Sie ist der Widerspruch zu allem, was für Frauen normalerweise als absolute Norm gilt, nämlich: schlank, jung, attraktiv und gepflegt zu sein.

Als weitere „Unarten” von Frauen werden dargestellt: zügelloser Hang zum-Luxus, maßlose Verwöhntheit und Gier nach teurem Schmuck zu sein. Wir erfahren jeden Tag, „es gibt keinen Diamanten, den sie nicht begehren würde” (Bevlon), und daß vor ihrer Umtauschwut nur ein Diamant sicher ist („Es gibt Weihnachtsgeschenke, die Ihre Frau garantiert nicht umtauschen wird”), und daß sie „keinem Mann die kalte Schulter zeigt”, der ihr ebendort eine Diamantkette hinhängt. Wir sehen auch, daß Frauen immer mit zu viel Gepäck verreisen, und daß sie dazu neigen, sich ihre Autos passend zum Kleid spritzen zu lassen oder passend zum Autoradio aussuchen.

Das Hauptproblem heutiger Frauenschönheit ist aber nach wie vor das Fett. Die meisten Schönheits- und Gesundheitsannoncen, die sich an Frauen richten, befassen sich mit dem „Figurproblem” beziehungsweise damit, den Frauen klarzumachen, daß sie eines haben und dieses unbedingt besiegen müssen.

In der Begel sind auf solchen Anzeigen superschlanke, jugendliche Frauenkörper zu sehen, die sich in der Taille mühsam etwas Haut zwischen die Finger klemmen, um das „Zuviel” zu demonstrieren. Dies wird dann als „erste Pölsterchen” bezeichnet und gemahnt: „Die jugendliche Spannkraft geht schnell verloren und damit auch die ,gute Figur'.” Ungeniert wird gefragt: „Welchen Eindruck machen Sie, wenn Sie baden gehen? Mancher Dame möchte man für die Badesaison am liebsten einen Einteiler empfehlen. Oder aber, wenn es unbedingt ein Bikini sein soll, eine Schlankheitskur” (Recatol).

Auf jeden Fall gilt für alle Frauen: „Haben Sie sich entschieden, niemals dick zu werden?” (Damit erreicht man praktischerweise gleich auch alle Dünnen.) „Dann wissen Sie, Sie müssen etwas dafür tun.”

Der auf alle Frauen losgelassene Schlankheitsterror der Werbung, der sich in den letzten 15 bis 20 Jahren enorm verschärft hat, alarmiert inzwischen auch eine (Fach-)Öffent-lichkeit, die zu begreifen beginnt, daß die explosionsartig zunehmenden neurotischen Eßstörungen von Frauen auf den neuen permanent ausgeübten Zwang zurückgehen, schlank zu sein und auch zu bleiben. Wobei die eingehämmerte Gleichung „schlank ist gleich schön ist gleich beliebt” die Grundlage bildet.

Die Amerikanerin Naomi Wolf hat den neuen Zwang zum perfekten Körper als Ersatz des alten Kleiderund Modediktats interpretiert. Der strikte Diätplan heute hat die frühere strenge Modevorschrift abgelöst. Heute ist der ideale Körper für Frauen von 14 bis 64 die absolute und terrorisierende Norm, an der sie gemessen werden - und sich zunehmend auch selbst messen.

Frauen, die anhand der auf sie zielenden Rilderflut lernen, daß ihr Körper beschämende Abweichungen von der vorgegebenen Norm hat und gleichzeitig suggeriert bekommen, daß diese Norm erreichbar ist, wenn „frau” nur genügend Mühe investiert, sind zunehmend bereit, schon in frühen Jahren an ihrem Körper herumzufeilen und zu basteln. Sie hungern weg und trainieren weg, sie polstern aus und trainieren auf, sie packen Silikon und Collagen unter die Haut, sie straffen, liften, schneiden, glätten, bleichen, ätzen und versuchen, sich den vorgewiesenen Bildern anzunähern. Das bedeutet lebenslange Disziplin, Druck, Qual, Gefühle von Demütigung, Angst und Minderwertigkeit - und ein enormes gesundheitliches Bisiko.

Für diese Gehirnwäsche ist die Werbung an vorderster Front verantwortlich, auch wenn sie mit diesen Attacken in den Medien nicht allein dasteht.

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