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Dialog im Karmel

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Das Sprechzimmer im Karmel zu Com-piegne im Jahre 1789. Die Priorin und Blanche de la Force, Tochter des Marquis de^la Force, sprechen miteinander durch das schwarzverschleierte Doppelgitter hindurch. Frau de Croissy, die Priorin, ist eine alte, sichtlich leidende Frau. Sie macht einen linkischen Versuch, ihren Lehnstuhl ans Gitter zu rücken. Es gelingt ihr mit. Mühe. Dann beginnt sie, ein wenig außer Atem, lächelnd zu sprechen.

DIE PRIORIN: Glauben Sie nicht, dieser Lehnstuhl sei ein Vorrecht meines Amtes wie der Fußschemel der Herzoginnen! Wie gern würde ich mich darin wohlfühlen, schon aus Liebe zu meinen teuren, mich treu umsorgenden Töchtern. Aber es ist schwer, sich in alte, längst verlorene Gewohnheiten wieder hineinzufinden, und ich sehe wohl: was Annehmlichkeit sein soll, vermag für mich nichts anderes mehr zu sein, als demütigender Zwang.

BLANCHE: Es muß süß sein, meine Mutter, sich auf dem Wege der Loslösung vom Irdischen so weit fortgeschritten zu fühlen, daß man schon gar nicht mehr zurückfinden kann.

DIE PRIORIN: Mein armes Kind, die Gewohnheit löst einen schließlich von allem los. Aber was nützt es einer Klosterfrau, von allem losgelöst zu sein, wenn sie es nicht von sich selbst ist, ich meine von ihrem eigenen Losgelöstsein? (Schweigen) Ich sehe, daß Sie das Gestrenge unserer Ordensregel nicht abschreckt.

BLANCHE: Es zieht mich an.

DIE PRIORIN: Ja, ich weiß, Sie sind ein großherziges Geschöpf. (Schweigen) Merken Sie aber, daß für Sie die scheinbar leichtesten Pflichten sehr oft in der täglichen Verrichtung die peinlichsten sind? Man bewältigt ein Gebirge und stolpert über einen Stein.

BLANCHE (lebhaft): Oh, meine Mutter, es gibt andere Dinge, die mir Furcht einflößen, als diese kleinen Opfer ... (Sie schweigt verstört)

DIE PRIORIN: Ja, was denn? Und was wäre denn so hübsch fürchterlich?

BLANCHE (mit immer unsicherer Stimme): Meine ehrwürdige Mutter, ich wußte nicht... es fiel mir so schwer ... so... auf der Stelle. Aber mit ihrer Erlaubnis werde ich darüber nachdenken und Ihnen später antworten ...

DIE PRIORIN: Nach Ihrem Belieben ... Aber würden Sie mir jetzt schon antworten, wenn ich Sie frage, welche Vorstellung Sie sich von der Grundpflicht einer Karmeliterin machen?

BLANCHE: Die Natur zu besiegen.

DIE PRIORIN: Trefflich. Sie zu besiegen, nicht sie zu unterjochen: diese Unterscheidung ist unerläßlich. Wer die Natur unterjocht, erreicht nichts anderes, als unnatürlich zu sein, und Gott will von seinen Töchtern nicht, daß sie täglich vor seiner Majestät Komödie spielen, sondern daß sie ihm dienen. Eine gute Magd ist immer dort, wo sie sein soll, und bleibt immer unbemerkt.

BLANCHE: Ich wünsche mir nichts anderes, als unbeachtet vorüberzugehen.

DIE PRIORIN (mit einem Gran Spott in der Stimme): Ach ja, das erreicht man nur auf die Dauer; und es allzu heftig begehren, erleichtert die Sache nicht... Sie sind hochgeboren, meine Tochter, und wir fordern von Ihnen keineswegs, daß Sie das vergessen. Wenn Sie auf alle Vorteile einer solchen Herkunft verzichten, können Sie den Pflichten nicht entrinnen, die sie Ihnen auferlegt, und sie werden Ihnen hier beschwerlicher erscheinen als anderswo. (Blanche macht eine abwehrende Gebärde) O ja, gewiß, Sie brennen darauf, die Letzte zu sein. Mißtrauen Sie auch dem, mein Kind ... Wer zu tief hinabsteigen will, gerät in Gefahr, ins Maßlose zu geraten. Nun verhält es sich mit der Demut wie mit allem: Maßlosigkeit erzeugt Hochmut. Und dieser Hochmut ist tausendmal tückischer und gefährlicher als der weltliche, der meist nichts anderes ist als eitle Ruhmsucht... (Schweigen) Was treibt Sie in den Karmel?

BLANCHE: Befiehlt mir, Euer Hochwürden, vollkommen offen zu sprechen?v

DIE PRIORIN: Ja.

BLANCHE: Nun denn, was mich lockt, ist ein heldisches Leben.

DIE PRIORIN: Ein heldisches Leben? Oder lockt Sie nicht vielmehr eine Lebensform, von der Sie meinen — sehr zu Unrecht meinen —, daß sie das Heldentum leichter, sozusagen handlich macht?

BLANCHE: Meine hochwürdige Mutter, verzeihn Sie mir, ich habe niemals solche Berechnungen angestellt.

DIE PRIORIN: Die gefährlichsten Berechnungen, die wir anstellen, nennen sich Illusionen ...

BLANCHE: Vielleicht habe ich Illusionen. Ich verlange nichts Besseres, als daß man sie mir nimmt.

DIE PRIORIN: Daß man sie Ihnen nimmt... (Sie betont die einzelnen Wörter genau) Sie werden sich selbst darum mühen müssen, meine Tochter. Hier hat schon jede genug mit ihren eigenen Illusionen zu schaffen. Stellen Sie sich nur nicht vor, es sei die erste Pflicht unseres Standes, uns gegenseitig zu helfen, um uns den göttlichen Meister angenehmer zu machen, wie sich junge Dinger untereinander Puder und Lippenrot leihen, ehe sie zum Ball erscheinen. Unsere Aufgabe ist Beten, wie das Leuchten einer Lampe. Keinem fiele es ein, eine Lampe zu erleuchten. „Jeder für sich“, das ist Weltgesetz, und das unsere gleicht ihm ein wenig. „Jeder für Gott“, arme Kleine! Sie haben von diesem Haus geträumt, wie ein furchtsames, eben vom Kindermädchen zu Bett gebrachtes Kind in seiner dunklen Kammer vom hellen und wannen Wohnzimmer träumt. Sie wissen nichts von der Einsamkeit, in der eine echte Klosterfrau dem Leben und dem Sterben ausgesetzt ist. Denn es gibt eine Anzahl echter Klosterfrauen, doch die der mittelmäßigen und bedeutungslosen ist viel größer. Ach, täuschen Sie sich nicht: hier wie anderswo bleibt das Übel, was es ist; und eine süße Speise aus Milch und Mehl und anderm Milden ekelt uns, wenn sie einmal verdorben ist, nicht weniger an als angefaultes Fleisch. Oh, mein Kind, weich werden liegt nicht Im Geiste des Karmel, aber ich bin alt und krank und schon sehr nah meinem Ende ... Schwere Prüfungen erwarten Sie, meine Tochter...

BLANCHE: Was tut es, wenn Gott mir Kraft gibt?

DIE PRIORIN: Nicht Ihre Kraft, Ihre Schwäche will er prüfen. Die Ärgernisse der Welt haben das Gute, Seelen, wie die Ihre, zu empören. Unsere Ärgernisse werden Sie enttäuschen. Alles in allem, meine Tochter, scheint mir der Zustand einer mittelmäßigen Klosterfrau beklagenswerter als- der eines Räubers. Der Räuber kann sich bekehren, und das wird für ihn eine Wiedergeburt sein. Die mittelmäßige Klosterfrau kann nicht wiedergeboren werden. Sie ist geboren, hat ihre Geburt verfehlt, und geschieht kein Wunder, bleibt sie für immer eine Mißgeburt.

BLANCHE: Oh, meine Mutter, ich möchte hier nichts als das Gute sehen...

DIE PRIORIN: Wer aus freiem Willen dem Nächsten gegenüber blind ist, tut meist nichts anderes, als den Spiegel zerbrechen, um sich selbst nicht darin zu sehn. Denn es liegt in der Gebrechlichkeit unserer Natur, daß wir unser eigenes Elend zuerst im andern entdecken. Hüten Sie sich davor, sich irgendeinem Wohlgesinntsein zu ergeben, daß das Herz erweicht und den Geist verfälscht. (Schweigen) Meine Tochter, die guten Leutchen fragen sich, wozu wir denn eigentlich taugen, und im Grunde ist ihr Fragen recht entschuldbar. Durch unsere strengen Entbehrungen glauben wir, ihnen zu beweisen, daß man auf viele Dinge sehr wohl verzichten kann, die sie für unentbehrlich halten. Doch damit das Vorbild wirkt, müßten die Leute zu guter Letzt doch sicher sein, daß uns diese Dinge einst genau so unentbehrlich waren wie ihnen ... Nein, meine Tochter, wir sind kein Abtötungsunter-nehmen, wir 6ind Stätten des Gebets. Einzig das Gebet rechtfertigt unser Dasein. Wer nicht an das Gebet glaubt, muß uns für Schwindler oder Schmarotzer halten. Wenn wir das den Gottlosen offener sagten, würde man uns besser verstehn. Müssen 6ie nicht anerkennen, daß der Glaube an Gott eine allgemeingültige Tatsache ist? Ist es nicht wirklich ein recht seltsamer Widerspruch, daß die Menschen alle zusammen an Gott glauben und so selten und so schlecht zu ihm beten? Sie erweisen ihm nur eine Ehre: ihn zu fürchten. Wenn der Glaube an Gott allgemein ist, muß nicht das gleiche für das Gebet gelten? Sehn Sie, meine Tochter, so hat es Gott gewollt: nicht indem er aus dem Gebet auf Kosten unserer Freiheit etwas so Unentrinnbares

DER KRYSTALL

SEITE 2 / NUMMER 43 20. OKTOBER 1951

gemacht hätte, wie Hunger und Durst, aber indem er zuließ, daß die einen stellvertretend für die andern beten können. So wird jedes Gebet ein Menschheitsgebet. Was der Hirtenbub aus einer Herzensregung heraus dann und wann tut, das müssen wir Tag und Nacht tun. Nicht weil wir annehmen, wir könnten besser beten als er. Im Gegenteil, diese Seelenschlichtheit, dies zarte Sichhingeben an die göttliche Hoheit, ist bei ihm eine Eingebung des Augenblicks, eine Gnade: wir müssen unser ganzes Leben weihn, um das zu erringen oder um es wiederzufinden, wenn wir es einmal besessen haben. Denn dies Geschenk der Kindheit überdauert die Kindheit selten genug... Wer ihr einmal entwachsen ist, muß sich sehr lange quälen, um wieder in sie hinzuwachsen: erst am äußersten Ende der Nacht begegnen wir einer neuen Morgenröte. Bin ich wieder ein Kind geworden? ... (Blanche weint) Sie weinen?

BLANCHE: Weniger aus Schmerz, mehr aus Freude. Ihre Worte sind hart, aber ich fühle, daß auch noch härtere die Begeisterung nicht zerstören können, die mich zu ihnen treibt-

DIE PRIORIN: Dämpfen Sie sie, »hne sie zu zerstören. Glauben Sie mir, es ist die verfehlte Art, sich unserer Ordensregel zu unterwerfen, wenn man sich blindlings hineinstürzt wie ein von Dieben Verfolgter.

BLANCHE: Ich habe keine andere Zuflucht, wirklich nicht.

DIE PRIORIN: Unsere Ordensregel ist keine Zuflucht. Es ist nicht die Regel, die uns behütet, wir hüten die Regel. (Langes Schweigen) Sagen Sie mir noch dies: Haben Sie vielleicht schon ganz ausnahmsweise den Namen gewählt, den Sie als Karmeliterin tragen möchten, falls wir Sie zum Noviziat zulassen sollten? Aber daran haben Sie wohl noch niemals gedacht?

BLANCHE: Oh doch, meine Mutter. Schwester Blanche von Christi Todesangst möchte ich heißen.

Die Priorin zuckt unmerklich zusammen. Sie scheint einen Augenblick zu zögern, bewegt die Lippen. Dann aber spricht aus ihren Zügen plötzlich die ruhige Festigkeit eines Menschen, der sich entschieden hat.

DIE PRIORIN: Gehen Sie in Frieden, meine Tochter.

Aus „Die begnadete Angst“. Verlag Jakob Hegner, Ölten

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