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Die arbeitslose Donau

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Auch die Zivilisation der Maschine hat ihr

Losungswort: „Zuėrst die Technik! Die Technik über alles!“ Wie denkfaul seid ihr doch!

Georges Bernanos: „Wider die Roboter.“

Vor dem Rathaus der niederösterreichischen Stadt Mödling steht das Denkmal eines mutigen Mannes. Dankbare Mitbürger haben das Andenken an Josef Schöffel, mit dessen Namen die Erinnerung an die Rettung des Wienerwaldes vor seiner Verwüstung durch Geldgier und Unverstand untrennbar verbunden ist, auf diese Weise der Nachwelt überliefert. In einer Zeit hemmungsloser wirtschaftlicher Expansion, in der kein Argument dem der klingenden Münze und der „Nützlichkeit“ widerstehen zi können schien, trat er zunächst als Einzelgänger einem der gefährlichsten Anschläge auf die Landschaft unserer Heimat entgegen und blieb nach hartem Ringen Sieger. Die Enkel wissen ihm dafür Dank.

Wir haben Grund, Josef Schöffel zu bitten, von seinem Marmorsockel herabzusteigen und wieder das Wort zu nehmen. Zu beängstigend ist nämlich das Schweigen unserer Zeitgenossen, wo es gilt, einem Vorhaben rechtzeitig Einhalt zu gebieten, das Natur und Kultur im Herzraum Oesterreichs in beispielloser Weise Gewalt anzutun droht.

Zuerst war ein Gerücht. Dann sickerten Einzelheiten, denen man keinen Glauben schenken wollte, an die Oeffentlichkeit. Seit ungefähr vier Wochen wissen es alle. Der Donau soll es an den Kragen gehen. Eine so nutzlose Esserin, die nichts anderes im Sinn hat, als ihre Wasser möglichst rasch von den Quellflüssen ins Schwarze Meer zu tragen, ist den Technikern und ihren Herren in der Mitte des 20. Jahrhunderts eine Ungeheuerlichkeit. Daß wir den Strom bereits in Jochenstein und bald auch in Ybbs-Persenbeug „arbeiten" lassen, wird mit einer geringschätzigen Handbewegung zur Seite geschoben. Viel zuwenig... man bedenke das „unerschlossene“ Potential. . . keine Sentimentalitäten ... So entstanden Pläne — konkrete, durch Skizzen belegte Pläne, die, mögen sie auch auf Jahrzehnte hinaus angelegt sein, kein anderes Ziel haben, als die Donau und den Charakter der sie umgebenden Landschaft grundlegend zu verändern. Von Passau bis Preßburg soll eine Kette von fünfzehn Stauwerken

— „Wasserburgen“ nannte es die liebe Ahnungslosigkeit in einem Reporterkostüme — erstehen. Schon spricht man davon, da und dort derp Strom ein neues Bett zu graben. Dieses oder jenes Opfer werde natürlich gebracht werden müs-sen, ansonsten aber wird der’ Natur großzügig „größtmögliche Schonung“ — wie ,eine solche aussieht, wissen wir aus anderen Fällen zur Genüee — zugebilligt. Totes Wasser an Stelle des fließenden Stromes, ein hartes, technisiertes Gelände an beiden Ufern statt der uralten Kulturlandschaft, andere Menschen! Ein schöneres Land — glücklichere Bewohner? Man darf beides ernsthaft bezweifeln.

Wir haben mit Absicht einige Wochen zu gewartet. Entgegen jeder journalistischen Gepflogenheit hätten wir gerne einmal jemand anderen den Vorrang gelassen, das erste kritische Wort — und wäre es auch noch so leise gewesen — gegen die Uebertragung der Orwell- schen Zukunftsvision von 1984 an den Strand der Donau zu sprechen. Nichts. Ein einziges Schweigen. Schweigen rechts und Schweigen links. Nur die niedlichen Stilübungen der jüngsten Reportergarde etwa unter dem Titel „Das Donauweibchen wird gebändigt“. Sind wir wirklich schon so festgefahren in einer totalen Kommerzialisierung unseres Denkens, daß wir selbst angesichts einer solchen Operation au( Tod und Leben — man kann auch eine Landschaft, ja ein Land mit dem Preßlufthammer zu Tode operieren! — ruhig zur Tagesordnung übergehen? Vielleicht allerdings — und wir möchten es zur Ehre der verantwortungsbewußten Sprecher unserer öffentlichen Meinung annehmen — scheint das Projekt ihnen so gigantisch und fernste Zukunftsmusik, daß sie glauben, den Anforderungen des Tages den Vorrang geben zu können. Wir teilen diese Meinung nicht. Wir glauben, daß man es auch mit den Omnipotenz- ansprüchen der Diktatorin Technik so halten muß. wie es die Erfahrung gegenüber den politischen Diktaturen gelehrt hat: den Anfängen widerstehen.

„14 Millionen Kilowatt Jahresleistung! Ist das zu verachten?“ werden die Herren von der Energie sagen und Tabellen mit Zahlen ausbreiten, in denen klipp und klar zu lesen ist, wieviel elektrischen Strom wir voraussichtlich im Jahre 1960, im Jahre 1970 und so weiter benötigen werden. Woher nehmen? Ihre Argumente in Ehren — allein es ist nicht unbekannt geblieben, daß schon heute ein nicht geringer Prozentsatz des innerhalb Oesterreichs erzeugten Stroms außer Landes geht. Man mache uns nicht vor, daß man allein wegen des Strombedarfes der sieben Millionen Oesterreicher der Donau ein Korsett aus Zement anlegen muß. Man verstehe uns, bitte, richtig: Niemand huldigt tagträumerisch einer falschen Romantik. In der Mitte des 20. Jahrhunderts will keiner in die Postkutsche umsteigen. Deswegen wird kein ernstes Wort gesprochen werden, wenn man im Zuge des Ausbaues unserer Wasserkräfte nach gewissenhafter Prüfung auch weitere zwei oder drei Donaukraftwerke an landschaftlich1 ungefährlichen Plätzen erwägt. Allein, das ist etwas anderes als die Vision von der „Seentreppe“ mit ihren „Wasserburgen“, unter anderen in Melk und bei Dürnstein und unterhalb Wiens (praktisch das Ende der Lobau und ihrer Tiere) an Stelle des pulsierenden Lebens im und am Strom. Eigentlich müßten diesmal der Fremdenverkehr und mit ihm — paradoxerweise — diesmal auch die Schirmherren der Wachaustraße unsere Verbündeten sein!

Als Josef Schöffel sich für die Erhaltung des Wienerwaldes schlug, stand der Weizen der „Gründer“ in hoher Blüte. Diese Zeit mit ihrem hemmungslosen Gewinnstreben, mit-ihrer Ver achtung des historisch Gewordenen und Gewachsenen hat mit Recht keinen guten Ruf. An allen Orten aber sehen wir noch steinerne Zeugnisse des Geistes — besser der Geistlosigkeit — jener Epoche. „Nie kehrt sie wieder!“ dachten wir alle noch voll Abscheu in unserer Jugend. Und gleichzeitig dachten wir, wie man es doch in unserer Zeit anders machen würde, wenn nur Geld da wäre. Heute ist das Geld da — und wir sind, ob wir es bemerkt haben oder nicht, unversehens in eine „zweite Gründerzeit“ mit all ihren Begleiterscheinungen hineingeschlittert. Ein Unterschied ist freilich: ein Josef Schöffel blieb nicht allein. Die jungen Volksbewegungen des christlichen Sozialismus und der Sozialdemokratie machten gegen die herrschenden Mächte ihrer Zeit Front. Heute sind-diese beiden Parteien beziehungsweise deren Erben die in die verschiedensten Interessenverbindungen verstrick ten Regenten der Stunde. Wo findet da ein Plan wie jener, der die Lebensader dieses Landes in Beton auszugießen hofft, Grenzen? Wer hat den Mut, einem Denken, das jedes Stück Natur, jeden Baum, jeden Fluß nur nach dem materiellen Profit, den sie eintragen könnten, abwägt, entgegenzutreten?

Josef Schöffel steigt nicht herunter von seinem Postament. Aber die Donau muß weiterfließen - auch ohne Arbeitsnachweis. Eine Fahne ist zu vergeben.. Wer sie .aufnimmt, geht keinen bequemen Weg. Wir wollen es nicht glauben, daß es im weiten Rund unseres Abgeordnetenhauses wie überhaupt im gesamten öffentlichen Leben keine Männer melir gibt, die die Verpflichtung in sich spüren, dieses Land ihren Kindern so zu übergeben, wie es ihnen Gott zur Verwaltung überlassen hat.

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