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Dem Mann in der Direktion“ der Wiener Staatsoper — oder in ihrem Umkreis —, der auf die Idee kam, Paul Hindemühs erste abendfüllende Oper, „Cardillac“, in der Erstfassung von 1926 aufzuführen, gebührt der Orden „Pro Musica Nova“. Denn wir haben in diesem packenden, auf ein hervorragendes Libretto (Ferdinand Lion) geschriebenen Stück nicht nur ein Meisterwerk der neuen Musik vor uns, sondern zugleich auch eine Partitur, die einen wichtigen Stellenwert in der Entwicklung des Musiktheaters bezeichnet.

Hindemith hatte bis dahin fast ausschließlich instrumentale Kammermusik, Lieder und ein einziges Stück für größeres Orchester geschrieben (Konzert für Orchester, 1925), als er — nach ersten Kontakten mit der Bühne (drei expressionistische Einakter auf Texte von Kokoschka, Blei und Stramm) — zu einem großen, abendfüllenden Bühnenwerk ansetzte. An das Musikdrama — auch an die spätromantische oder „psychologische“ Oper (Pfitzner, Strauss, Schreker) — konnte er nicht anknüpfen. Was er in den Werken jener Zeit angestrebt und erreicht hatte — die Verbindung des Elementaren mit Formkonstruktivem —, galt es nun auch auf die Oper zu übertragen. Durch seine Knappheit, die übersichtliche Disposition und die Zielstrebigkeit der Aktion kam ihm das Libretto von Ferdinand Lion sehr entgegen. Das Sujet freilich, vor allem der Titelheld, ist ein Sonderfall, den man, je nach Geschmack, als pathologisch oder dämonisch bezeichnen mag.

Die Gestalt des kunstreichen Goldschmieds Cardillac, der sich von den von ihm geschaffenen Geschmeiden nicht auf die Dauer trennen kann und sie nachts,in einen dunklen Mantel gehüllt und mit einem Dolch in der Hand, zurückholt, entstammt der Novelle „Das Fräulein von Scuderi“ von E. Th. A. Hoffmann. Im Paris des 17. Jahrhunderts, wo die unheimliche Handlung spielt, ist das Volk erregt und verängstigt durch die nächtlichen Morde. Auf Cardillac fällt kein Verdacht. Sogar als dieser sich auf den Geliebten seiner Tochter, einen jungen Offizier, stürzt, als das Attentat mißlingt und Cardillac von seinem künftigen Schwiegersohn erkannt wird, stellt dieser sich schützend vor ihn und verdächtigt einen Goldhändler als Täter. In der Taverne wird unmittelbar nach der Tat Cardillac vom Volk gefeiert. Aber er kann nicht länger schweigen: In stürmischer Wechselrede mit dem Volk (einer Passacaglia mit 22 Variationen) verteidigt Cardillac den unbekannten Täter — und gibt sich schließlich selbst als Schuldigen zu erkennen. Er wird von der Menge erschlagen. Sein letzter Blick gilt der Kette am Hals des Offiziers ...

Zu dieser kruden Handlung hat Hindemith 18 geschlossene Musiknummern geschrieben. Die meisterliche Partitur für viele Bläser, kleine Streicherbesetzung, Klavier und großes Schlagwerk macht den Eindruck einer polyphonen Kammermusik mit Singstimmen, die zuweilen auch solistisch hervortreten, keineswegs unsangbar sind und sogar virtuose Ausschmückungen zeigen, aber doch nur zusammen und in Wechselwirkung mit den Orchesterinstrumenten ganz verstanden werden können. Darunter leidet freilich die Wortverständlichkeit, die bei gleichzeitig erklingendem polyphonem Bläsersatz immer gefährdet ist. Das Geheimnis ist — ähnlich wie in Bergs „Wozzeck“ —,daß trotz der geschlossenen, ihren eigenen Gesetzen folgenden Musiknummern das dramatische Element keineswegs zu kurz kommt. Diese Oper ist spannend vom ersten Volkschor bis zu den letzten im pp verklingenden Worten der Tochter Cardillacs und des Offiziers „Nacht des Todes...“

Die hochoriginelle, stürmisch-geniale Musik, der es auch an retardierenden lyrischen Stellen von großer Schönheit nicht fehlt, verdiente es, Nummer für Nummer analysiert und geschildert zu werden. Sie kam unter der Leitung von Leopold Ludwig und in der Wiedergabe durch die Philharmoniker aufs beste und wirkungsvollste zur Geltung. Die Besetzung der fünf Hauptpartien kann als erstklassig bezeichnet werden: Otto Wiener (Cardillac), Wilma Lipp (Tochter), Hans Nocker (Offizier), Irmgard Seefried (Dame) und Gerhard Stolze (Kavalier). Der Bühnenbildner Wolfram Skalicki ließ sich — leider — mehr von der Hoffmannschen Atmosphäre als von der Formklarheit und Transparenz der Hindemithschen Musik inspirieren. Statt des überaus unruhigen und ablenkenden Hintergrundes mit phantastischen Strahlengebilden und Metallsplitterkonstruktionen wären uns einfache, klare und karge Dekorationen,wie sie etwa bei der Münchner Erstaufführung im Jahre 1927 gezeigt wurden, lieber gewesen.

Dem Regisseur Paul Hager, der die Hauptpersonen recht vernünftig führte, geriet in den Chorszenen manches zu meistersingerlich. Auch hat er (offensichtlich zur Verdeutlichung des Kommenden) gleich im ersten Bild einen Mord geschehen lassen. Das steht zwar in der zweiten Fassung des Werkes von 1954 — aber von dieser läßt man besser die Hände ganz weg. Hindemith hat nämlich diese Oper noch ein zweites Mal komponiert, und zwar auf ein selbstgeschriebenes Libretto, und nur diese Fassung gilt als die vom Komponisten autorisierte. Doch überzeugt schon ein Blick in das neue Libretto, daß es sich dabei um völlig überflüssige Erweiterungen, Motivationen und Komplizierungen handelt, die — in summa — wie eine Selbstverstümmelung des eigenen genialen Jugendwerkes wirken.

Im Frühjahr 1927 brachte es Hinde-miths „Cardillac“ an der Wiener Staatsoper zu insgesamt drei Aufführungen. Wir wünschen dem Werk im heurigen Jahr mindestens das Dreifache. Der langanhaltende Premierenbeifall läßt es erhoffen.

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