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Die blaue Blume — die blaue Merkur

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So hört denn die Geschichte eines Sammlers, der als ganz kleiner Junge seine ersten Schulbubenjahre in der schönen großen Hafenstadt Triest, an der wunderbaren blauen Adria verspielte und verträumte. Der Onkel des Jungen, ein Mann von europäischem Rufe, baute hier, zusammen mit des Jungen Vater, Österreichs großartige neue Hafenanlagen, die der kleine Junge staunend in hellen Quaderblöcken aus dem dunklen Wasser wachsen sah. So wurden die ersten starken Eindrücke in seinem stillen Leben die einfahrenden gewaltigen Dampfer und prächtigen Segelschiffe, die aus fernen Märchenzonen hereinglitten in den schützenden Hafen und die mit ihrem geheimnisvollen Zauber gleich mitten in dem kleinen Herzen vor Anker gingen. Der Orient, die Türkei, die Levante lagen vor der Tür. Und da unten, wo sich des Meer in opalisierende; Dunst auflöste, da lagen schon die ersten Märchenländer, deren Marken man schon so oft auf Vaters Briefen bewundert hatte.

Da hielten nun eines Tages die kleinen Bubenhände, die damals schon gerne nach allem Schönen griffen, ein kleines, farbenbuntes Bildchen vor die staunenden Augen: ein malerisch gekleideter, kleiner Türke war da abgebildet, umgeben von schönen türkischen Marken mit Stern und Halbmond und unverständlichen, krausen Schriftzeichen: ein kleines Reklamebild. Dieser an sich wertlose Farbendruck wurde das erste, bewußt als Eigentum empfundene Ding, ein „Schatz“, den aufzuheben es ihn drängte. Es hat seltsamerweise die Stürme eines langen, bewegten Lebens überdauert und befindet sich heute noch als trauervolle Erinnerung an eine Markensammlung, die an Schönheit und künstlerischer Eigenart wohl kaum ihresgleichen hatte, bei unserm alten Herrn. Der Zauber dieses Bildchens hat bewirkt, daß nicht nur die Sehnsucht, nun auch „wirkliche“ Marken zu besitzen, geboren wurde, sondern auch die Kraft, diesen kleinen farbigen Schönen durch ein ganzes Menschenleben die Treue zu halten. Die Treue bewährte sich trotz, oder gerade weil dieses Leben zum Bersten erfüllt war mit nicht gewöhnlicher Unruhe und einer Vielfalt von Pflichten, die schon sehr bald des Jungen Begleiter und dann des Mannes schwere Lebensbürde wurden.

Ich fürchte, ihr werdet es mir nicht glauben wollen, daß dieser kleine Schuljunge, der zu seiner Sammlerberufung nichts mitbrachte, als seine Liebe und seinen Spürsinn, in wenigen Jahren eine wundervolle Sammlung aufbaute, die er in unzähligen, wunderbaren. kleinen Abenteuern zusammengetragen, deren jedes einzelne eine hübsche, fröhliche Anekdote ergäbe.

Ohne es selbst zu wissen, wurde der Heranwachsende als Autodidakt zum Druckfachmann. Er schnitt sich aus seinem Radiergummi Druckformen, mit denen er sich seine Schulbücher und Hefte stempelnd verzierte. Er erfand förmlich, ganz still für sich, noch einmal das Prinzip des Flach-, Hoch- und Tiefdruckes. Schritt für Schritt wurde er durch seine Marken zur Graphik geleitet, in welcher er, nach Jahrzehnten zum Manne gereift, nach langem Kampfe und dem Schicksal schwer abgetrotzten Fachstudien, als selbständiger Künstler tätig sein durfte.

Aber vorher gab es noch viel zu erleben und Schweres zu ertragen. Im Laufe zweier Jahrzehnte war aus den Markenheftchen ein schönes, großes Album geworden. In Sarajewo, wohin den nunmehrigen Leutnant das Schicksal verschlagen hatte, geschah das Furchtbare: das Album verschwand bei einem Zimmereinbruch. Erst nach einem schmerzlich langen Jahrzehnt erwachte die alte Liebe in dem Sammler.

Nur hatte er von nun an zwei eifrige Kameraden an seiner Seite, seine Töchter, die ihn mit ihrem Kunstverständnis beglückten und seine ausgezeichneten Helferinnen wurden bei dem großen Werke, das nun entstehen sollte: einer Markensammlung auf künstlerischer Grundlage nach ästhetischen Gesichtspunkten.

Wunderbare Stunden entsprossen dieser Arbeitskameradschaft, die zwei Weltkriege überdauerte und dem Kleeblatt zum erquickenden Freuden- und Bildungsquell wurde. Als nun gar die kleinen Mädchen in der inzwischen vom Schicksal erkämpften eigenen Werkstatt des Vaters liebe und so gern gesehene „Mitarbeiterinnen“ wurden, die je nach Bedarf dem Vater mannigfach zur Hand gingen oder selbst des Vaters liebstes Modell waren, da gab es wohl auf Gottes weiter Welt kein Atelier, in welchem mit größerer, reinerer Begeisterung geschaffen wurde, keine Stätte, an welcher ein größeres Glück beheimatet war. Denn' nun wurden wohl noch mit Eifer in den freien Stunden „fremde“ Marken gesammelt und auf die schönen Einzelblätter angeordnet. Jetzt gab es aber auch Markenbilder, die von Vaters eigener Hand stammten. Marken, die im Auftrage fremder Regierungen geschaffen und unter Vaters Leitung gedruckt wurden. Aus dem kleinen „Druckamateur“ von einst, der jeder Marke auf den ersten Blick ihre Geheimnisse abgelauscht hatte, war nun der wirkliche Fachmann geworden, unter dessen Leitung in großen Sälen gewaltige Maschinen große Markenauflagen druckten.

Aber noch war das philatelistische Schicksal unseres Freundes nicht zur Gänze erfüllt. Es war ihm beschieden, Österreichs Sammlerschaft zu einen und sie zu einem großen Verband zusammenzuschließen, den er in einem Vierteljahrhundert in dem großen Konzert der europäischen Philatelistenorganisationen zu vorbildlicher Leistung emporführte.

Seine liebsten Erinnerungen sind diejenigen, die ihn fühlen ließen, daß seine Erziehungsarbeit Erfolge bringe, daß die Sammler vom Materiellen ab- und dem Ideellen zugewendet wurden, und wenn er durch die Philatelie für den Frieden in der Menschheit werben konnte. Immer galt es ihm, Zeugnis abzulegen und Botschaft zu bringen. Immer flpcht er seine „farbigen Fäden“ hinein, wenn sich Gelegenheit ergab, an der großen Wunderbrücke mitzubauen, um deren endliche Schaffung sich alle Gutgesinnten bemühen: auf daß Volk zu Volk finde. Immer stellte er gerade den Philatelisten als das Musterbeispiel für diese Bestrebungen hin: je eigenartiger ein jeder, um so interessanter für den andern! Je vielfältiger die Völker in ihren nationalen historischen Gegebenheiten, desto reizvoller das Gesamtbild der ganzen

Menschheit! Eigenart soll kein Grund zu Animosität oder gar Feindschaft sein. Lasset jeden in seinem Glauben seiig werden! Seit aber darauf bedacht, daß jeder einen wirklichen Glauben an ein Göttliches in seiner Brust hege und pflege! Dann könnte sich sogar die fast erschreckende Forderung unseres Heilandes erfüllen: Liebe deine Feinde!

Einen Höhepunkt seiner Wirksamkeit in dieser Richtung bildete die Schaffung und Leitung der größten Markensduu, die die Welt bis dahin gesehen; mit S2i-nem vorzüglich aufeinander eingespielten Mitarbeiterstab und dem vielseitigen Kenner und Könner philatelistischer Belange, dem Ing. Edwin Müller, führte er die „WIP A 1 9 3 3“ zu einem Welterfolg und rückte sein geliebtes Wien wieder einmal in den Blickpunkt cer Welt.

Damals schien die Philatelie im hoffnungsvollen Aufbau, und in seine Samm-lerschaft hatte er Vertrauen. Heute aber muß er bedauernd feststellen, daß sein philatelistischer Bau den furchtbarei Zerstörungskräften, die als Bombenteppiche und Haßorgien die Menschher. trafen, nicht gewachsen war. Er sieht seit Werk, das schon lange seiner Führung entzogen, recht gefährdet. Heute überwuchern die materiellen Gedanken, und ein übermäßiges Spekulations- und Konjunkturgetriebe hat zu schlimnen Entartungen geführt. Leider muß festgestellt werden, daß die Postverwaltungen selbst zu diesem Bergrutsch alleilei beigetragen haben! Wenn unsere Frein-din Philatelie es weiterhin so mit SpeLu-lanten hält, wird sie ihren guten Ruf ganz einbüßen. Und da der Zug der Zeit ohre-hin dem Aufstapeln von Sammelwerten abhold zu werden scheint, könnten die Lebenstage unserer Freundin bald ganz gezählt sein.

Von unserem Freunde wäre zum .Abschluß zu sagen: Der Weltorkan, unier dessen Wüten heute' noch unsere Erie zittert, hat sein ganzes Lebenswerk zerstört. Alles wurde ihm genommen, Weib, Kind, Hab und Gut, sein ganzes Weik und seine Sammlungen ...

Das Antlitz der Erde mag sich verändern. Aber ihr göttlicher Kern muß bleiben, sonst wäre sie nicht Gottes ewige Schöpfung. So werden immer wieder neue, junge Menschenhände, wenn die alten müde geworden oder in unsinniger Verblendung ihr eigenes Wert zerstörten, Neueres, Besseres gestalten werden nach dem Schönen greifen, es • erhalten und ihr Leben damit schmucker. So wollen wir hoffen, daß es immer wieder auch Sammler geben wird in Gottes großer Werkstatt, in der auch unsere Welt kreist, immer wieder herrlich wie am ersten Tag.

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