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Die 80 Aufrechten von Lipica

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Ein Nachtrag zum internationalen Dichtertreffen in Slowenien.

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Ein Nachtrag zum internationalen Dichtertreffen in Slowenien.

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Unermeßliches Leid und Elend herrschen auf unserem — par- don - perversen Planeten wie immer einerseits, unermeßliche Bösartigkeit andererseits, seit geraumer Zeit unter anderem in Bosnien und Sarajewo. Ein paar hundert Kilometer nördlich findet in Lipica die Internationale Vilenica-Schriftstellerta- gung statt, und es ist angeblich eine große Ehre, dorthin eingeladen zu werden. Peter Handke war schon dort, Alfred Kolleritsch, Gert Jonke, Christoph Ransmayer, Josef Winkler. H. C. Artmann, Gerhard Roth und ein ganzer Haufen mitteleuropäischer Autoren ebensolcher Wichtigkeit. Jan Skacel, Peter Esterhazy, Fulvio Tomizza, Andrej Szczypiorski, Milan Kundera und und und. Der Planet ist dadurch leider nicht viel besser geworden.

Die Dichter sind im Klub-Hotel Lipica untergebracht, man erkennt sie leicht, weil sie ohne Reiterstiefel und Reiterhelm und Reitergerte daherkommen, im übrigen sehen achtzig in einen Bus gepferchte Dichter auch nicht viel anders aus als ein Bus mit achtzig Touristen. Platzangst darf man keine haben. Gleich nach Vilenica findet der Volvo World Cup im Springreiten statt, da wird erst was los sein. Volvo sponsert die Pferde, Gorenje die Literatur, super.

Das diesjährige Thema lautet Gewalt und die anwesenden Achtzig sind entschieden gegen jede Form von Gewalt, die abwesenden sechs Milliarden verzichten auf Wortmeldungen. Wir sind für Offenheit einer Kultur gegenüber der anderen, für Toleranz und Mannigfaltigkeit und Multikulturalität und Integration der Unterschiedlichkeiten, die slowenischen Veranstalter glauben nach wie vor felsenfest, daß die mitteleuropäischen Dichter geistige Führer sind, aber das wird sich schon noch legen.

Wir disputieren also über Gewalt im Behelfskongreßzentrum von Se- zanna und Appell auf Appell geht auf die Dichter nieder, aber es gibt keine Klimaanlage und nach drei Stunden sind alle schon ziemlich müde und erschöpft, während des anschließenden dreistündigen Stelzenessens läßt der Busfahrer vor der Gostilnja Grahor unentwegt den Motor laufen, nicht einmal das haben unsere Referate verhindern können. Sobald es inoffiziell wird, geht der heillos überforderte Dolmetscher monokulturell nach Hause. Death, fire, blood, das hätte ich auch so verstanden. Der Mythos, daß es wenigstens die Dichtung weiterbringt, wenn Dichter tagelang im Haufen auftreten, kann wieder einmal nicht zerstört werden, weil es im Rahmen der Völkerverständigung viel Freundlichkeit und Höflichkeit, aber enorme Verständnisschwierigkeiten gibt. Schon small-talk wäre Seelensport. Gerne würde ich mich mit dem polnischen Essayisten gegenüber über den grauen Kaffee unterhalten und eventuell kämen wir über Umwege auch auf Katastrophenprophylaxe, aber der Pole spricht nicht englisch, ich nicht polnisch, und also trinken wir den grauen Kaffee und essen so integrativ wie möglich das Karstmürbteiggebäck.

Den diesjährigen Literaturpreis nimmt in der stimmungsvollen Grotte von Vilenica der tränennasse bosnische Lyriker Josip Osti in Empfang und erzählt in seiner Dankesrede von seiner kranken Mutter in Sarajewo. Wir blicken zu Boden, das Grottenwasser tropft uns auf die Köpfe und alle applaudieren heftig, aber wir wissen, daß das nur eine Notlösung ist. Es wäre wirklich eine nette Geste von den Serben und dem übrigen Kriegsgesindel, wenn sie endlich Frieden in Bosnien inachen, jetzt wo doch Josip Osti den Internationalen Vilenica-Literaturpreis gewonnen hat, aber in der Abendzeitung steht noch nichts davon. Da steht nur, daß bei uns wieder Briefbomben unterwegs sind, seltsamerweise auch an Literatur adressiert. Jetzt überschätzen uns schon die Terroristen! Endlich sind wir sprachlos, wir Ausländer.

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