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Die AAaskeniatrilc

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Dieser Tage erhielt ich die Erlaubnis, die „Internationale Masken-Ausstellung“ (IME) zu besuchen, einen mächtigen Konzern, wie man heutzutage sagt, die Gründung einer Aktiengesellschaft, die über viele Milliarden Kapital und eine Belegschaft von Tausenden bewährter Fachkräfte verfügt.

Höflich wurde ich von einem der stellvertretenden Direktoren der Abteilung „Neuschöpfungen“ empfangen. Er begleitete mich während der ganzen Dauer meines Besuches durch das berühmte Unternehmen. Es war ein Mann um die Fünfzig, ein langer, hagerer Mensch mit aschfahlem Gesicht, dem keine Gefühlsregung anzumerken war, abgesehen vielleicht von einem gewissen schwermütigen, aber unterdrückten Unbehagen.

„Wir beschäftigen uns", erklärte mein Führer, „nicht allein mit der Herstellung von Masken des alten Typs, sondern auch mit vollständigen Verkleidungen, mit Dauerschminken, plastischen Korrekturen und vor allem mit anhaftenden, unsichtbaren und unerkennbaren Masken, die unsere Kunden, haben sie dieselben einmal angepaßt, nie wieder ablegen können — auch am Tage ihres Todes nicht. Ich lege Wert auf die Feststellung, daß gerade sie am meisten verlangt werden. Heutzutage brauchen wir Menschen Masken nicht mehr bloß für wenige Stunden eines ‘rergnüg!ichen Zeitvertreibs. sondern fürs ganze Leben.“

Nach diesen Worten ließ er mich in einen Modelliersaal eintreten, eine sehr lange Glashalle mit drei riesigen parallelen Tischen, an denen lange Reihen von Arbeitern standen, wie Chirurgen ganz in Weiß gekleidet. Ich bemerkte, daß sie alle schon alt waren, weißhaarig oder kahlköpfig die meisten, mit blassen, aufmerksamen Gesichtern und langsamen, behutsamen Bewegungen. Jeder von ihnen hatte eine Art Pult vor sich, auf dem ein Bild ruhte, das Gemälde eines Mannes oder einer Frau, und ieder formte aus einem mir unbekannten Stoff, halbflüssiger Seide ähnlich, eine Maske,’ die dem gemalten Antlitz glich, das er vor Augen hatte. Die gelblichen, gut gepolsterten Hände der Alten modelten die klebrige Maske liebe voll, und unter ihrem zarten Kneten nahm sie allmählich menschliche Form an. Langsam ging ich zwischen den Tischen durch und entdeckte zu meinem großen Erstaunen, daß die in Arbeit befindlichen Masken durchaus nicht komisch, mißgestaltet, tierisch oder unheimlich waren wie die der Wilden und der Japaner oder wie unsere alten Karnevalsmasken, vielmehr ganz gewöhnliche Gesichter, wie wir sie täglich auf der Straße, im Eisenbahnzug, im Theater oder in den Schaufenstern der Photographen sehen. Da gab es fleischige und hagere Gesichter, glatte und bärtige, vergrämte und ausdruckslose, bejahrte und junge, ja vor allem junge Gesichter, lauter Dutzendgesichter, nichtssagend bis zur Plattheit.

Ich wandte mich an meinen Führer mit der Bitte um Erklärung dieses Rätsels, erhielt jedoch nur die schlichte Antwort: „Wir erzeugen, was unsere Verbraucher haben wollen, und ihre Zahl ist Legion."

Damit aber gab ich mich nicht zufrieden.

„Das wahre Antlitz des Menschen“, ließ sich mein Führer nun herbei, „ist oft schreckenerregend, weil es fast immer etwas von der angeborenen Wildheit oder der dumpfen Wirrnis der Seele enthüllt. Viele, und ihre Zahl wächst mit jedem Jahr, wollen daher von uns eine Dauermaske haben, um sich nicht allzusehr von jenen zu unterscheiden, die ein Gesicht oder eine Maske mit gewöhnlichen Zügen tragen. Als die Menschen noch weniger vertiert waren, legten sie des Gegensatzes und des Spaßes halber gerne Tiermasken an, und als sie noch gescheiter waren, bereitere es ihnen Vergnügen, sich unter einer finsteren und dummen Maske zu verbergen. Heute ist das anders: Die Ereignisse des letzten Halbjahrhunderts haben die Seelen und Antlitze verzerrt, entstellt und in vielen das ursprünglich Tierhafte wieder zum Vorschein gebracht. Die wirklichen Gesichter haben den Ausdruck der alten furchterregenden Masken angenommen, und nun sollen wir Masken liefern, die in früheren Jahrhunderten nie als solche, sondern als natürliche Gesichter gegolten hätten. Mehr denn je ist heute wahr, was Hamlet zu Ophelia spricht: ,Gott gab Euch ein Antlitz und Ihr macht ein andres daraus.““

Nachdem wir den Saal verlassen hatten, wurde ich in die Musterabteilung geführt. Dort standen an der Wand Gestelle, mit weichen Teppichen bedeckt, darauf die fertigen Erzeugnisse zur Auswahl für die Kunden. Es sah aus wie eine Ausstellung menschlicher Attrappen, gut angezogener Kleiderpuppen aller Stile und in allen Stellungen.

„Dies“, sagte freundlich mein Begleiter und wies auf eine der stummen, starren Gestalten, „ist die Maske eines Ehrenmannes, nach den neuesten Modellen ausgeführt. Betrachten Sie doch die gütigen Augenbrauen, die strenge Nase, den herzlichen Mund, die wohlwollenden Ohren und das freimütige Kinn. Heute ist dieses Modell sehr gefragt, besonders von Geschäftsleuten, Wirtschaftsführern, Glücksrittern und sogar von Gewohnheitsverbrechern."

„Dies hier“, fuhr mein Mentor fort, „ist das Modell des Frommen. Wir verkaufen es täglich in schweren Mengen, und zwar in die Länder mit einer anerkannten und herrschenden Religion. Sicherlich ist Ihnen die asketische Bescheidenheit der Wangen, die Keuschheit der Lippen, die Schlichtheit der Haare, die Demut der Nasenlöcher und die ergebungsvolle Beugung des Halses nicht entgangen. Dieses Modell wird von egoistischen, jähzornigen und ausschweifenden Menschen sehr gesucht."

„Dieses hingegen“, bemerkte mein liebenswürdiger Cicerone und zeigte mit dem Finger auf die plumpe Figur eines Greises, „ist der große Philosoph. In unseren Tagen herrscht nach diesem Modell nur geringe Nachfrage. Fs ist nicht genügend ansprechend und elegant, doch mangelt es auch ihm nicht an Liebhabern, wenn sie auch immer seltener werden. Trockene Patrone, herzlose, boshafte und rachsüchtige Personen, die im Namen abstrakter Ideale über ihresgleichen zu herrschen wünschen, erwerben gerne dieses wohlgelungene Modell."

„Dieses“, setzte der Vizedirektor seine Erklärungen fort und bezeichnete eine weibliche Maske, „ist das berühmte Modell der Dame von Welt. Sie sieht ein wenig zynisch drein, ein wenig sentimental, sehr dumm, aber vorlaut und anmaßend, ist gefühlskalt und doch oft

Ehebrecherin, dreist und schwatzhaft. Die Frauen der Neureichen, Abenteurerinnen, die hinter einer guten Partie her sind, Provinzlerin- nen, die sich plötzlich in eine große Stadt versetzt sehen, ferner die Mondänen zählen zu den besten Kundinnen unseres Modells.“

„Auch dieses wird viel verkauft", nahm mein Führer seine Erläuterungen wieder auf und bezeichnete eine feierliche Gestalt in der Nähe. „Sie haben wohl erraten: es ist der Politiker, der Gesetzgeber, der Staatenlenker. Wir stellen davon verschiedene Typen her, je nach den Anschauungen und den Obliegenheiten der betreffenden Kunden. An diesem hier vor uns können Sie den Stolz der Augenhöhlen, die Genialität der vorgewölbten Stirnknochen, die Sanftheit der Jochbeine bewundern, in schönem Gegensatz zum kläglich schütteren Haarwuchs und zur tiefen Bitterkeit der beiden Falten zu seiten des Mundes, der übrigens, wie Sie bemerken können, leicht geöffnet ist, voll Ungeduld, zur Rede anzusetzen.“

„Hier nun eines unserer beliebtesten Modelle: der ultramoderne Künstler. Beachten Sie’ die zurechtgemachte Mähne, den kalten, aber unverschämten Gesichtsausdruck, die zusammengekniffenen Lippen, die Kleinheit des Schädels, das kurz zugestutzte Bärtchen und das herausfordernde spitze Kinn. Ehrgeizige Nichtskönner, Scharlatane mit allzu groben Gesichtszügen, phantasielose Empörer, alle, die ein leichtes Abenteuer suchen oder raschen Ruhm ersehnen, achten der Kosten nicht, nur um sich hinter diesem Modell verbergen zu können, an dem wir alljährlich mehrmals entsprechend wohldurchdachte Verbesserungen vornehmen müssen."

Noch eine ganze Anzahl unerwartet absonderlicher Figuren wurde mir gezeigt. Ich besuchte an jenem Morgen noch viele andere Abteilungen mit den merkwürdigsten Geheimverfahren für die Serienherstellung. Ich habe mich aber dem netten und höflichen Direktor gegenüber feierlich verpflichtet, nicht mehr zu sagen, als ich eben gesagt habe, und die verblüffenden Geheimnisse keiner Menschenseele zu entdecken. Und ich halte mein Versprechen gewissenhaft, denn ich will mir keine Unannehmlichkeiten seitens der allgewaltigen Internationalen Masken-Erzeugung zuziehen.

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