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Die beschwerliehe Reise in die Sandkiste des Teufels

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Unzugänglich war die Wüste Gobi immer schon, Forscher wie Sven Hedin oder Wilhelm Filchner wußten ein Lied davon zu singen. Der von einem Nachrichtenmagazin geprägte Spitzname „Sandkiste des Teufels" ist nicht unbedingt eine Übertreibung. Aber in den letzten Jahrzehnten war der Zutritt zur Gobi außerdem verboten, die Innere Mongolei war seit dem Beginn der Spannungen zwischen Sowjetunion und China militärisches Sperrgebiet.

Das hat sich in den letzten Jahren geändert, und einer der ersten, die alsbald darangingen, einen Lokalaugenschein zu planen, ist der Deutsche Bruno Baumann: Ein Mann mit einer obsessiven Liebe zu den Wüsten und, nach einer Durchquerung der Takla Makan in 21 Tagen und einer internationalen Tibesti-Expedition, die er leitete, auch mit hinlänglich Wüstenerfahrung.

Die Aufgaben einer Gobi-Durchquerung können schon längst nicht mehr kartographischer Natur sein. Diese Arbeit machen die Fachleute, die Satellitenaufnahmen auswerten, besser. Heutige Expeditionen in dieser Region stellen sich andere Aufgaben: Sie erforschen ökologische Situationen, sie stellen den Zustand archäologischer Fundstellen fest, keineswegs zuletzt tragen sie dazu bei, die Verwüstungen zu dokumentieren, die in den zurückliegenden Jahrzehnten angerichtet wurden.

Neben gewaltigen ökologischen Schäden, die der reale Nicht-Sozialismus chinesischer wie sowjetischer Prägung hinterließ, kommen kulturelle Verluste: Viele buddhistische Klöster wurden ausgeraubt oder völlig vernichtet. Der Identitätsverlust vieler asiatischer Völker ist allerdings

auch nicht größer als der vieler Naturvölker zwischen Grön- und Feuerland, von Japan bis zum Amazonas.

Mit der touristischen Erschließung dürfte sich der Verfall tradierter Lebensformen beschleunigen. Die Mongolen sind seßhaft geworden und haben sich Lehmhäuser gebaut, sie haben Fernsehgeräte, die sie mit japanischen Generatoren betreiben, doch

noch steht neben dem Haus das traditionelle Nomadenzelt aus Filz, die innen reich mit Teppichen und Decken ausgestattete Jurte. Sie spielt heute die Rolle der '„guten Stube", in der man Gäste empfängt, Feste feiert und zu den Göttern betet. Wie einst steht auf der Rückseite der Altar, sitzen die Gäste rechts vom Eingang, steht der Herd, auf dem ihnen die Frau den Tee

bereitet, in der Mitte der Jurte. Aber immer mehr Mongolen verlassen ihren austrocknenden Lebensraum, in dem es immer weniger Weidemöglichkeiten gibt.

Die Folgen der chinesischen Herrschaft in Tibet hatte Baumann schon auf einer früheren Reise kennengelernt: Nach der Besetzung wurden die Tibeter gezwungen, an Kampagnen zur Ausrottung sämtlicher Wildtiere teilzunehmen, in denen die Chinesen nur „nutzlose Schädlinge" sahen.

Im Gebiet der zur Mongolei gehö-rernden Gobi gibt es noch Wildtiere. Aber wo frühere Forscher täglich Bären, Füchse und Herden von Wildyaks, Wildeseln, Antilopen und Gazellen trafen, ist das Tierleben spärlich geworden. Dies ist wohl, wie in so vielen Weltgegenden, auch hier vor allem auf den Bevölkerungsdruck zurückzuführen. Füchse sieht man nur noch gelegentlich, dafür umso mehr Kappen aus ihrem Fell, die Hörner der Antilopen sind im pulverisierten Zustand ein in China hochbezahltes Aphrodisiakum, und das Verschwanden der größeren Baubtiere zerstörte das Gleichgewicht der Arten und führte, wie Baumann 1994 feststellte, zur explosiven Vermehrung der Pfeifhasen: „Stellenweise waren sie so zahlreich, daß man das Gefühl hatte, die ganze Ebene sei in Bewegung geraten. Der Boden war dann so von Löchern durchsiebt und von Höhlen unterhöhlt, daß kaum mehr Gras wuchs und die Erosion rasch ihr Zerstörungswerk verrichtete".

Ein Höhepunkt der Expedition war ein Besuch der in der Wüste versunkenen Stadt Khara Khoto mit ihren halb zugewehten Stadtmauern und von Sandstürmen abgeschliffenen Chörten, zu dem, nach jahrelangem dezidiertem chinesischem Abwinken, Baumanns UNESCO-Projekt 1993

plötzlich die Erlaubnis bekam.

Als Marco Polo die Gegend bereiste (Khara Khoto selbst hat er erwähnt, aber nicht gesehen), hatte die alte Seidenstraße längst ihre einstige Bedeutung verloren. Pjotr Koslow grub - vor dem Ersten Weltkrieg -, nachdem ihm die Tibeter den Weitermarsch nach Lhasa verwehrten, in Khara Khoto haufenweise Bücher, Handschriften, Münzen, Tonfiguren und Schmuck aus. Einen Teil davon schickte er nach St. Petersburg, einen großen Teil seiner Ausgrabungen ließ er in einem Versteck zurück, das nie wieder gefunden wurde.

Nach dem Besuch in Khara Khoto durchquerte die Expedition mit Kamelen die Alashan-Shamo, das größte, trockenste und unzugänglichste Sandgebiet der Gobi. Auf der bisher von Europäern nicht begangenen Route stellten sich ihnen bis zu 300 Meter hohe Sanddünen entgegen. Baumanns Kapitel darüber ist nicht nur ein Bericht über Expeditionstechnik heute (navigiert wurde per Satellit, zur Fortbewegung im Sand dienten teilweise Langlaufschi),\ sondern auch über die Kommunikati>ns- und gruppendynamischen Probleme, die entstehen, wenn sich heutigje Zivilisationsmenschen zu einem j solchen Unternehmen zusammentunl „Gobi" ist nicht nur ein optisch! beeindruckender Bildband mit melisterhaf-ten Farbaufnahmen, sondejrn auch ein interessanter Bericht ü/ber eine nicht zuletzt der Selbsterfarirung der Teilnehmer dienende Expedition mit beschränkten Mitteln - .aber auch darüber, was in Zentralfasien vom Buddhismus geblieben ist

GOBI. Durch das Lanafohne Wasser Von Bruno Baumann., Verlag Herbig Müncihen 1995. 208 Seiten, 137 Abbildungen, 5 Karten, Ln, öS"608,-

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