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Die Audienz

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Im großen Saal der Mappamondo saß Ende März 1937 der Premieiminlster von Italien und las ein höchst unbequemes Dokument. Betitelt „Mit brennender Sorge“ und an das deutsche Volk gerichtet, war uiese Enzyklika eine vernichtende Anklage gegen den lieben Freund des Premiers, Adolf Hitler. Geschrieben war sie von einem leidenden, angeblich im Sterben liegenden alten Bergsteiger namens Achille Ratti, bekannt als Pius XI. Anzeichen mangelnder Tatkraft waren kaum vorhanden in dieser Enzyklika; einzelne Ausdrücke, Sätze, ja ganze Abschnitte sprangen dem Lesenden aus ihren Seiten entgegen, welche der Empfindlichkeit des Duce hart zusetzten, die zur Zeit gerade besonders zart besaitet war, da Herr Hitler im Begriff stand, Rom mit seinem seltenen Besuch zu beehren.

Beizende Schärfe würde dem Führer mit kehligem Laut über die Lippen tröpfeln wegen dieses neuesten Versagens, den Vatikan immer aus der Reihe tanzen zu lassen. „Wir in Berlin werden mit derlei Dingen besser fertig“, würde er höhnisch sagen. Recht hatte er, der Führer wurde besser mit den Dingen fertig. Sehr viel besser. In diesen kurzen vier Jahren hatte er sein Volk bewaffnet, das Rheinland besetzt, Oesterreich bedroht, England gedemütigt, Frankreich eingeschüchtert und — bitterstes von allem — Italien als das schwächere Glied der Achse unterjocht.

“Wie peinlich, wie geradezu aufreizend, vor diesem Alles-Eroberer stehen und sich entschuldigen zu müssen, daß man nicht einmal fähig gewesen war, das Gegrabbel eines waffenlosen alten Mannes im Zaun zu halten!

Um wenigstens einen Teil seines Zornes loszuwerden, hatte der Duce den vatikanischen Gesandten zu sich bestellt, um ihm eine ordentliche „Abreibung“ zu verpassen. In der Tat wurde das Opfer eben in diesem Augenblick durch die schwerbewachten Flügeltüren der Mappamondo eingelassen. Sechzig Sekunden lang würden seine Priesterstiefel jetzt über den glänzenden Parkettboden der Mappamondo knarren müssen — eine Quälerei, die wohlberechnet war, um auch die Fassung erfahrener Diplomaten zu erschüttern.

Zufällig indessen trug Alfeo Quarenghi, vatikanischer Botschafter beim Quirinal, Stiefel, die nicht knarrten. Und überdies unter seinem purpurroten Priestergewand eine durch nichts zu erschütternde Fassung. Er wußte ganz genau, was er zu hören bekommen würde. Der Duce würde brüllen: Ich.“ Quarenghi würde murmeln: „Der Heilige Vater.“ Der Duce würde donnern: „Die Achse.“ Quarenghi würde sagen: „Die Kirche.“ In einem letzten Wortwechsel würde der Duce den gefürchteten Namen: „Hitler“ ausrufen. Worauf Quarenghi erwidern würde: „Gott.“

Etwa ganz in der erwarteten Art und Weise begann die Unterredung. Mussolini begrüßte seinen Besucher mit der Höflichkeit eines Eiszapfens und stürzte sich dann in einen anklagenden Wortschwall gegen den Heiligen Vater. „Will denn dieser lästige alte Mann niemals sterben?“ tobte er los und wedelte mit seinem Exemplar der Enzyklika vor Quarenghis Gesicht herum. „Oder, wenn das zuviel verlangt sein sollte, besitzt er dann nicht wenigstens Anstand genug, mit seinen senilen Ergüssen gegen den Führer aufzuhören?“

Der Duce knallte die Seiten herum, wobei er fürchterliche Beispiele der Majestätsbeleidigung zitierte. „Hören Sie sich das an: ,Wer immer Rasse oder Volk, Staat oder Verfassung der abwägenden irdischen Wertung entzieht und als Götzenbilder anbetet, verkehrt und fälscht in höchstem Maße die von Gott geschaffene Ordnung der Dinge.'“ Verärgert haute er die Enzyklika auf die Schreibtischplatte. „Von Gott geschaffener Blödsinn. Weiß denn der Papst nicht, was in Europa vor sich geht?“

„Der Heilige Vater weiß sehr wohl, was vor sich geht“, entgegnete Quarenghi. „Deswegen verausgabt er ja seine sinkende Kraft, um gegen Hitlers schreckliches Programm der seelischen Korruption vorzugehen.“

„Es ist nicht die Aufgabe des Papstes, interne Einrichtungen einer fremden Regierung zu kritisieren. Herr Hitler hat Deutschland stark gemacht, es seinen Feinden gegenüber geeint.“

„Der Heilige Vater erhebt keine Einwendungen gegen die Einigung des deutschen Volkes. Aber er kann es nicht schweigend hinnehmen, wenn Christus und Seine Kirche angegriffen werden.“

Da sein Dreinschlagen zwecklos geblieben war, versuchte der Duce es jetzt mit glattzüngiger Vertraulichkeit von Mann zu Mann. „Als ich anfing, mich mit Politik zu befassen, war es die Kirche zufrieden, auf der Seite der bestehenden Regierungen zu stehen. Sie war gewillt, ihre helfende Hand zu sein, ein Stützpfeiler des Status quo. Zu meiner Information nur, Exzellenz, belehren Sie mich über die Natur des Wechsels, der vor sich gegangen ist. Strebt der Heilige Stuhl vielleicht darnach, in den Angelegenheiten der Welt eine mehr beherrschende Rolle zu spielen?“

Quarenghi ließ sich von dem scheinbaren Freimut des Duce nicht täuschen. „Dem Heiligen Stuhl ist an irdischer Herrschaft nicht gelegen“, sagte er. „Er hat jedoch nicht die Absicht, eine passive Rolle zu spielen, sobald der Totalitarismus die unsterbliche Seele des Menschen bedroht. Zweimal in diesem Monat hat der Papst seine Stimme gegen die zynische Gottlosigkeit von Führern erhoben, die leugnen, daß der Mensch ein Ebenbild Gottes ist.“ Quarenghi zeigte auf die Enzyklika, welche auf dem Schreibtisch des Duce lag. „,Mit brennender Sorge' ist eine Warnung, die dem deutschen Volk zeigt, daß Hitlers Hakenkreuz Tod der Seele bedeutet. In Divini Redemptoris legt der Heilige Vater die furchtharen Trugschlüsse des atheistischen Kommunismus bloß, deckt seine falsche Messiasrolle auf, weist darauf hin, daß der Kommunismus den Menschen seiner menschlichen Würde beraubt und leugnet, daß er seinen Ursprung in Gott habe.“ Quarenghi schloß seinen kurzen Vortrag über die Einstellung des Heiligen Stuhls gegenüber dem Totalitarismus. „In dem kommenden Kampf zwischen dem Staat und der Seele stellt sich die Kirche auf die Seite der Seele.“

Des Kardinals Hinweis auf Divini Redemptoris gab dem Duce eine Handhabe für die Debatte. „Wenn der Kommunismus siegt, wird es keine Seele mehr geben. Der Führer ist der Verteidiger des Christentums gegen den sowjetischen Atheismus.“

Wieder wußte Quarenghi zu antworten. „Im Augenblick, Euer Exzellenz, gefällt es dem Führer, diese Rolle zu spielen. Der Heilige Stuhl ist indessen zufällig unterrichtet, daß Herr Hitler Maschinen, Werkzeuge und Munition nach Rußland verschifft in dem verzweifelten Versuch, einen Nichtangriffspakt mit Moskau abschließen zu können. Wenn es seinen Zwecken nützen könnte, würde Hitler die Altargefäße jeder Kirche von ganz Europa einschmelzen, um das stumme Beiseitestehen Sowjetrußlands zu erkaufen, wenn er seinen Krieg entfesselt.“

Der Kardinalsdiplomat hatte nicht nötig hinzuzufügen: „Euer Exzellenz ist Realist genug, um dies genau so gut zu wissen wie ich.“

Der Duce war ein Realist und wußte nicht nur dies, sondern noch weit mehr. Er wußte, daß es im Laufe der Weltgeschichte keinen gab, der so verächtlich wie er Fußtritte hinzunehmen gelernt hatte. Da es nicht sonderlich angenehm ist, das von sich selbst zu wissen, versuchte Mussolini das Ganze lieber zu vergessen.

„Meine Bitte um den Besuch Eurer Exzellenz am heutigen Tage hatte den Zweck“, lenkte er stirnrunzelnd ab, „den Heiligen Stuhl zu informieren, daß Herr Hitler den Faschismus durch einen Besuch in Rom ehren will. Ich werde nicht zulassen, daß sich bei diesem Besuch Zwischenfälle ereignen. Ich muß Ihre Zusicherung haben, daß die katholischen Jugendorganisationen von ungebührlichen Demonstrationen absehen werden, solange mein Gast in Rom ist.“

Die winzigste Andeutung eines Lächelns begleitete Quarenghis Gegenfrage: „Wenn zehntausend Mann der Geheimen Staatspolizei die Straßen säumen, wie sollte da irgend jemand noch demonstrieren können?“

Sowas ist schon vorgekommen“, fuhr der Duce auf. „Faschistische Ehre bedarf einer absoluten Garantie dafür, daß es nicht wieder vorkommt.“

Dahin ist es also mit Cäsar gekommen, schoß es Quarenghi durch den Kopf. Laut sagte er: „Ich werde das Ansuchen Euer Exzellenz dem Kardinalstaatssekretär vorlegen.“ Da die Unterredung allem Anschein nach beendet war, erhob sich Quarenghi, verbeugte sich und wollte eben wieder die kahle Fläche der Mappamondo überqueren, als der Duce ihn zurückrief.

„Eine Sache noch, Exzellenz.“ Mussolini zog kurz einen Notizzettel v.on einem Schreibtisch zu Rate. „Ich nehme die Gelegenheit wahr, um gegen die Verrätertätigkeit eines gewissen Gaetano Orselli zu protestieren. Der Mann ist ein Fanatiker. Er hat verschiedentlich Feinde des Staates rneinem Zugriff entzogen und sie im Flugzeug nach England und Frankreich transportiert.“

„Warum setzen Euer Exzellenz mich von dieser Tätigkeit in Kenntnis?“

„Warum? ... Orselli ist doch päpstlicher Kammerherr, oder nicht?“

Der Kardinal schüttelte verneinend das Haupt. „Signor Orselli steht nicht im Dienst des Vatikans.“

„Unter diesen Umständen“, sagte der Duce finster blickend, „sind Sie nicht in der Lage, Einwendungen zu erheben, wenn meine Agenten sich dieses flüchtigen Verräters bemächtigen.“

Advent 1938. Mit einem Brieföffner, der halb Stilett, halb Kruzifix war, schlitzte der Erzbischof von Hartneid einen länglichen Briefumschlag auf, dem das Wappen des Vatikans eingeprägt war, und zog mit der vertrauten Handschrift des Nuntius Alfeo Quarenghis voll beschriebene Bogen heraus.

„Ich habe einen sehr gemischten Sack voller Neuigkeiten für Sie. Der Heilige Vater ist wieder recht krank; sein letzter Herzanfall erschreckte uns aufs äußerste. Mochte er indessen noch so herunter gewesen sein, stand er doch sofort vom Bett auf, als er vernahm, daß Hitler nach Rom kommen würde. ,Mit diesem Antichrist kann ich nicht in der gleichen Stadt bleiben', sagte er und begab sich nach Castel Gandolfo, wo er die ganze Zeit über blieb, die Hitler hier war.

Seit Ihrem letzten ad limina-Besuch erkundigt sich der Heilige Vater ständig nach Ihnen voll Sehnsucht und herzlicher Zuneigung. Er spricht von Ihnen als seinem .amerikanischen Benjamni', ein zärtlicher Name, der bis auf Kapitel und Vers genau die alttestamentarische Art seiner Neigung kennzeichnet.

Der Kardinalstaatssekretär ist außerordentlich zufrieden über die Ergebnisse Ihrer Besprechungen mit dem Präsidenten, welche vortreffliche Dienste bei Erreichung eines stärkeren Rapprochement zwischen dem Vatikan und dem Weißen Hause geleistet haben. Ihre Formulierung .gleichlaufende Bemühungen um Frieden' drückt mit größter Genauigkeit den Gedanken aus, der — so hoffen wir — bei der Ernennung seines persönlichen Vertreters beim Vatikan den Präsidenten leiten wird. Ihr Vorschlag, daß dieser Vertreter ein Protestant sein sollte, ist hier mit warmer Zustimmung aufgenommen worden. Wir sind völlig der gleichen Meinung, daß konfessionelle Erwägungen dem größeren Ziel nachgeordnet werden müssen, welches der Präsident und der Papst gemeinsam verfolgen: alles Menschenmögliche zur Verhinderung eines Krieges zu tun.

Obgleich der Heilige Stuhl durch seine Gebete und alle seine Aktionen auf dieses Ziel hinarbeitet, sind wir doch der Ueber-zeugung, es in der Gestalt des Herrn Hitler mit einem Größenwahnsinnigen zu tun zu haben. Daß er einen Vernichtungskrieg will und ihn der Welt aufzuzwingen beabsichtigt, wird in steigendem Maße deutlich. Niemand von uns weiß genau, wann es sein wird; daj genaue Datum hängt vollständig von dem Nichtangriffspakt ab, den Hitler mit Molo-tow abzuschließen im Begriff steht.

Nehmen Sie alle Kraft zusammen jetzt, Stefano, um eine bitterschwere persönliche Nachricht ertragen zu können. Die Leiche Ihres Freundes Gaetano Orselli wurde an einer einsamen Stelle in der Campagna unter einem Gebüsch gefunden. Als man ihn entdeckte, war er schon längere Zeit tot. Er hatte einen Schuß im Rücken — offensichtlich das Werk der OVRA-Meuchelmörder. Sein Tod ist nur eines der Tausende von Verbrechen gleicher Art, die ungestraft bleiben werden, solange der faschistische Koloß breitbeinig über diesem unglücklichen Lande steht...“

Aus dem Roman „Der Kardinal“, Verlag der Frankfurier Hefte

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