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Sven Regeners Roman "Neue Vahr Süd": viele Gespräche, wenig Handlung.

Dieser Roman ist ein aufgeblasenes Ding. Auf fast 600 Seiten erzählt der deutsche Schriftsteller Sven Regener von seinem 19 Jahre alten Helden Frank Lehmann, einem gelernten Speditionskaufmann aus Bremen, der im Jahre 1980 vergisst, den Militärdienst zu verweigern, sich dadurch sinnlosen Schikanen soldatischer Ausbildner aussetzen muss, dann aber doch den Dienst mit der Waffe verweigert und nach Liebesenttäuschungen und wahrhaft mühseligen Erfahrungen in einer Bremer Wohngemeinschaft angeblich linker Studenten zu seinem Bruder nach Westberlin aufbricht. Kein großer Stoff, nein, eher eine kleine Geschichte, die man gewiss auf zwanzig Seiten erzählen könnte.

Verliebt in Geplapper

Aber Sven Regener, 44jähriger Texter und Sänger der Band "Element of Crime", Autor des im Taschenbuch exakt 285 Seiten umfassenden Bestsellers "Herr Lehmann", hat es diesmal lieber ausufernd, er ist allzu verliebt in seine weitschweifigen Dialoge, in denen es meist nicht um Charaktere und ihre Geschichten, um Erzählen und Zuhören, um Meinungsverschiedenheiten oder Gedankenstreit geht, sondern um rhetorisch verwickelte Wortgefechte des Missverstehens und Missdeutens.

Hinter der so herausgesprudelten Philosophie des Banalen, die der Autor entwickelt, als wollte er Endlosmaterial für Wittgensteins Untersuchungen zum Sprachspiel sammeln, tut sich allerdings etwas Faszinierendes auf: der Jargon jugendlicher Hilflosigkeit, sich anspruchsgemäß als Erwachsener ins Leben zu fädeln. Regener genießt diese mäandernden Wiederholungen und Varianten eines beinahe leeren Geplappers über Gebühr, aber wenn man sich anfangs auch noch dagegen wehrt und einige nur halb gelesene Seiten überblättert, findet man doch nach und nach heraus, dass man dieses aufgeblasene Ding eines recht umständlich erzählten Romans über viele Kapitel sehr genießen kann. Und so schiebt man die Vorbehalte fürs erste beiseite, lehnt sich zurück und hört jenen Bremer Typen zu, wie sie sich, damals, vor 25 Jahren, abgemüht haben, mit ihrem Leben zu Recht zu kommen, und wie sie es nicht schaffen.

Ort der Handlung ist anfangs ein Neubauviertel von Bremen, das dem Buch den (für alle nicht unmittelbar aus Bremen stammenden Leser völlig unverständlichen) Titel "Neue Vahr Süd" gibt. Wir erleben kurz die Eltern von Lehmann, den Auszug des Sohnes aus der familiären Wohnung, dann seine Versuche, die Ohnmacht gegenüber dem idiotischen Autoritäts- und Ordnungswahn der Militärs akzeptieren zu lernen, und wir sind bei vielen Treffen mit jugendlichen Freunden in der Kneipe dabei.

Autoritäre Ausbildner

Für die vielen Szenen beim Militär kann man den Autor nur beglückwünschen: Regeners Charakterisierung von autoritären Ausbildner-Typen und die Beobachtung (bzw. Erfindung) ihrer sprachlichen Eigenheiten kommt nach all den Militär-Skandalen in Deutschland (und Österreich) gerade zur rechten Zeit.

Ja und da sind noch die Freunde von Frank Lehmann, eine Runde von mehr bzw. eher weniger linksbewegten Genossen, die sich als Figuren des Romans den Zuschnitt einer Laubsägearbeit gefallen lassen müssen, gewiß eine lustige Runde von Typen, die jedoch nur im dialogischen Dschungel ein wenig Tiefenschärfe bekommen.

Basis für Bestseller

Sven Regener hat mit seinem ersten Roman "Herr Lehmann" (2001) einen äußerst unterhaltsamen Bestseller über die stillstehende Zeit in Westberlins Jugendszene vor 1989 geschrieben. Durch die familiengerechte Verfilmung des Buches und den damit erzielten Publikumserfolg in Deutschland war die Basis für den nächsten Bestseller gelegt, eine Chance, die Autor und Verlag clever nützen, und längst hat der literarische Ruhm des Autors Sven Regener den seiner Band überflügelt.

Wenn den Leser die gigantische Werbemaschinerie für diesen Roman nicht mehr nachdenklich macht, bleibt nur noch ein ganz kleiner Wunsch offen: der geschätzte Autor möge Frank Lehmanns bis dato noch nicht dargestellten Lebensabschnitte doch ein wenig kompakter mitteilen. Dann wird unsere Vorfreude größer.

Neue Vahr Süd

Roman von Sven Regener

Eichborn-Verlag, Frankfurt 2004

582 Seiten, geb., e 25,60

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