Die Braut im Minenfeld

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Ivana Sajkos Debütroman führt in ein Land, in dem der Tourismus blüht, aber auch Hass und Nationalismus.

„Schieß nicht, ich bin die Friedenstaube. Aber weil ich hungrig bin, habe ich die Oliven mit dem Zweig aufgegessen.“

Wo bleibt die Hoffnung, wenn alles zerstört ist und man, um diese Zerstörung ertragen zu können, sich selbst systematisch zu zerstören versucht? Eine Braut feiert 1995 Hochzeit, als die Sirenen den Krieg ins Fest tragen. der Bräutigam rennt davon, um als Freiwilliger zu kämpfen, die Gäste brechen von Bomben getroffen zusammen, das weiße Kleid wird zerfetzt, damit Wunden versorgt werden können und die Frauen im Keller zu Binden kommen. Die Braut bleibt eine Braut, in ihren Alpträumen verfolgt von den Bildern der Toten, den Geschehnissen danach.

Die Geister der Toten

Wie lebt es sich, wenn ein brüchiger Frieden das Land beruhigt, wenn Touristen wiederkommen, um die Schönheit der Adria zu genießen, ihr Recht auf Unterhaltung, Vergnügen, Freude geltend machen und sich damit ganz wunderbar Geld verdienen lässt? Wo bleiben die Geister der Verscharrten, die Schatten, die die Bewohner mit sich schleppen?

Die verlassene Braut versucht, sich im Alkohol zu ertränken, versinkt jede Nacht im Taumel der „Rio Bar“, kann sich am nächsten Tag kaum erinnern, wer sie heimgebracht hat, wer seinen Körper an ihrem erhitzt hat. Die Braut schluckt den Alkohol wie eine bittere Medizin, die sie retten soll vor den fürchterlichen Erinnerungen, während rundherum das Leben weitergeht, die Normalität zudeckt, was keiner mehr sehen kann, was niemand mehr erträgt.

„Sagen Sie mir nicht, dass ich nicht die Einzige bin und dass es noch mehr von uns gibt, und legen Sie nicht auf, wenn ich frage: Was soll ich tun?, jetzt, da wir es ihnen zurückgezahlt haben?, jetzt, wo alles vorbei ist?“ Man will nicht gern behelligt werden mit den menschlichen Grausamkeiten, aber die schwierigen Monologe werden stellvertretend für alle verstummten Gewaltopfer weltweit gesprochen und damit gehen sie alle an und mit Sicherheit unter die Haut.

Die Kroatin Ivana Sajko, 1975 in Zagreb geboren, ist eine der wichtigsten Dramatikerinnen und Regisseurinnen ihres Landes. Die Theaternähe zelebriert sie auch bei ihrer Prosa, einem eindrucksvollen Roman über weibliches Leben im und vor allem nach dem Krieg. Acht Selbstgespräche werden der Alkoholikerin aus der „Rio Bar“ in den Mund gelegt, ergeben eine zerfetzte kurze Biografie des Scheiterns an den Umständen, eine Bestandsaufnahme von Grausamkeit und Gleichgültigkeit. Trotzdem schafft es Sajko, dass ein, manchmal bitteres, Lachen diesen Text begleitet.

Das liegt an dem Erzählton, der in gewissen Situationen brutal schnoddrig ist, an den Brüchen, die sie stilistisch gekonnt einsetzt, an den unterschiedlichen Zeit- und Erzählperspektiven, die Gegenwart und Vergangenheit so vermischen, dass Neugier auf die Zukunft unweigerlich wächst. Es liegt aber vor allem an der Unmittelbarkeit, der Bühnenpräsenz dieser Stimmen, die von Alida Bremer überzeugend ins Deutsche übertragen wurden.

Nie wieder

Der Krieg ist nun schon „seit Jahren strengstens verboten“, aber Hass, Nationalismus, Neid blühen im Verborgenen, das nicht aufgearbeitete Trauma bleibt Nährboden für Gewalt, während die Tourismusidylle blüht. (Hilfreich ist der dem Roman beigefügte Überblick über den Balkankrieg.)

Der Olivenzweig der Taube mag verloren gegangen sein, aber zum Schluss versucht die Braut verzweifelt, wenigstens das Ende leichenfrei zu halten. Das Leben ist vielleicht auch für sie möglich, wenn sie weit genug laufen kann, an einen Platz, an dem sie die Erinnerung auszuhalten lernt und trotzdem leben darf. „Nie wieder“ ist daher der programmatische Schluss dieses beeindruckenden Debüts.

RIO BAR

Roman von Ivana Sajko

Matthes & Seitz, Berlin 2008

Aus d. Kroat. v. Alida Bremer

175 Seiten, geb., € 18,30

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