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Dickicht und Wildnis

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Kann man Spannungen und Entladungen de Drama — auch Wenn sie sehr zeitgebundenen Charakter tragen und nicht 6äkular-klassisehe Konturen zeigen — in solchem Ausmaß und in solcher Intensität zu neuem Bühnenleben erwecken, daß sie vom heutigen Zuschauer als ganz unmittelbares Erlebnis empfunden werden, vor dessen Elementarkraft das intellektuelle Wissen von den „überholten“ Zeitumständen einfach verblaßt und zurück- weicht7 Zwei Wiener Sprechbühnen begannen die heurige Spielzeit mit der Wiedergabe von Werken, denen gegenüber die vorangestellte Frage am Platz ist. Und sie kann von Dichter und Stück her mit Ja beantwortet werden: Man kann Wede- kinds „Frühlings Erwachen" ebenso wie Ostrowskijs „Wa 1 d" heute — 1961 — nicht nur spielen, man kann aus beiden Werken jenen Funken schlagen, der unmittelbar und ohne Bildungserlebnis auch auf ein heutiges Publikum überspringt. Die Frage ist nur das Wie.

Otto Schenk versuchte, dem von August Scholz übrigens ledern und zuweilen fast unfreiwillig komisch übersetzten Werk Ostrowskijs dadurch beizukommen, daß er es teils ins Beiläufig- Impressionistische übersetzte, teils zum Absurden steigerte. Nun ist aber Ostrowskij ein Dichter des bürgerlichen Realismus, der sich zu Tschechow, an dessen „Kirschgarten" Schenk wohl bei den dahingeplauderten und unterspielten Gesellschaftsszenen gedacht haben mag, so verhält wie Anzengruber zu Schnitzler. Und die beiden der Dickichtwelt des iehverktampften Großbürgertums kontrapunktierten Komödianten sind tragikomische Menschen von Fleisch und Blut, etwas sentimental gesehene Ritter der theatralischen Landstraße, nicht die sich absurd verrenkenden Clowns, als die sie Schenk unter das Diktat seiner vom Mimischen her zwingenden Regie zwang. Das Bühnenbild (Otto Reihs) wahrte den notwendigen dreidimensionalen Realismus, die Kostüme (Hill Reihs- Gromes) hielten mit Geschmack im großen und ganzen die Zeittreue, wenn sie auch manchmal ins Biedermeierliche zu entlaufen drohten. Die Schauspieler des „Theaters in der Josefstadt“ sind allesamt Meister der impressionistischen Nuance, aber nicht jene vollsaftigen Realisten, die Ostrowskij verlangt. Der Gutsherrin der Friedl Czepa fehlte die Bedrohlichkeit vom Vitalen her, auch Georg Bücher (Wosmibratow) spielte urwüchsige Gewissenlosigkeit mehr, als er sie verkörperte. Peter Matič (der junge Bulanow) machte die zynische Streberei, weniger die tretende Brutalität des Emporgekommenen glaubhaft. Bleibt freilich Leopold Rudolfs Erzkomödiant und Tragöde Gennadij. Er schöpfte so aus dem vollem, daß er uns mühelos auch dann überzeugt hätte, wenn ihm die Regie lieber ein paar Kratzfüße und Verrenkunger erspart hätte. Etwas vitaler und plepejisch- auftrumpfender hätten wir uns dagegen den Komiker Arkadij (Guido Wieland) gewünscht.

Um vieles besser glückte der Prozeß der unmittelbaren Verlebendigung eines nur scheinbar verstaubten Werkes im Volkstheater. Gustav M a n k e r isi ein Regisseur, der von einem bis in: Letzte durchdachten geistesgeschichtlicher Gesamtkonzept ausgeht. Er aktualisier nicht, macht nicht „verständlich“, aber ei beschwört zuweilen — nicht immer geling: es seinem eher vergrübelten Naturell - den Zeitgeist so unmittelbar, daß er aucl ein unvorbereitetes Publikum einfacl fasziniert. Dazu kommt bei ihm de: nahtlose Einbau des Optischen, wie die: bei „Frühlings Erwachen“ von Anfang an sowohl im projizierten Bühnen bild (Georg Schmid) wie auch in de Kostümierung (von Maxi Tschunko zun Alptraum gesteigerter Naturalismus de Jahrhundertwende) zu spüren war. Fü Manker ist dieses Werk reiner Expressio nismus, Aussageschrei der Gestalten, auf rüttelnde Aussage des Dichters ins Publi kum hinein. Deswegen auch der voran gestellte, mehr bekenntnishafte als poetische Prolog. Dort, wo das Stück rein expressionistisch geschrieben ist, also besonders in den Szenen nach der Pause, ist Manker in seinem Element. Dort steigert er sich von Wirkung zu Wirkung (die zuweilen, etwa in der Konferenzszene, hart an der Gefahr ist, sich zu überschlagen). Wo es bei Wedekind scheinbar stimmungsmäßige, retardierende Momente gibt, wird Mankers Führung unsicher, die heute nicht mehr an den Expressionismus gewöhnten Schauspieler entgleiten ihm sofort und spielen auf eigene Faust (so etwa die an sich ausgezeichnete Margarete Fries als Frau Gabor und ganz besonders Ludwig Blaha, dem die sternheimsche Kälte des Vater Gabor ganz fehlt). Nennen wir die, die dem Manker-Wedekind- schen Konzept am nächsten kamen: dann steht Heinrich Eis (Moritz) an erster Stelle. Er war ganz hervorragend, solange er die Aussageelemente analysierte, die Zusammenfügung in der verhinderten Liebesszene mit dem Modell Ilse (von Iris Cramon merkwürdig stilunsicher dargestellt) wird ihm wohl erst später gelingen. Klaus Hörings Melchior hatte Intensität und sympathisch gezügelte Aussagekraft. Die Wehdla der jungen Renate Bernhard zeigt ihre Unfertigkeit dann, wenn sie zu „fertig“ und routiniert sein will, besondefs zu Anfang. Die Szene vor dem drohenden Tod geriet dann aber um vieles besser. Von der Regie her eine Fehlsicht: die Besetzung das tatünfähigen Wunschträumers Hänschen Rilow mit einem so vitalen Klachel wie Peter Göller. Das Publikum spürte — nach dem Aüfhören einiger peinlicher Herrenabendlacher —, daß dieses zeitgebunden-zeitlose Stück uns näher ist, als mancher glauben mag. Wenn je eine Generation fremd und sich selbst überlassen vor dem Leben steht, dann die nach uns kommende. Und ein so charmanter Geleitsmann wie der von Egon Jordan wahrhaft wedekindisch gespielte „Vermummte Herr“ wartet zwischen unseren Gräbern bestimmt nicht mehr auf verzweifelte „Halbstarke“. Am Beifall war zu spüren, daß man manches verstanden hatte.

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