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Die beiden Flügel des Eros

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Ein geglücktes Verhältnis von Christentum und Eros ist eine Frage der richtigen Balance von Leib, Geist und Sexualität.

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Ein geglücktes Verhältnis von Christentum und Eros ist eine Frage der richtigen Balance von Leib, Geist und Sexualität.

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Nietzsche hatte behauptet, das Christentum habe dem Eros Gift zu trinken gegeben. Er sei zwar nicht daran gestorben, aber zum Laster entartet. Selbst wenn das in dieser Rrutalität nicht stimmt, ist doch bei vielen Zeitgenossen, auch unterschwellig bei den Christen selbst, dieser Verdacht nachhaltig eingedrungen. Darf die Lust christlich nur als Last gelebt werden?

Um darauf eine redliche Antwort zu geben, sollte die voifchristliche Erfahrung auch einmal ohne Brille Nietzsches aufgerufen werden. Wie gingen die Griechen selber mit dem geflügelten Kindgott Eros um? Seit seiner Entstehung aus seiner Mutter, der Armut, und seinem Vater, dem Reichtum, wie Piatons „Gastmahl” schildert, ist Eros ein zwielichtiges Wesen. Er verkörpert die Randbreite von der leidenschaftlichen Triebhaftigkeit, seiner „Armut”, bis zum unwiderstehlich beseligenden göttlichen Überfluß, seinem „Reichtum”. Dieser Zwitter entspricht einer Erfahrung: auf der einen Seite steht eine drängende Not des Geschlechtes, auf der anderen Seite Sorglosigkeit, ja Verantwortungslosigkeit, selbstgesetzliche, unbändige Liebe.

Das Christentum übernahm aus der antiken Welt viele dieser gelebten Erfahrungen, auch die heimlich-unheimlichen Züge dieser Doppelkraft. Im Alten Testament finden sich in dem kostbaren kleinen Ruch des Hohen Liedes ähnlich mehrdeutige Möglichkeiten: die gattungshafte Liebe, die noch „alle” meint und sich in der Atmosphäre der Liebelei wohlfühlt (hebräisch dodim), und die entschiedene persönliche Liebe (hebräisch achaba). Diese letztere greift das Christentum mit der Agape auf; gemeint ist damit ein Wandel des pu-bertären Liebeswillens zur verantworteten, persönlichen Liebe und Treue. Das ist die Stelle, wo sich in jeder Kultur Herz auf Schmerz reimt und der Wechsel nicht einfach mehr möglich ist.

So bringt die christliche Ausgestaltung des Erotischen einerseits Warnungen, andererseits Klärungen ein. Das freie Schweifen des Triebes wurde in die Forderung nach einer persönlichen, ja monogamen Reziehung in der Ehe, die sogar unauflöslich war (zum Schutz der bis dahin zu mühelos entlassenen Frau) umgeschmolzen. Neben dem Eros in der Ehe gibt es freilich auch ein Element, das in der christlichen Geschichte zwar immer

Vom 28. bis 30. November findet in der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften (Dr.-Ignaz-Seipel-Platz 2,1010 Wien) der „2. Wiener Kulturkongreß” statt. Unter dem Motto „Auf der Suche nach dem verlorenen Gott” diskutieren namhafte Philosophen und Denker über die Zukunft von Religion und Glaube in einer säkularisierten Welt. Es referieren unter anderem Emerich Coreth, Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Susanne Heine, Josef Imbach, Karl-Josef Kuschel und Pinchas Lapide.

PROGRAMM:

28. 11., 14 Uhr: Eröffnung . 19.30: Festvortrag von Hans Maier zum Thema „Viele Kulturen - eine Welt?”

29.11.: Referate und Diskussionen von 9 Uhr bis 19 Uhr 30 30.11.: Referate und Diskussionen von 9 Uhr bis 13.30 vorhanden, aber nicht in einer Institution eingebunden war: die Freundschaft. Sie geht zurück auf das Vorbild Jesu im Abendmahlsaal, wo er seine Jünger „Freunde” nennt (philoi). Diese Freundschaft war zunächst den Orden anvertraut; Freundschaft solcher Art meint „Ruhen in einem Verstehen” oder „Entbinden zum Resten” durch den Freund.

Diese Philia kann zwischen Männern oder Frauen stattfinden, auch in den Orden. Freundschaftliche JJezie-hung dieser Art ist nicht im Leiblichen ausgedrückt, sondern durch eine „gemeinsame Richtung” gekennzeichnet. Sie kann und soll christlich auch zwischen den Geschlechtern gelebt werden.

Eine dritte Möglichkeit der „Um-schmelzung” des Eros ist die Erfahrung einer Rearbeitung des Geschlechtes durch die Evangelischen Räte: unmittelbar am Vorbild Jesu anknüpfend wird das Geschlecht sub-limiert. Dieser Eros zu Gott kann nur gelingen (im Unterschied auch zu ähnlichen buddhistischen Formen), wenn es hier nicht um eine Weltmeisterschaft in der Askese und Triebverdrängung geht, sondern um eine bis ins einzelne gehende „Nachfolge Jesu”. Das setzt allerdings etwas voraus, was in einer heute übersexuali-sierten Welt nicht mehr verstanden wird: daß ich mehr bin als meine Sexualität.

Dieses geheimnisvolle „Mehr” entspricht einer Ausrichtung des Menschen, der in seinen Trieben zwar eine Motorik, aber nicht schon das Ziel besitzt. Die Motoren sind vielmehr Antriebskräfte, denen ein Ziel vorgegeben werden muß. „Der Mensch ist keine Sache, sondern eine Richtung”, so formulierte Max Sche-ler in den zwanziger Jahren.

Die heutige zeitgenössische Kultur oder Unkultur des Sex könnte von solchen Entwürfen her angefragt werden. Das Kraftfeld des Erotischen muß im Leben immer neu balanciert werden. Hier sind die größten Erwartungen auf Erfüllung, hier auch die größten Enttäuschungen. Sexualität, auch in der Ehe, kennt den leiblichen und seelischen Mißbrauch, meist des schwächeren weiblichen Teils. Die christliche Kultivierung des Eros versucht, Leib, Sexualität und Geist aufeinander zuzuordnen. Diese Anlagen sind nicht von Anfang an einheitlich. So ist die „Einräumung” in die Ehe der Versuch, die ungeheure Motorik des Triebes an eine Entscheidung „ein Leben lang” anzubinden. Nicht um sie zu unterdrücken, sondern um sie verläßlich und damit tiefer zu machen.

Allerdings ist mit Verboten und „technischen” Vorschriften jeder Art die Mitte der geschlechtlichen Kultur noch nicht getroffen. Warntafeln und Verbote grenzen höchstens Abgründe ab, in die man nicht hineinstürzen sollte. Damit ist aber der Freiraum offener und eigener Gestaltung des Geschlechtlichen noch nicht geleistet.

Es wäre gut, wenn das Christentum in der Öffentlichkeit nicht nur in den Warntafeln wahrgenommen wird, sondern in dem, was es in der teilweise unverständlichen Sprache seiner Dokumente eigentlich meint: dem Vollzug ausgesprochen menschlicher Erotik. Hier begegnet nicht ein Schimpanse einer Schimpansin, hier begegnen einander zwei gefährdete und gleichzeitig von einer wundervollen Dynamik gekennzeichnete Personen.

Die Autorin ist

Professorin für Religionsphilosophie und vergleichende Religionswissenschaft an der TV Dresden.

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