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Eurospeak, Computer-Slang und eine fünf Jahre alte, neue Rechtschreibung: Die deutsche Sprache befindet sich im Umbruch. Ein Beweis ihrer Lebendigkeit - oder ein Fall für die "Sprachpolizei"? v

András Tamás hat einiges verpasst: den Prager Frühling, das Ende des Kalten Krieges und nicht zuletzt den Siegeszug des Internet. Als er im August 2000 als wohl letzter Kriegsgefangener des 2. Weltkriegs in seine Heimat Ungarn zurückkehren konnte - nach 55 einsamen Jahren in einer russischen Psychiatrie-Anstalt -, war ihm mit der modernen Welt auch deren Sprache fremd geworden. Die Wörter für "Computer", "Satellit" oder "Globalisierung" quittierte er mit Kopfschütteln. Kein Wunder: Tamás dachte und sprach im Ungarisch der vierziger Jahre. Fortsetzung auf Seite 2

Um den ständigen Wandel einer Sprache zu bemerken, bedarf es nicht gleich der Abwesenheit während eines halben Jahrhunderts: Schon der Vergleich zweier Auflagen des Österreichischen Wörterbuchs verrät, wie schnell neue Begriffe in eine Sprache Einzug halten - oder veraltete Wörter aus dem gemeinsamen Sprachschatz eliminiert werden können. Während die aktuelle 39. Auflage aus dem Jahr 2001 noch Wörter wie "ausheanzen", "Fazinettl", "Gassenbub", "Garkoch", "Laternanzünder", "Chrisamgeld" oder "Inkjet" verzeichnet, werden diese Begriffe in der 40. Auflage, die 2005 in die Schulen kommen wird, mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu finden sein.

Platznot im Wörterbuch

Die Frequenz in den Tageszeitungen ist nicht das einzige Kriterium dafür, ob ein Begriff aus dem erlauchten Kreis der 77.000 Stichworte im Österreichischen Wörterbuch gestrichen wird. Auch seine Bedeutung in der Literatur wird bedacht. Schließlich haben auch noch die heimischen Autorinnen und Autoren ein Wörtchen mitzureden. "Wenn die bei ,Fazinettl' aufschreien, wird das neu diskutiert", weiß Ulrike Steiner vom Österreichischen Bundesverlag, die gemeinsam mit Herbert Fussy für die Redaktion des Wörterbuchs verantwortlich ist. "Es ist wirklich schwierig, auf ein Wort zu verzichten. Aber wir brauchen eben Platz."

Tatsächlich drängen auf die frei gewordenen Plätze zahllose neue Begriffe, die aus dem Sprachgebrauch nicht mehr wegzudenken sind: "Homoehe", "Imagekampagne" und "Gendermainstreaming" gehören ebenso dazu wie "Crashkurs", "Generikum" und "Stammzellenforschung".

Dass ein Großteil der neuen Wörter aus Anglizismen, also Lehnwörtern aus dem Englischen bzw. Amerikanischen, besteht, ist kein Zufall. Zwar machen sie laut einer Untersuchung des Grazer Anglisten Bernhard Kettemann nur rund ein Prozent unseres Allgemeinwortschatzes von rund 500.000 Wörtern aus (insgesamt finden sich darunter rund 100.000 Fremd- bzw. Lehnwörter, großteils lateinisch-griechischen Ursprungs); doch ihre Dominanz in den Medien, in der Werbung und in den Jugendsprachen ist umso deutlicher zu spüren. Die modernen Kommunikationstechnologien tun ihr Übriges, um Anglizismen weltweit heimisch zu machen: "Internet", "E-Mail", "SMS" und "Chat" sind nur die bekanntesten Vertreter.

Umso vehementer wird von selbst ernannten Sprachhütern weltweit der Abwehrkampf gegen den wachsenden Einfluss des Englischen geführt: Erst jüngst hat die französische Generalkommission für Terminologie und Neologismus unter der Leitung eines Mitglieds der altehrwürdigen "Académie Française" angeordnet, in allen amtlichen Schriftstücken statt "E-Mail" das Kunstwort "Courriel" (von "courrier éléctronique" - elektronische Korrespondenz) zu verwenden. Ob dieser Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch die Oberhand gewinnen wird, ist jedoch fraglich: Der französische Provider "Club Internet" hat jedenfalls erklärt, seinen Mail-Server nicht auf "Courriels" umstellen zu wollen.

Handy oder Taschentelefon?

Auch im deutschen Sprachraum wenden sich fremdwortpuristische Vereine gegen die vermeintliche Flut an Anglizismen. So bietet etwa der "Verein Deutsche Sprache" mit Sitz in Dortmund auf seiner Homepage (www.vds-ev.de) mehr oder minder kuriose Übersetzungen für englische Lehnwörter an: Die Vorschläge reichen von "Taschentelefon" für das englische Kunstwort "Handy" bis zum Wortungetüm "Zeichenzusammenhang" für das simple Wort "Code". "Manche Wörter sind sehr komplex und spezifisch, die kann man nicht übersetzen", weiß der Grazer Germanist Rudolf Muhr. Zudem seien Anglizismen für das Deutsche auch befruchtend, ergänzt Bernhard Kettemann vom Grazer Anglistik-Institut: "Fremdwörter halten eine Sprache lebendig."

Sprachliche Anarchie

Am lebendigsten, wenn auch am anarchischsten, erweist sich derzeit ohne Zweifel die Sprache in Internet und mobiler Telefonie. Ob E-Mails, Chats (von engl. chat - plaudern) oder SMS ("Short Message Service"): die Freiheit hinsichtlich Groß- oder Kleinschreibung und Zeichensetzung scheint grenzenlos. Ergänzt werden die Texte durch so genannte Emoticons, bei denen mitHilfe von Sonderzeichen auf der Tastatur bildhaft Gesichtsausdrücke wie Smileys (:-)) nachgebildet werden, sowie durch Abkürzungen wie *cu* (see you) und Anleihen aus der Comicsprache (*grins*). Aus diesem spielerischen Umgang mit der Sprache zu schließen, dass die Sprachkompetenz unter den Jugendlichen generell abnehmen würde, ist nach Meinung von Experten nicht zulässig. "Chat-Beiträge sind für den Augenblick konzipiert - und nicht dafür, archiviert zu werden", gibt Michael Beißwenger vom Institut für Deutsche Sprache und Literatur in Dortmund zu bedenken. "Hier herrschen andere Produktionsumstände als beim Verfassen eines Briefs oder eines Bewerbungsschreibens." Auch Peter Schlobinski von der Universität Hannover, der jüngst eine Pilotstudie über das "Simsen" veröffentlicht hat, vermag keinen Verfall an Sprachkultur zu orten: "Es stimmt schon, dass in der SMS die Normsprache verfremdet wird. Aber sofern der Sender das Umwandeln der Normsprache spielerisch nutzt, sehe ich kein Problem." Paul Wildner, Direktor des Wiener Piaristengymnasiums, teilt im Furche-Gespräch diese Einschätzung: "Die Schüler sind durchaus in der Lage, diese unterschiedlichen Register der Sprache je nach Bedarf einzusetzen."

Mehr Sorgen als die Benutzung von Chat, SMS und Co. bereitet vielen Experten ohnehin das wachsende Faible der Jungen für bundesdeutsches Vokabular. Seit der Einführung des Kabelfernsehens im Jahr 1983, noch stärker seit der Einführung des Satellitenfernsehens Anfang der neunziger Jahre sei diese Entwicklung kaum mehr zu stoppen, weiß Rudolf Muhr: "Statt ,der Akt' heißt es heute ,die Akte', statt ;der Einser' immer öfter ;die Eins'", so Muhr. Der Abschiedsgruß "Tschüss" sei aus dem Wortschatz der Kinder und Jugendlichen gar nicht mehr wegzudenken.

Deutsches Deutsch en vogue

Dieser Vormarsch des Bundesdeutschen schlägt sich auch im Österreichischen Wörterbuch nieder: So wird etwa in der 39. Auflage nicht nur die Wendung "ab und zu", sondern auch das bisher nur in Deutschland gebräuchliche "ab und an" verzeichnet. Zudem ist das Wort "kotzen" - man denke nur an den Innenminister - mittlerweile in Österreich so heimisch geworden, dass den Wörterbuchmachern der Hinweis auf seine deutsche Herkunft obsolet erscheint. "Vielen ist nicht klar, dass sie eine bundesdeutsche Variante verwenden", klagt Ulrike Steiner vom Österreichischen Bundesverlag. "Aber man glaubt halt, man wirkt damit modern."

Mitarbeit: Claudia Koreimann

BUCHTIPP:

EUROSPEAK - zum Einfluss des Englischen auf die europäischen Sprachen.

Von Rudolf Muhr und Bernhard Kettemann (Hgg.). Verlag Peter Lang, Frankfurt/M. u.a. 2002. 236 S., zahlreiche

Tabellen, e 52,-.

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