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Dichter in dieser Zeit

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Hermann Hesse. Von Hugo Ball. Suhrkamp- Verlag, Berlin und Frankfurt am Main. 214 Seiten. Preis 4.80 DM.

Als 34. Band der „Bibliothek Suhrkamp“ erscheint diese zum ersten Male 1927 veröffentlichte Monographie in unveränderter Gestalt. „Sein Leben und sein Werk" — von der Kindheit und den Jahren im Kloster Maulbronn und in Tübingen bis zum „Steppenwolf“ — wird hier nicht nur von einem Kenner, sondern auch von einem der nächsten Freunde des Dichters geschildert: authentisch (denn Hesse hat den Autor mit schwer zugänglichem biographischem Material unterstützt) und mit einer Einfühlung, die bis zur Identifikation geht. So hat dieses Büchlein fast den Rang — zuweilen freilich auch die Mängel — einer Selbstdarstellung.

Bertolt Brechts Gedichte und Lieder. Auswahl Peter Suhrkamp. Suhrkamp-Verlag. Berlin und Frankfurt am Main. 163 Seiten. Preis 4.80 DM.

Diese Auswahl, sehr subjektiv getroffen, „hat zur Grundlage einen jahrzehntelangen persönlichen Umgang mit dem Dichter“. Aus der „Hauspostille", die im gleichen Verlag erschienen ist, wurden verschiedene wichtige Stücke ausgespart, ebenso die politischen, die in der Auswahl „Hundert Gedichte" im ostdeutschen Aufbau-Verlag den Ton bestimmen. Ueber den bisherigen Brecht-Ausgaben waltete ein Unstern. Man wünscht sich, daß im Rahmen der geplanten Gesamtedition endlich auch eine vollständige, unzensurierte Ausgabe der Gedichte zustande käme.

Der Gegenwart ins Gästebuch. Gedichte von Erich Kästner. Ausgewählt und herausgegeben von der Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main. 162 Seiten.

Die den breitesten Raum einnehmenden Stücke aus Kästners in den dreißiger Jahren sehr populären und bekannten Sammlungen (Ein Mann gibt Auskunft, Herz auf Taille, Gesang zwischen den Stühlen) sind ergänzt durch einige neue Gedichte. Zu den alten schrieb Kästner einige aktuelle Kommentare. Für sein ganzes Werk mag hier die Anmerkung zu „Misanthropologie" stehen: „Mancher Leser wird sich fragen, warum ein so pessimistischer Zeitgenosse wie der Verfasser nicht endlich die geistigen Waffen strecke und das Schreiben aufstecke. Nun, Paul Valėry hat gesagt: Die zutiefst pessimistischen Urteile über die Menschen, die Dinge, das Leben und seinen Wert lassen sich wunderbar vereinen mit der Tat und dem Optimismus, den diese erfordern. Das ist europäisch!“

Mohn und Gedächtnis. Gedichte. 75 Seiten. Preis 4.80 DM. — Von Schwelle zu Schwelle. Gedichte. 65 Seiten. Preis 6 DM. Von Paul Celan. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart.

Der 1920 in der Bukowina geborene Autor lebt seit vielen Jahren in Paris, abseits des deutschen literarischen Betriebes. Seine ersten Gedichte er schienen in anspruchsvollen Zeitschriften und Anthologien. Celans Sprache ist dunkel-schwermütig; er spricht in Bildern, oft in biblischen, andeutend, verschlüsselt, wie aus dem Traum. Sein Ton ist immer der gleiche (die erste Sammlung stammt aus dem Jahre 1952, die zweite erschien drei Jahre später). In der „Todesfuge“ ist ihm eines der faszinierendsten und schönsten Gedichte der nach 1945 hervortretenden Generation gelungen.

Larifari. Von Friederike Mayröcker. Bergland- Verlag, Wien. 47 Seiten. Preis 22 S.

„Ein konfuses Buch“ nennt die 1920 in Wien geborene Autorin ihre erste Sammlung kleiner Prosadichtungen, Impressionen, Phantasien und Beschreibungen von Wiener Straßen, Parks und Landschaften, von alltäglichen, durch die Sprache verzauberten Dingen, Reflexionen über mythologische Gestalten und eigene Erlebnisse . . . Ihre „Prosa“ ist den Versen Paul Celans verwandt. Auch hier — ein neuer Ton, eigenwillig-vfrsponnen, zuweilen nicht ohne Heiterkeit: echte Dichtung.

Die Struktur der modernen Lyrik. Von Hugo Friedrich. Rowohlt-Verlag, Hamburg (Rowohlts deutsche Enzyklopädie). 214 Seiten. Preis 1.90 DM.

Die moderne Lyrik beginnt, nach des Autors Meinung, der man zustimmen kann, mit Baudelaire, Rimbaud und Maliarme. Was er darstellen will, sagt der Titel, also keine lückenlose Geschichte der Gattung. Die Themen heißen: Entpersönlichung, Zerlegen und Deformieren, die Nähe des Schweigens, Apollo statt Dionysos, Einblendungstechnik und Metaphern, Sprachmagie und Suggestion, alogische Dichtung usw. Die Ausführungen Friedrichs sind das Resultat eines völlig unakademischen, sehr feinen Beobachtungs- und Reaktionsvermögens. Daß die deutschsprachigen Lyriker (nur durch Trakl, Benn und Krolow vertreten) gegenüber den Franzosen, Italienern und Spaniern so schlecht wegkommen, mag, entgegen der Versicherung des Autors, doch mehr auf seine fachliche Spezialisierung zurückzuführen sein als auf das tatsächliche Uebergewicht des romanischen Avantgardismus. Bemerkenswert auch die zahlreichen Analysen und Uebersetzungen durch den Autor, der als Romanist an der Universität Freiburg im Breisgau tätig ist (die man um diesen akademischen Lehrer beneiden kann!).

Einbahnstraße. Von Walter Benjamin. Bibliothek Suhrkamp. 125 Seiten. Preis 4.80 DM.

Walter Benjamin (1892 bis 1940), der eigenwillige Soziologe und Kulturphilosoph, dessen Gesammelte Schriften in zwei Bänden beim gleichen Verlag erschienen sind, ist als Schriftsteller der Meister des dichterischen Aphorismus, des träumerisch-irrealen Aperęus. Er zeichnet gewissermaßen Vexierbilder der Wirklichkeit. Eine Probe: „Arbeit an einer guten Prosa hat drei Stufen: eine musikalische, auf der sie komponiert, eine architektonische, auf der sie ge baut, endlich eine textile, auf der sie gewoben wird.“

Nachlese (Prosa 1951 bis 1955). Von Thomas Mann. S.-Fischer-Verlag. 240Seiten. Preis 16.80DM.

Etwa die Hälfte des Bandes nehmen Thomas Manns letzte drei Versuche ein, die an dieser Stelle in anderem Zusammenhang bereits besprochen wurden: über Kleist, Schiller und Tschechow. Aber gerade auch in den kleinen Stücken, rund 30 an der Zahl, Gelegenheitsarbeiten gewissermaßen, zeigt sich der Meister, der jedem Sujet eine neue, originelle Seite abzugewinnen weiß, der einen Gegenstand aufmerksam so lange hin und her wendet, bis man seine wichtigste — oder auch schwächste — Stelle herausgefunden hat, worauf das Objekt mit erstauntem Stirnrunzeln (darüber nämlich, daß es sich als so interessant oder rührend, jedenfalls als besehenswert erwiesen) aus der Hand gelegt wird.

Unsere Zeit. Eine Anthologie. Herausgegeben von Hermann Kesten. Kiepenheuer Sc Witsch, Köln- Berlin. 520 Seiten. Preis 16.80 DM.

„Die schönsten deutschen Erzählungen des 20. Jahrhunderts" lautet der anspruchsvolle Untertitel dieser Sammlung von Meisternovellen. Ebenso prätentiös ist das achtseitige Vorwort des Herausgebers, in dem nicht weniger versucht wird, als eine Diagnose des Menschen der letzten fünfzig Jahre und seiner Literatur zu entwerfen. Kesten bekennt sich zum absoluten Subjektivismus seiner Auswahl, die, selbst ein Kunstwerk, im Resultat mehr ergeben soll als die Summe der Komponenten. So kann man also mit ihm über die einzelnen Stücke schwer streiten. Aber immerhin. — „Wie Jappe und Do Escobar sich prügelten" ist weder für Thomas Mann repräsentativ noch als Erzählung gelungen. Die Reihe beginnt mit Hofmannsthal, Schnitzler, Rilke und läuft mit den allerjüngsten Deutschen und Oesterreichern aus. (Oesterreich ist gewichtig mit Werfel, Polgar, Horvath, Joseph Roth, Lernet-Holenia und Torberg vertreten.) Stofflich neigt der Herausgeber zum Ausgefallenen, Abwegigen, Extremen, zu Autoren, deren Ausdruckstechnik man als magisch- phantastischen Realismus bezeichnen könnte. Der Geschmack des Lesers mag oft ein anderer sein, aber langweilen’ wird' er sich bei der Lektüre dieses Bandes bestimmt nicht.

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