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Dichter im Kampf der Zeit

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„Er war nicht nur persönlich ein Streiter, sondern auch ein Rufer zum Streit, nicht nur durch sein Beispiel, durch seinen heldenhaften Tod, sondern auch durch sein Wirken in Wort und Schrift aLs Dichter und endlich durch die Stiftung eines Ritterordens zum Kampf für das Gute und gegen das Böse“ — mit diesen Worten zieht Wilhelm Schmidt S. V. D. in seinem eben erschienenen bedeutenden Werk die „Summe der Existenz" des jungen österreichischen Widerstandskämpfers Hanns Georg von Heintschel-Heinegg, dessen Haupt am 6. Dezember 1944 von Henkershand fiel.

Ein ergreifendes Schicksal steigt aus den Seiten des Buches auf. Mit einer Art innerer Bezauberung folgt man diesem Lebenslauf, der in knapp 26 Jahren durch alle Höhen und Tiefen geführt hat. — Dem jungen Ästheten und Dichter schien eine heroische Lebensbahn nicht vorgezeichnet zu sein. Auf die tiefe Verbundenheit mit der Heimat weisen wohl schon die 23 Gedichte, die er in seiner ersten Sammlung der Vaterstadt Wien widmet, aber den „Träumenden Ring“ schrieb noch ein träumender Dichter. In den „Gesängen des Dämmerns“ und den sechzehn Liedern vom „Heimlichen Sang“ wandelt sich Heintschel zum Lyriker.' In der Gruppe „Das Lebendige“, die vier Lieder und fünf Hymnen enthält, strafft sich der Rhythmus: Eine Vorahnung des kommenden Opfers scheint in den Versen mitzuschwingen:

... Du faß’st mich an der seele,

Du rufst mich in dein reich Die himmlischen chorääe Begleiten mich so weich.

Doch auch mit schwert und faline Folgt dir mein schwacher schritt,

Nach ewiglichem plane Ich fal und siege mit.

Der Einmarsch Hitlers bringt die Wende Im Leben Hanns Georg von Heintschels. Er trat der Widerstandsgruppe bei, die der Klosterneuburger Chorherr Dr. Roman Scholz unter dem Namen „österreichischer Freiheitsbund“ (ÖFB) schon 1938 um sich scharte. Dieser sehr aktive Kreis schloß sich Anfang 1939 mit der von Dr. Jakob von Kasteliz geführten „Großösterreichischen Freiheitsbewegung“ (GÖFB) und dem „österreichischen Kampfbund“ (ÖKB) Dok tor Lederers zusammen. E amit bestand nun eine einheitliche Organisation der katholischen österreichischen Freiheitskämpfer, die sich in einen militärischen und einen zivilen Sektor gliederte. Die Leitung des letzteren übernahm Hanns Georg von Heintschel. Leider hatte ein Gestapospitzel, der Burgschauspieler Otto Hartmann, in den Kreis um Scholz Eingang gefunden und verriet die Pläne. Am 23. Juli 1940 setzten in Wien, Nieder- und Oberösterreich Massenverhaftungen unter den katholischen Widerstandskämpfern ein. Unter den etwa 130 Festgenommenen befanden sich 10 Priester, davon 7 aus dem Zisterzienserkloster Wilhe- ring.

Heintschel, einer der rührigsten und kühnsten unter den jungen Kämpfern, teilte dieses Schicksal. Bis Ende 1940 dauerte die Haft bei der Gestapo, eine Gerichtshaft bis Juli 1941 schloß sich an. Dann wurden dis Opfer in das Strafgefängnis Anrarth bei Krefeld gebracht. Hier, von der Außenwelt abgeschnitten, den Foltern eines adistischen Gefängnisleiters ausgesetzt, wuchs Heintschel zu seiner ganzen seelischen und dichterischen

„Gegenwart und Zukunft des Abendlande s“, Verlag Josef Stocker, Luzern. Dis tiefgründigen zeitgeschichtlichen Untersuchungen, welchen die übrigen Abschnitte des Werkes gewidmet sind, werden in diesem Blatt noch eingehende Würdigung erfahren.

Reife empor. Am Sonntag Trinitatis 1942 blickt der Gefangene aus seiner einsamen Kerkerzelle zurück auf die besonnte Vergangenheit:

In meine Nächte scheint kein sanfter Traum, Hart ist der Pfuhl, worin der Geist sich bettet. Gib meinen ragenden Gestalten Raum,

Du dunkle Nacht, in die ich midi gerettet!

Euch will ich sehen, glänzende Paläste,

Euch, Lichter, die mein Geist sich schuf, Euch, Farben, euch, geschmückte Gäste,

Die ihr gefolgt dem königlichen Ruf.

Flieht, graue Wände, jetat giilt andre Zeit!

Ich fühle Teppiche, bin von Musik umfangen Und trage Gold auf meinem weißen Kleid, Das Golid der Tat, nicht eitles Ehrverlangen.

Die Statuen im Vestibül erschauern,

Dieweil sie zart das Kerzenlicht umrinnt; Und Künstler kommen, und von hohen Mauern Tönt sanft zurück, was meine Seele sinnt.

Wo leb ich denn? Ist dies die hodde Welt? Sprach ich nicht eben mit dem edlen Freund? Es war die Nacht, idi bin von ihr umstellt, Sie ist den schimmernden Gestalten feind.

So sej denn du mir Braut, schweigsame Kälte, Und du, farbloses Grau, sei meiner Augen Lust! Was ich an blinden Träumen euch vergelte, Steigt dennoch einst lebendig aus der Brust!

(„Notturno“)

Die Vergangenheit ist innerlich überwunden, die Erinnerung an sie schmerzt nicht mehr. Der Dichter ist unter den Leiden der Haft zum Mann geworden und nimmt „Abschied vom Jünglingstraum“:

Es kommen wieder helle Nächte; Stunden,

In denen lang Vergangenes entsteht.

Die Ruhe, ja, ich habe sie gefunden,

Ich habe doch so viel um sie gefleht.

Dies ist mein Pfad, Gott hat ihn wohl gerichtet;

Ich gehe üin, wenn auch Gestrüpp midi reißt. Doch da sind sanfte Plätze ausgelichtet,

Darin mich eine Bank verweilen heißt.

Ein Waldessaum, von dort bin ich gekommen, Ein Stein, vom nahen BMitenduft umhellt. Schon bin idi ganz aus solcher Welt genommen Und in ein herbes Ackerland gestellt...

Zu Fronleichnam und am Herz-Jesu- Sonntag weiht sich Heintschel, in Erinnerung an Freunde aus der Gesellschaft Jesu in Innsbruck, religiöser Besinnung, die wieder in Verse fließt. Man versteht seine Glaubenskraft und die Innigkeit seiner religiösen Empfindung vielleicht erst ganz, wenn man erfährt, daß sich der junge Dichter zum Priester berufen fühlte und seine theologischen Studien in Innsbruck bereits begonnen hatte. Im Bombenregen der alliierten Tages- und Nachtangriffe auf die rheinische Industrie entstand auch der gefühls- und gedankenreiche Zyklus „Der dunkelblaue Kranz — den getreuen Freunden gewidmet“: Anruf und Dank an ihm Nächstverbundene. In einigen dieser Gedichte klingt bereits der Wunsch nach einer engeren Gemeinschaft auf — des zu Anfang erwähnten geistlichen Ritterordens, ein Vorsatz, der Heintschel schon im Jahre 1940 in der Gestapohaft in Wien beschäftigt hatte.

Nun formt sich ihm das Bild und er gibt ihm dichterisches Kleid in drei Gedichten, die zusammen 72 Strophen umfassen — die Zahl der von Christus zuerst ausgesandten Jünger. Die beiden ersten tragen die Titel: „Gott spricht zur Ordensburg Cunctipoten- tis vox“ und „Eu cha ris tische Feier der Ordensritter. Lumen Christi“. Das dritte „Veni vivificans“ vereint in kunstvollem Aufbau, Aufruf unid dichterische Betrachtung der „Weih der Ordensritter an den Heiligen Geist":

Komm, Schöpfer Geist, in dieser Stunde, Da wir dir offen sind als Tor!

Komm aus dem stillen Lidit hervor Und glühe auf an unserm Munde!

Wir sind nur Tempel diir, dem Wind,

Der uns bewegt, wie Flaum und Flor.

Wir sind ein unbewußter Chor,

Durdi den dein Lied als Feuer rinnt...

Im Gefängnis zu Anrath begann Heintschel für den Orden zu werben — nur unter Freunden, die gleich ihm vom Tode umschattet waren. Die kleine Schar umfaßte sechs Mitglieder. Die Beratungen der Freunde über Satzung und Zielsetzung erfolgten durch heimlichen Briefwechsel — die von Heintschels Hand geschriebene Satzung, seine Ausarbeitung des Zeremonials und seine Darstellung der Ziele der Gemeinschaft sind erhalten geblieben.

Ende 1943 wurden die Gefangenen in sechswöchiger qualvoller Fahrt nach Wien zurückgebracht. Die Moskauer Deklaration der alliierten Staatsmänner über die Wiederherstellung Österreichs spornte Himmler an, mit der österreichischen Widerstandsbewegung reinen Tisch zu machen. Die sechs engverbundenen Gefährten wurden Ende Februar 1944 zum Tode verurteilt. Drei von ihnen teilten eine gemeinsame Todeszelle. Am 30. April, dem Fest der heiligen Katharina von Siena, legten sie — salva approbatione edi sanctae — die Gelübde auf die Regel des „Ordens der Ritter vom Heiligen Geist“ ab. Ein vierter der Gefährten, der später ihre Zelle teilte, wurde nachträglich aufgenommen. Im Angesicht des Todes, in der Kerkerzelle, aus der man drei von ihnen später zur Hinrichtung führte, hatte eine kleine Schar gotterfüllter junger Leute einen Orden begründet.

Die Schilderung, die Wilhelm Schmidt von den Meßfeiern der Todgeweihten gibt, ge mahnt an Gottesdienste in den Katakomben:

„Mit vielen Bitten erlangten die drei Freunde von dem katholischen Gefängnispfarrer, daß er ihnen heimlich — denn es war streng verboten — Hostien und Wein in die Zelle brachte, so daß sie einmal in der Woche, am Sonntag um 1 Uhr, die heilige Messe feiern konnten. Da ein Kelch ihnen nicht zur Verfügung stand, so diente statt seiner ihr metallefter Trinkbecher, den sie blank zu scheuern sich bestrebten, mit dem Kalkstaub, den sie von den Wänden ihrer Zelle abkratzten. Alles anderė, die sakralen Gewänder, die Kerzen usw. mußten ersetzt werden durch die gesteigerte Inbrunst und Opferbereitschaft der kleinen (Ordens) Gemeinde...“

Der evangelische und der katholische Gefängnispfarrer teilten sich in irenLscher Gemeinschaft in den geistlichen Zuspruch der Gefangenen. Dem hochgesinnten evangelischen Gefängnispfarrer — „Bruder Rieger", wie ihn Heintschel nannte — verdanken wir den Bericht über den Opfergang Flanns Georgs: „Mit in weite Ferne schauenden Augen schritt er voran, laut auf lateinisch das Apostolische Glaubensbekenntnis betend. Mit den Worten ,Credo in spiritum sanctum war er an der Türe des Hinrichtungsraumes angekommen. Sie öffnet sich und bleibt angelehnt geöffnet, o daß ich, wenn ich auch nicht eintreten durfte, alles weitere doch deutlich vernehmen konnte. Hanns Georg setzt ein Glaubensbekenntnis fort, um keine Menschen sich mehr kümmernd; 1 der Oberstaatsanwalt ihm die Frage stellt: ,Sind Sie Hanns Georg von Heintschel- Heinegg?' antwortet er mit den ich anschließenden Worten des Glaubensbekenntnis ,sanctam Ecclesiam catholicam, Sanctorum communion em‘. Noch kann er vollenden .remitsionem peccatorum, carnie resurrectionem et vitam aeternam — das ,Amen‘ wird von dem herabsausenden Fallbeil verschlungen.“ „Das war“, schließt der evangelische Geistlich diesen ergreifenden Bericht, „der heilige Tod dieses würdigen Sohnes seiner Kirche, der er zu hoher Ehre gereicht." — Hanns Georg von Heintschel hatte seine Mutter gebeten, ihm den Spruch als Grabschrift zu setzen, der ihn, wie er sagte, „schon als Kind wie aus Wolkentiefen angeführt hat“: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ (Jesaias 43, 1).

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