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Digital In Arbeit

Die Automation des Glücks

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Am Gegenwartsmenschen lassen siel zwei grundlegende Tendenzen nach’ weisen, die weitgehend sowohl für der einzelnen selbst wie auch für die Ge’ meinschaft von integrierender Beden tung sind. Hat man diese Faktorer einmal in aller Klarheit erkannt, dant fällt es nicht mehr schwer, eine Füll von Erscheinungsformen des täglicher Lebens zu deuten, und man wird aucl in der Lage sein, die vielen Maßnah’ men zu verstehen, die mit einer ofi geradezu unheimlichen Konsequenz verfolgt werden. Es ergeben sich daraus dann allerdings verschiedene logische Konsequenzen, doch zeigt di kritische Beobachtung der Zeitströ- mungen, daß man scheinbar nicht gewillt ist, eine unheilvolle Entwicklung abzubremsen. Oder aber — unc dies dürfte noch wahrscheinlicher sein — es fehlen eben jene Kräfte die erfolgreich eine umstimmende Beeinflussung herbeiführen könnten.

Die erste dieser Tendenzen ist das Bestreben, keinerlei Verantwortung zu tragen und gleichzeitig ein möglichst allumfassendes Maß an Sicherheit zu gewinnen. Es beginnt dies bei der Berufswahl, führt über die Konsumation des Urlaubes,in größeren Gruppen ünd,’dh&et,bei dtn Aris fücheÄ’®S!dfen’ ‘Staat"aiif komplette’’äözial ’Versorgung! Schon die jungen ‘ Menschen wollen nicht mehr allein sein und finden nur Vergnügen an einem geselligen Beisammensein, wenn möglichst viele des gleichen Geschlechtes anwesend sind. Immer mehr registriert man mit Erstaunen das Nachlassen der Spannung innerhalb der Geschlechter und das Aufopfern des eigenen Willens zugunsten einer gemeinsamen Initiative. Man möchte weiter möglichst mühelos zu Geld kommen, und der Staat soll für alles — aber auch wirklich für alles — sorgen. Von der Beschaffung der Wohnung angefangen, erwartet man die Lösung aller Lebensschwierigkeiten vom Kollektiv, und aus dem Bestreben nach Bequemlichkeit wird eine immer größere Trägheit. Die Sorge für das körperliche Wohlergehen wird genau so dem Staat überlassen wie die Auseinandersetzung über das eigene Lebensschicksal. Man will keine Verantwortung, man will nicht nachdenken müssen, und alle Probleme des Lebens sollen vom anonymen Staat gelöst werden. Für die Preisgabe der Eigeninitiative fordert man die komplette Versorgung.

Entspannung ohne Anspannung

Arbeiten zu müssen bedeutet Verpflichtung. Und einer Verpflichtung nachzukommen ist ungefähr dasselbe wie verantwortlich sein. Das, was früher als Kardinalsymptom bei allen Asozialen imponierte, nämlich die absolute Arbeitsscheu, wird immer mehr zu einer allgemeinen Erscheinung. Man kämpft praktisch allerorts gegen die Verpflichtung zur Arbeit und schafft immer neue Benefizien, die den Menschen befreien sollen von der Notwendigkeit, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen. Die Tatsache, daß in einem kleinen Staat jeder sechste Staatsbürger eine Rente bezieht, wird nicht als erschreckendes Alarmsymptom, sondern als begrüßenswerter politischer Erfolg gewertet.

Nun sind es aber psychologische Grundbegriffe, daß der Mensch über eine erfolgreich abgeschlossene Arbeit Freude empfindet. Man fühlt sich erleichtert und beglückt nach der Lektüre eines gehaltvollen Buches, man freut sich, wenn im Garten oder auf den

Feldern harte Arbeit Früchte getragen hat, man empfindet Zufriedenheit, wenn man nach den Anstrengungen/ einer Woche oder eines Monats den verdienten Lohn ausgezahlt bekommt. Der Sportler empfindet eine kaum zu beschreibende Freude, wenn nach hartem Training ein sichtbarer und meßbarer Erfolg zu verzeichnen ist, und der Bergsteiger riskiert das Leben für den Augenblick, überdurchschnittliche Strapazen stundenlang ertragen zu haben. Die Entspannung, die nach harter Anspannung aufzutreten pflegt, ist also ein Lustgewinn, und diese fundamentale Wahrheit hat unzähligen Generationen in vergangenen Zeiten eine ausgeglichene Lebensfreude gewährt.

Im gegensätzlichen Fall aber muß die Lebensfreude fehlen. Wer auskömmlich leben kann, ohne dafür auch nur irgendeiner Verpflichtung nach- kommen zu müssen, wem der Staat ein geruhsames und bequemes Leben gewährt, ohne Entsprechendes dafür zu verlangen, dem entgeht der aus der Arbeit resultierende Lustgewinn. Wer jedes Maß einer sozialen Sicherheit geschenkt bekam ohne jegliche Eigenverantwortung, dem entgehen alle Spannungsmomente im Leben — aber auch die beglückende Entspannung. In der herkömmlichen Weise kann von diesen Menschen kein Lebensglück erworben werden.

Genuß großgeschrieben

So kommt es zur überall zu beobachtenden zweiten Tendenz, zum Streben nach ständigem Lustgewinn durch vermehrten Konsum der Genußmittel und durch Aufpeitschung des sexuellen Triebes. Die Statistiken sprechen hier eine ganz nüchterne und unmißverständliche Sprache: Von Jahr zu Jahr steigt der Verbrauch von Tabakwaren, Alkohol und koffeinhaltigen Getränken, und jene Vergnügungsindustrie, die den Sexus anspricht und auch befriedigen soll, breitet sich immer r ehr, aus und scheffelt unvorstellbare .Ge,winne Ah den Straßeneckei) kann man immer mehr Zigarettenautomaten beobachten, aber auch Branntwein und Kaffee kann aus Automaten geholt werden. Es ist dafür gesorgt, daß man kaum ein paar Schritte zu gehen hat, und somit kann man überall das Gewünschte bekommen. Ebenso bieten immer mehr Lokale

Entkleidungsnummern — „Strip-tease- Darbietungen“ genannt —, und die teils „offizielle“, teils geheime Prostitution nimmt bestürzende Ausmaße an. Wie leicht und mit welch unbegreiflich simplen Methoden hier höchst primitive, geistig oft imbezile Mädchen ein Vermögen erwerben können, würde man einfach nicht glauben, käme es nicht fast jede Woche zu neuen Skandalen, die diese Zeiterscheinung bloßlegen. Und es scheint doch irgendwie ungerecht, daß man das Augenmerk immer nur auf jene weiblichen Personen und deren Beschützer, nicht aber auf die unzähligen männlichen Autofahrer lenkt, die jeden Abend und jede Nacht durch die Gassen und Straßen patroullieren und die käufliche Liebe suchen.

Dem Genußmittelkonsum und der sexuellen Lustbefriedigung sind aber von der Natur aus unüberwindliche Grenzen gesetzt. Dem Lustgewinn auf der einen Seite steht ein nachfolgendes, kaum erträgliches Unlustgefühl gegenüber, wodurch es zu Schwierigkeiten mit der Umwelt kommt. Auf dem beruflichen Sektor wie auch daheim, im Familienkreis, werden Aufgaben und Pflichten als lästig und störend empfunden, und man versucht, durch noch eiligere Jagd nach Genuß das innere Manko auszugleichen. Und immer drückender wird die Diskrepanz zwischen körperlicher Beanspruchung, falscher Lebenseinstellung, immer folternder werden die psychosomatischen Störungen.

Das Zaubermittel

Es war wie eine Revolution auf dem pharmazeutischen Markt, als vor wenigen Jahren das Meprobamat und in weiterer Folge zahlreiche andere Mittel zur Anwendung gelangten. Der Sammelname dieser Mittel, „Tranquilizers“, wurde binnen kurzem zu einem internationalen Schlagwort, und der Verbrauch stieg von Tag zu Tag an und erreichte schon im ersten Jahr sensationelle Umsatzzahlen. Besonders bemerkenswert aber war der Name, den man diesen Mitteln für ihre Propagan- dierung gab. Millionen Männern und Frauen wurden diese Präparate nämlich als „Glückspillen“ angepriesen.

Es kommt zu einer ganz eigenartigen Beseitigung der inneren Unruhe, zu einer wohltuenden Beruhigung mit einer geradezu spezifischen Wirkung auf den psychischen Kopfschmerz. Wer also durch Nikotin, Koffein oder Alkohol aufgeputscht und fahrig geworden ist, erlebt gleichsam wie ein Wunder die oft ausgesprochen blitzartige Entspannung und umfassende sedative Wirkung. Zusätzlich erhöht dieses Mittel auch noch die Empfindlichkeit gegenüber dem Alkohol, man kann damit schon nach wesentlich geringeren Quantitäten das Stadium der Trunkenheit erreichen. Damit allein schon ließe sich erklären, warum die Meprobamatverbindungen solche Verbreitung finden konnten. In Österreich drohten diese Präparate schon wenige Monate nach der Zulassung das Budegt der Krankenkassen vollends in Unordnung zu bringen, und man setzte alle diese Mittel auf die Chefarztliste, wodurch der schrankenlosen Verschreibung eine gewisse Beschränkung auferlegt wurde.

In vielen Ländern hat man jedoch damit begonnen, Automaten für die Glückspillen auf den Straßen aufzustellen. Damit wird der Verbrauch dieser Mittel jeglicher Kontrolle entzogen. Jedermann hat somit die Möglichkeit, ein selbstgewähltes Quantum eines Tranquilizers zu verbrauchen und muß deswegen nicht den Arzt aufsuchen, dessen Mahnungen wegen einer falschen Lebensführung wahrscheinlich höchst unwillkommen wären. Die Verkaufszahlen bestätigen, daß offenbar ein „echtes Bedürfnis nach solchen Automaten vorliegt, und man findet diese Verkaufslösung ausgesprochen praktisch und fortschrittlich.

Aufpeitschung auf der einen Seite, durch Chemikalien herbeigeführte Entspannung anderseits, zwei Pole, zwischen denen der moderne Mensch hin und her pendelt und wo er seine Lebensfreude zu finden glaubt. Der Automat für Genußmittel auf der Straßenecke und gegenüber die automatische Abgabe von Glückspillen, die Tragik einer Generation läßt sich nicht sichtbarer demonstrieren.

Noch hat diese restlose Automation des Genusses und des Glücks bei uns nicht Eingang gefunden. Aber sie steht vor unseren Toren.

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