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DIE AUFGABE CHRISTLICHER DICHTUNG

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Direktor Bernhard Haussier vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken hielt anläßlich des Dreiländertreffens des katholischen Buchhandels Oesterreichs, der Schweiz und Deutschlands, das vor kurzem stattfand, im Kaisersaal der Würzburger Residenz einen Festvortrag über das Thema „Literarische Kultur und Unkultur". Wir geben nachstehend einige Auszüge seines Referates im Wortlaut wieder:

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Direktor Bernhard Haussier vom Zentralkomitee der Deutschen Katholiken hielt anläßlich des Dreiländertreffens des katholischen Buchhandels Oesterreichs, der Schweiz und Deutschlands, das vor kurzem stattfand, im Kaisersaal der Würzburger Residenz einen Festvortrag über das Thema „Literarische Kultur und Unkultur". Wir geben nachstehend einige Auszüge seines Referates im Wortlaut wieder:

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Ob wir in einer literarischen Kultur oder Unkultur leben, wer weif es? Sicher ist nur, dal; wir in einer literarischen Ueberkultur leben. Deren erste Folge ist die Uebersättigung des Marktes und die des Lesers nicht weniger. Es gibt zu viele Bücher, stöhnt der Leser, was aber den Verleger nicht hindert, zu jammern, es gäbe zuwenig Autoren. An diesen etwas widersinnigen Verhältnissen ist niemand anders schuld als das System unserer heutigen Buchproduktion. Die Ueberproduktion hängt wahrscheinlich, wenn wir das Buchwesen im ganzen bedenken, mehr mit der Schreibseligkeit als mit der Leseseligkeit unserer Epoche zusammen. Schuld scheinen zunächst die Autoren zu sein. Der wirkliche Schriftsteller, der wortmächtige Autor, ist eine Ausnahme. Neben ihm steht als sein Schatten der fixe Schreiberling, durch den der wahre Schriftsteller zugleich kompromittiert wird. Diese hurtigen Talente sind eine Plage, aber nicht nur sie, auch ihr Gegenpol, die öden Schriftsteller, verderben die Literatur.

Aber man würde sich täuschen, nähme man an, daß die Unberufenen sich immer aus eigenem Antrieb zur literarischen Produktion drängen. Vielmehr macht man leider aus ihnen auf künstliche Weise Schriftsteller, indem man unter dem Vorwand, Talente entdecken zu wollen, im Interesse des Produktionsapparafes friedliebende Menschen zur Armee der Literatur preßt. Insofern sind nicht die Autoren schuld, sondern die Produktion und ihre verderblichen Prinzipien. Das bedeutet aber, daß die Literatur sich nicht vermehrt, wie Leben sich vermehrt, in der Weise einer natürlichen Fruchtbarkeit, sondern daß Bücher sich vermehren, indem aus dem immer gleichen Schoß die immer gleichen flüchtigen Schöpfungen emporgeschleudert werden. Jedes neue Programm verschlingt das alte und das nicht nur dadurch, daß die Sturzflut der Konkurrenz die eigene Produktion begräbt, sondern durchaus so, daß im je eigenen Verlagshaus die neue Produktion zum F?ind der alten wird.

Die Bücher können bei diesem Verfahren nicht mehr gedeihen, weil sie einander im Wege sind. Verleger sollten manchmal die Förster fragen, wie dicht man Bäume wirklich pflanzen dürfe, damit sie sich nicht gegenseitig im Wachstum behindern. Das eigentliche Opfer dieses Zustandes aber ist der Leser, der ständig in einer Art Erstickungsangsf lebt. Wie soll das lesende Publikum die fünfzehntausend oder zwanzigtausend Titel eines Jahres noch bewältigen? Wie freilich das deutsche Publikum des Jahres 1913 die fünfunddreißigtausend Titel der damaligen Neuerscheinungen hätte bearbeiten sollen, ist schlechterdings ein Rätsel, denn im Vergleich zu jenen blühenden Jahren der Literatur scheinen wir ja heute förmlich in einem verkümmerten literarischen Leben dahinzutreiben. Der Leser wird aber nicht nur durch das literarische Ueberangebot behindert. Er ist schon behindert durch den allgemeinen Zustand der Welt, die ihm die klassische Voraussetzung des Lesens raubt, nämlich die ungestörte Ruhe.

Natürlich, auch in der Literatur importiert man nur, was man nicht selbst erzeugen ' Auslanjri-.Bj®rxrliefßrf.. .Das Verstummen der Deutschen, nämlich der Ausfall einer obersten Garnitur von Weltrang auf dem Gebiet der Literatur, ist nicht erst ebenso rätselhaft wie die Geogrsyshie' der :Begabungen- im gesamten Sprachraum etwa seit Beginn dieses Jahrhunderts. Freilich sollten wir auch nicht vergessen, was die Liferaturpolifik einflußreicher Verlage und einflußreicher Literaturblätter zu dieser Optik beiträgt. Die literarische Fremdherrschaft aber, die wir mit hemmungslosem Uebersetzen selber aufrichten, ist gewiß nithf geeignet, eigene schlummernde Talente zu ermutigen. Wie sollen diese nicht alle Sicherheit verlieren in der Verwirrung durch die tausendstimmige, tausendgesfaltige und off so fremdartige und fremdländisch wirkende Einfuhrl Eine andere Schwierigkeit kommt hinzu: Die deutschen Schriftsteller und Kritiker sind noch mit der Entnazifizierung beschäftigt. Sie stufen sich immer noch gegenseitig ein und werfen einander ihre Sünden aus dem Driften Reich vor. Da man bei uns immer leider die Frage stellt, in welchem Lager einer stehe, als daß man fragte, was er könne, nimmt dieser Prozeß bei uns sehr viel Zeit in Anspruch, wobei einige, die sich aus dem Driften Reiche zeitig ins Glashaus großer Redaktionen gerettet haben, sich mit besonderem Eifer hervortun, wenn es gilt, auf die weniger Erfolgreichen, aber auch nicht mehr Belasteten, die Steine der Kritik hageln zu lassen. — An literarischen Maßstäben also soll man Bücher messen, nicht an liferafurfremden.

Was die Aufgabe christlicher Dichtung betrifft, so wäre die Idee christlicher Dichtung erst dort erfüllt, wo nicht ein Privatweltbild erfunden wird, sondern wo das christliche Weltbild so tief dem persönlichen Glaubensleben des Dichters angeeignet ist, daß es das ganze Werk absichtslos durchwirkf. Als Christen haben wir ein Weltbild, dieses Weltbild heißt im letzten Grunde Jesus Christus. Ihn zu künden in allen Sprachen, Formen, Stilen, Techniken, ihn zu rühmen von links und von rechts, das heißt christliche Dichtung. Sie macht alle Wirklichkeit transparent auf Christus hin als den Seinsgrund der geschaffenen Welt, und sie bezieht alle Fragen der Existenz auf Ihn als das Koordinatenkreuz des Humanen.

Ein Spezialfall der Einseitigkeit und Blickverengung der modernen Literatur ist die Faszination durch das Böse oder genauer durch die Triebmächfe der Menschnafur. Insofern ist Sigmund Freud der Patron der ganzen modernen Roman- und Bühnen- liferatur, obwohl man vielleicht ohne Heuchelei sagen darf, daß gerade diese so einflußreiche literarische Mode vorläufig keineswegs typisch deutsche Produktion ist, sondern mindestens in der Hauptsache durch den Liferafurimport der Uebersefzung zu uns kommt. Das Evangelium dieser Literatur lautet, daß der Trieb uns alle verbindet, daß in ihm also die große Gemeinsamkeit und das Urmenschliche entdeckt sei. Natürlich ist das ein Sophismus, denn der Trieb ist nur die negative Einheit, während das, was die Menschen wirklich verbindet, nur ihre Geistnatur ist. Der Trieb dagegen, wo immer er isoliert ist, hat allenthalben nur eine sprengende Wirkung. Das Pathologische, das Verrückte, die Anomalie, die Perversion, das Verbrechen sind der Gegenstand inbrünstiger Entzückung geworden für Autor und Publikum, und nachdem das Kriminelle lang genug glorifiziert war, konnte es ja nicht ausbleiben, daß schließlich auch der Kriminelle selbst als Autor bühnenfertig und bühnenfähig wurde. Was soll diese ewige halbe Pornographie, was sollen diese Narrenpossen, in denen man sich über sich selbst und über das Publikum lustig macht? Man erklärt, ähnlich wie auf anderer Ebene seit zweitausend Jahren alle Gnostiker tun, der Dichter müsse sich ganz dem Bösen öffnen, um es darzusfellen. Dem Bösen? Wieso dem Bösen? Das Böse ist geistiger Natur, hier aber handelt es sich doch nur um das Unanständige oder das Krankel Die Literaten treiben also nur raffinierter, was die Illustrierten ordinärer treiben. Wehe uns, wenn einmal, was nicht ausbleiben kann, die Saat der Laster im Sodoma und Gomorra einer gewissen modernen Literatur aufgehen wirdl Dann kommt der schimpflichste Untergang, der Untergang der Fäulnis, der schlimmer isf als der der Katastrophe.

Was uns not täte in unserer gegenwärtigen deutschen Welt, wäre eine katholische Literatur höchsten Ranges. In ihr läge der Erweis der unverbrauchten Kraft des Glaubens auch für unsere Zeit.

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