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DEUTSCH AM ALTAR

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Nun erst, seit auch der Kanon deutsch gesprochen wird, erlebst Du eine lateinische Messe als das Ereignis der una sancta. Jedes falsch gesetzte, hilflose, abgegriffene, entheiligte deutsche Wort in der Liturgie aber stört und empört Dich. Wir Katholiken lassen junge Architekten mit phantastischen, Kirchenbauten experimentieren, wir öffnen unseren Musikchor dem Jazz oder elektronischen musikähnlichen Geräuschen, schrecken auch vor abstrakten Glasfenstem nicht zurück, nur jungen, gar experimentellen Dichtem bleibt der Eintritt in den Sakralramm verboten. Vorn Zelebranten abgesehen, dem sehr oft noch nicht bewußt zu sein scheint, welche Aufgabe ihm mit der deutschen Liturgie gestellt ist, von Murmlem und Schluderern und oft recht ahnungslosen Predigern, in den bildenen Künsten und in der Musik war die katholische Kirche Jahrhunderte hindurch das Zentrum aller schöpferischen Kräfte, die schönen Ansätze einer aus der Liturgie wachsenden deutschen Poesie wurden durch Reformation und noch mehr durch Gegenreformation unterbrochen. Dies mit all den Folgen, die Dir aus der Literaturgeschichte bekannt sind.

Deinem Pessimismus habe ich gestern dennoch widersprochen. Die Erhöhung der deutschen Sprache durch die Liturgiereform steht für uns Dichter unter all den großen Erlebnissen, die uns das Konzil gebracht hat, voran. Freilich, wenn Du unter experimenteller Dichtung nur Texte verstehst, die sich junge und jüngste Nachwuchsdichter untereinander und ihren Kollegen in der Welt vorsagen, einer Sprach- auflösung sind in der Kirche Grenzen gesetzt. Nicht durch Beckmesser oder andere Reaktionäre, sondern durch die Teilnahme der Gläubigen und unsere Aufgabe, die Sprache in den Dienst des Opfers und der mitfeiemden Gemeinde, der Gemeinschaft, zu stellen. Gemeinschaft! Schwierig für einen heutigen jungen Dichter. Ein mißbrauchtes, ein fragwürdiges Wort. Vielleicht noch Engagement, aber nur für eine fast anarchische Linke, für ein absolutes Dagegensein. So töricht bist Du ja nun nicht. Aber weder die Bibel noch die Liturgie zählen ihrem ganzen Umfang nach zur reinen Dichtung, auch die herrlichen poetischen Bücher des Alten Testaments nicht. Und doch bedarf die deutsche Sprache am Altar des Dichters, wenn sie mehr sein will als einfache, korrekte, kalte Übertragung aus dem Lateinischen. Vor allem die Sprache entscheidet ja über Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit unseres Denkens und Tuns. Die Kirche darf sich, wenn sie in die Welt hineingeht, nicht mit einer hinter Gettomauern entstandenen und überlieferten Sprache begnügen, in der sie vielleicht noch zu weitabgewandten frommen Frauen und Kindern reden kann, nicht aber zu Menschen gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Diese Angst vor der Wirklichkeit, diese Verniedlichung, eine abgegriffene Schönheit, eine völlig entkernte Süßlichkeit! In der Sprache wird die Probe auf die innere Wahrhaftigkeit unerbittlich gestellt.

Deshalb, denke ich, lieber Freund, liegen unser beider Ziele eng nebeneinander. Wir wollen weg von allem, was abgegriffen ist, banausisch, einer verlogenen Schönheit nachgeht, aber auch von allem, was uns Amts-, Geschäfts- und Zeitungssprache aufdrängen, die bereits unerträgliche Sprache der Werbung, ebenso wie jene der Snobs und einer Jugend, die nur noch mit amerikanischen Vokabeln leben, hetzen und gegen die USA protestieren karui. Wir beide, denke ich, suchen durch dieses Kauderwelsch aus Verlogenheit, Verwilderung und Anmaßung hindurch, die noch gesunden Wurzeln, das alte Wort mit neuem Gewicht, das wieder Schrecknis, die über ihn und uns verhängt ist, bittet darum der Siebzigjährige:

„Nimm mich nicht aus der Angst, Herr, wie sonst soll ich dich Weiter suchen, ansingen, anbetteln um Gnade, zur zwölften Stunde, und die Erde, diese geschundene Erde so sehr lieben?”

lebendige Wort. Ob ich es noch finden werde? Ich habe Dir von meiner nun schon jahrelangen Mitarbeit an der neuen Einheitsbibel erzählt, und wie ich bei diesem verbissenen Ringen auch um das bestmögliche heutige Deutsch meine eigene Sprache erst so recht gefunden habe. Wie bei dieser Gemeinschaftsarbeit von drei Dutzend Exegeten, Liturgen, Katecheten und Germanisten ich zu einer dichterischen Sprache gefunden habe, in der ich nun auch dm Gedicht sagen kann, was uns heute bewegt, ärgert, bestürzt, ängstigt und dennoch auch wieder jubeln läßt. Und dies ohne Manier und kybernetische Spitzfindigkeit Was sind alle Cliquen und Gruppen, die heute den deutschen Literaturbetrieb tragen, dirigieren und terrorisieren, dagegen? Wie weit weg sind sie von jeder Wirklichkeit und Menschlichkeit! Selbstverständlich mußt Du dann aus Deiner oft selbst gewollten Einsamkeit heraustreten. Wir können es, wir dürfen es, wenn wir endlich die Kirche nicht wie die Situation der ganzen Welt aus unserer zeitlichen Wirklichkeit ausklammem. Dann freilich hältst Du mir das „Gebet- und Gesangbuch” unter die Nase und Verse des Papstliedes „O Völkerhirt auf Petri Thron”, „Und tobt auch laut mit Donnerschall der Stürme grauser Wogenschwall”, oder noch besser: „Und hämmert auch der Hölle Wut voll Gotteshaß und Frevelmut an unserer Kirche Quadermark”; „Maderquark”‘ reimst Du darauf und schaust mich an. Da soll ich mittun? Ich bin doch kein Gotteslästerer! Und ich darauf: „Ja, Du sollst mittun, wie Du das nennst, eben weil solche Lieder ohne die Dichter geschrieben wurden, weil seit dem 16. Jahrhundert kaum ein gutes Lied geschaffen wurde, weil in diesen Liedern süßer und barbarischer Dilettantismus unheilige Blüten treibt. Weil Du, der einen jahrelangen Kampf um die Sprache hinter sich hat, weißt, was heute in Liedern, aber auch in Andachten, und Gebeten zu sagen wäre, daß es den Menschen ans Herz greift und mit diesem knieweicheoį süßlichen, verlogenen, daher wirklich gotteslästerlichen Zeug endlich Schluß macht.

Nicht zuletzt wird die Sprache die Probe auf Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit aU dessen, was die Kirche sich im Konzil vorgenommen hat, zu bestehen haben. Aber auch der Dichter, wenn er noch ein Glied dieser Kirche sein will. Auch wenn man Dich noch lange nicht rufen wird, mache Dich, halte Dich bereit für diesen Dienst, der Dir weder Ruhm noch Ehre einbringt und gewiß nicht zur Verherrlichung Deines Namens beiträgt. Aber vielleicht kommen jene, die nun nach Jahrhunderten lateinischer Gewöhnung so plötzlich durch die deutsche Sprache geprüft werden, bald darauf, daß sie Dich und alle, die auch als Dichter mit der Kirche leben, brauchen und daß hier ein weites Feld ist, das nicht brachliegen darf, soll die erneuerte Kirche den Menschen auch in der auf uns zukommenden Computerwelt dienen.

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