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Deutsches Zwielicht

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Die neuen Schwierigkeiten der europäischen Zusammenarbeit, die in diesen Tagen in der außenpolitischen Kontroverse zwischen Deutschland und Frankreich um die Stellung der Saar einen nicht überhörbaren scharfen Akzent erhielten, sind nur verständlich, wenn man den Druck der Innenpolitischen Verhältnisse zumal in Deutschland im Auge behält. Die „Furche wird diese in einer Reihe zusammenhängender Artikel beleuditen.

Das offizielle Protokoll der dreitägigen und zweinächtigen Debatte um die Ratifizierung des Schuman-Plans überliefert einen denkwürdigen und in seiner Spontaneität um so aufschlußreicheren Ausruf des deutschen Bundeskanzlers Adenauer. Ein Abgeordneter der Opposition halte gerügt, daß die Regierung das umfangreiche und hochbedeutsame Vertragswerk als fertiges Ganzes dem Parlament vorgelegt hatte, und nur ein klares .Ja oder Nein forderte. Es sei hinter verschlossenen Türen und fernab von der obersten Körperschaft verfaßt und konzipiert worden. Mit einer unnachahmlichen Geste der indignierten Müdigkeit griff sich der eben sechsundsiebzigjährige deutsche Kanzler an die Stirn: .Ich wollte, ich wäre noch einsamer. Es sind zuviel Menschen um midi herum. Dieses eine Wort, dessen bis zur Arroganz gehende Offenheit sich nur eine Persönlichkeit vom Format des Kanzlers erlauben kann, beleuchtet grell wie ein Blitz die Problematik der heutigen westdeutschen Situation. Wir haben oft versucht, das .deutsche Problem“, das nur ein gesamtdeutsches sein kann, vom Osten her zu sehen, und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß der tatsächlich vorhandene Einheitswille durch ein ausgesprochen nichtdeutsches, fremd-imperialistisches Konzept mißbraucht und pervertiert wird. Die schönen Worte Grotewohls täuschen nicht darüber hinweg, daß er eben letztlich nur ein östliches und kein deutsches Konzept verfolgt, oder vielleicht verfolgen darf.

Wir hatten gehofft, in der Bundesrepublik einem konstruktiven Denken in dieser Frage zu begegnen, das Regierung und Bevölkerung zu einer in diesem entscheidendsten Punkt schlagkräftigen Einheit verbindet. Unser Eindruck ist zwiespältig geblieben. Es liegt heute tatsächlich ein gewisser Graben zwischen Bonn und den Deutschen der Bundesrepublik, aber dieser Graben ist etwas anderes als die unüberbrückbare Kluft, die in der Sowjetzone mehr als vier Fünftel der anständigen Menschen von ihren Bedrückern und deren Mitläufern trennt. Es ist jener alte, in Deutschland zum tragischen Symbol gewordene Graben, von dem Tucholsky einst schrieb, daß er die zwei Hände Deutschlands trenne: .Die Linke schreibt und die Rechte handelt.

Wir sind uns der überholten Terminologie der politischen Begriffe ,,recht“ und .links“ durchaus bewußt, aber der Graben ist älter, als die überholte Sitzordnung im Parlament. Es ist der alte Graben zwischen der „tatenarmen und gedankenvollen“ Intelligenz der Deutschen, die Hölderlin schmerzhaft besingt, und jenen „Priestern, Ärzten und Lehrer , denen er im „Hyperion’ das Mensch-Sein im heiligen Zorn abspricht, es ist zugleich auch jener Graben, den keiner besser sah, als jener große Deutsche Goethe,’ der als Minister und planender Konstrukteur von Bergwerken und Strumpfwirkereien und zugleich als der Dichter des „Füllest wieder Busch und Tal“ ihn in seiner eigenen Erscheinung vergessen machte. Aus seinen letzten prophetischen Gesprächen mit Ecker mann stammen die bangen, fragenden Worte über die Zukunft des geliebten „miserablen“ Volkes: W ird das allto ein gutes Ende nehmen?“

Dieser Graben ist eindeutsches Verhängnis seit dem Ende des Reiches in jenem tragischsten der Kriege, dem Dreißigjährigen. Damals ging jenes Deutschland zugrunde, das die Welt als das „Ewige“ ansieht, jenes Deutschland, das vor dem Antagonismus Preußen-Habsburg da war und von dem wir hofften, daß es dessen Versinken in der Geschichte überleben, ja, daß es endlich neu aufleben würde. Das Deutschland der reichsunmittelbaren Städte, des freien Bürgertums, der Hanse und der süddeutschen Städtebünde, das Deutschland der Maximilianischen Reidis- reform und des „Theuerdank“, des Kölner Doms und des Sebaldusgrabes, Dürers und Riemenschneiders, Huttens und Hans Sachsens. Wir haben jene anscheinend weit ausholende historische Abschweifung an den Anfang gestellt, um ganz klar Farbe zu bekennen mit dem, was wir meinen (und „minnen“), wenn wir an Deutschland denken. Und von dem wir annehmen, daß es eigentlich das einzige historische Band sein müßte, das alle Deutschen in Ost und West wortlos eint, die Christen der heiligen Elisabeth, die Nationalen des Walther .von der Vogelweide, die „Liberalen des Ulrich von Hutten. Und wir glaubten an diese Traditionen, die in Wahrheit nie abrissen, die in Leibniz und Goethe, in Virchov und Naumann, in Rathenau und Stresemann weiterlebten, endlich nach dem historischen Verschwinden der überfremdenden Entwicklungen dreier Jahrhunderte wieder in voller Blüte erstanden, als wir hörten, daß Deutschlands Selbstwiederfindung vom Rhein aus beginnen würde. Und wir hofften, daß hier die echten Ansatzpunkte liegen, diesen Graben der letzten drei Jahrhunderte zu überwinden. Denn das schien uns, mit einem köstlichen Goetheschen Ausdruck geprägt, Deutschlands wichtigstes und dringendstes „Geschäft zu sein: der Welt zu zeigen, daß das wahre Deutschland in der überhöhten Mitte zwischen Bismarcks „Blut und Eisen und der „Blauen Blume des Novalis liege.

Und gerade diesem Graben sind wir auf Schritt und Tritt begegnet in vielen, vielen Gesprächen, die durchaus nicht im Kaffeehaus oder hinter verschlossenen Türen geflüstert wurden. Man kann „um den Schlaf gebracht sein, wenn man an Deutschland in der Nacht denkt.

Talleyrand hat das genießerische Wort geprägt, es seien die schönsten Epochen seines vielbewegten Lebens gewesen, in denen er nicht „an der Macht“, aber am .Vorabend“ gewesen sei. „Am Vorabend“ sagen die lebenskünstlerischen Gourmets in Frankreich, „im Kommen“ übersetzen es die deutschen Gourmands. Diesem „Vorabend begegneten wir auf Schritt und Tritt, auf der einen Seite des Grabens. Es ist natürlich unsinnig, mit der östlichen Greuelpropaganda zu behaupten, „die Nazis“ kämen wieder. Sie existieren, abgesehen von einigen nieder- sächsischen Reservaten, wohl mehr in der Phantasie, als in der Wirklichkeit. Aber es ist nicht zu leugnen: Im Gefolge des Kanzlers, der eine der ganz wenigen Persönlichkeiten ist, die das echte Format zur Realpolitik besitzen, bildet sich heute ein Kometenschweif von Männern, die Deutschland den altbekannten Bärendienst erweisen, den es von seinen „tüchtigsten“ nationalen Vorkämpfern immer erfahren hat.

Wir waren in den Tagen vor der Entscheidung über den Schuman-Plan in Bonn und Köln. Und wir haben mit manchen von ihnen gesprochen. Wir erinnern uns an einen Studenten, der uns nach wenigen einleitenden Sätzen allen Ernstes verkündete: .Wir sind heute schon wieder eine Gläubigernation. Und das vor der Kulisse der Kölner Ruinen. Wir erinnern uns an ein sehr langes Couloirgespräch mit einem geistreichen Abgeordneten aus der nächsten Umgebung Adenauers, der von der „Präsidialdemokratie sprach, „auf die wir zusteuern . Und er fügte, anders als der junge Heißsporn, Wort für Wort überlegend, hinzu: „Es ist vielleicht ganz gut, daß sich der Straßburger Europarat einmal totläuft. So wird man vielleicht eher einsehen, daß es unter der Ägide des liberalen, laizistischen Frankreich nicht geht, und daß es nur eine bestimmende und führende Macht in Europa geben kann, die imstande ist, den mitteleuropäischen Raum neu zu ordnen!

Das sind nicht die Worte eines „Nazi . Wir glauben ihm und seiner Vergangenheit aufs Wort, daß er ein konsequenter, überlegter und glühender Gegner des dilettantischen, plebejischen Hitlerismus war. Hat Adenauer an solche Menschen gedacht, wenn er von der Einsamkeit sprach, die er ersehnt? Wir sahen, auf viel tieferer Stufe, denselben Geist, als die über Nacht in Bonn aufgetauchten Plakate der SPD „Abtreten, Herr Adenauerl“ umgewandelt waren in „Treten, Herr Adenauer . Es ist kein überlebter Hurranationalismus mehr, der aus diesen Er ist kein Romantiker, weiß Gott nicht, aber es ist ihm gelungen, den kommerziellen Egoismus dieser neuen Managergeneration, die der Bundesrepublik ihren oft nicht sympathischen, aber unverkennbaren Stempel aufgedrückt hat, in eine sehr ersprießliche Bahn zu leiten. Und e ist ihm zu danken, daß er mit ähnlich starken Nerven wie der Kanzler diesen Kurs durchhält, der Deutschland das sozialistische Experiment erspart, oder, wenn es bei den nächsten Wahlen unvermeidlich werden sollte, diesen, wie es scheint, unvermeidlichen Tribut aller europäischen Völker an das überholte Planungsdenken dadurch mildert, daß er zur Bildung einer breiten Schicht beiträgt, die imstande ist, einen echten Grundstode späterer, nachsozialistischer Entwicklung zu bilden. Seine Politik ist es, die im Innern zur Bildung einer gesunden Schicht echten Bürgertums führt, einem sozialen Ort, der auch den eingeströmten Millionen vertriebener Volksdeutscher Wirtschaftspotenzen eine gesunde Assimilation ermöglicht.

Von hier aus könnte Deutschlands Selbstwiederfindung mühelos vor sich gehen, wenn, ja, wenn der Glaube an den Primat des ökonomischen nicht derselbe Aberglaube wäre wie jener an dem Primat der Macht. Das ist auch das Imponderabile, das allen denkenden Deutschen im Magen liegenblieb, als der Schuman-Plan ratifiziert wurde. Gewiß: die Tatsachen stimmen. Wir haben selten ein so lückenloses Plädoyer gehört, wie jenes des Abgeordneten Preus- ker (FDP) zum Vertragswerk des Schuman-Plans. Es liegt alles so klar und einleuchtend auf der Hand, gar für den wirtschaftspolitischen Laien, der die eingebauten Widerhaken nicht kennt, von denen die Auguren in Frankreich genąu wir ihre Brüder in Deutschland behaupten, sie richteten sich gegen das eigene Land. Wir können diese Finessen weder untersudien noch beurteilen. Das ist aber auch nicht unsere Aufgabe. Wir können nur wieder und wieder von dem merkwürdigen Gefühl des Unbehagens sprechen, dem wir bei jenen Menschen be- gegneten, die weder an den Primat der Macht noch an den der Wirtschaft glauben. Sie fühlen sich alles andere al „vorabendlich . Sowie wir aber ihr Reich betreten, kommen wir ins Zwielicht. Auf der anderen Seite des Graben hören die Werkmarkierungen, die o frischfröhlich nach dem Vereinten Europa und dem „Frieden der Stärke wiesen, auf. Es beginnt ein unwegsame , von Irrlichtern nicht freies Gelände. Wir haben es, nach allem, was wir in fünf Jahren unter der ostdeutschen Sowjetdiktatur erlebten, zögernder und voll unwiderstehlicherer Ablehnung als irgendeiner betreten, dieses Niemandsland der West-Ost-Politik…

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