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Die Brücke

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(1. Fortsetzung)

So ging Norbert auf die Polizei, ųp; cįen Aufenthaltsort seiner Frau zu erkunden. Er erhielt eine Anschrift und fand schließlich ein Haus, das winklig und alt war und schüchtern eiągeschmiegt stand zwischen zwei großen modernen Häusern. Es war ein Barockhaus mit schöner Stukkatur, aber die Bombensplitter hatten es geschändet und so stand es da wie verweint und zerzaust von eipęr Zeit, die kein Verständnis mehr hat für Maße und Ebenmaße eines geruhsameren Zeitalters.

Norbert pochte an die Haustür. Eine Frau öffnete ihm. Sie war jung, aber ihre Züge waren hart und starr. Aber im nächsten Augenblick wurde sie hlpß upd schlpß die Augen. Norbert mußte sie auffangen. Ein altes Weiblein kam an die Haustür, am nachzusehen, wer geläutet hahe. „Was ist denn mit der Frau Rainer?“ fragte sie neugierig. Sie solle schnell Wasser holen, verlangte Norbert ungeduldig. Aber die Frau kam schon wieder zu sich. „Norbert — bist du doch da!“ sagte sie. Norbert schwieg- Es schnürte ihm die Kehle zu. „Komm herein!“ sagte sie mit rauher Stimme. Er ging über einen engen Flur und kam in einen Raum, kaum größer als drei Schritte im Geviert. Es war ein durch eine Flolzwand geteiltes Zimmer. Ein Bett, ein Tisch waren da, eip eiserner Herd, zwei Sessel — ein vergittertes Fenster. Norbert setzte sich und dann überkam es ihn: wieder an einem Tisch sitzen dürfen — bei einer Frau sein, die ihm die Hände entgegenstreckte. Er gab seine Hände hin mit dem Zeigefingerstummel an der Rechten. Die Frau drückte ihren zuckenden Mund darauf. Da legte er seinen Kopf auf die Hände und seine Schultern erbebten einen Augenblick, aber dann sagte er: „F.lsbeth, ich habe die kleine Hilda gesehen!“ Die Frau lächelte, ein ungewohntes Lächeln, das nicht bis in die Augen drang.

„Sie hat bemerkt, daß ich dem Bilde ähnlich sehe, das von mir da ist — aber dann ist sie. doch vor mir davongelaufen!“

„Ja — sie hat aufmerksame Augen!“ sagte Elsbeth. „Deine Augen Kat sie!“ Und sie sah ihn scheu an, als fürchte sie seine Augen ein wenig. Und Norbert dachte in diesem Augenblick: Wenn sie so ausgesehen hätte wie jetzt, hätte ich sie nicht geheiratet. Aber im Schrecken vor diesem Gedanken senkte er den Blięk und sagte: „Was magst du alles mitgemaeht haben in diesen Jahren —“ „Ja!“ sagte sie. Sie stieß dieses „Ja“ hervor wie einen Schrei und ihr Gesicht wurde ganz hart dabei. Was dieses „Ja’’ beinhaltete — er konnte es nicht wissen. Er wußte nichts von der Geburt des Kindes nach qualvollen Monaten der Angst Um ihn, er wußte nichts von den Bombennächten, dem Schleppen des manchmal fiebernden Kindes in die Kelky und Stollen, nichts von jener Nacht, da ihr die Mutter verschüttet und erstickt aufgefunden worden war. Nichts von der Angst, ßie sie jedesmal zu bestehen hatte, wenn die Bomber über die Stadt hindröhnten — bis sie an einem Tage vor dem Schutthaufen des Hauses stand, in dem sie das Kipd geboren hatte. Konnte sie ihm erzählen von dep tausend Widerwärtigkeiten in den Ämtern? Konnte sie den grauen Wust hinbreiten, all den zähen Schleim einer ertötenden Qual von Unzulänglichkeit upd Schurkereien, die in der Zeit Ständen wie der faulige Geruch eines Leichenhauses an einem föhnigen Tage? Und — wußte s i e, was seine Augen an Grausen gesehen und seine Ohren an brüllendem Donner gehört hatten in all dep. Jahren? Trug die zarte Brücke, die der Krieg am besinnenden Tage ihres gemeinsamen Lebens erschüttert hafte, all das Vielfältige, das sie beide belud und erfüllte und das eins vom andern nicht kannte?

Er sah nur ein steinernes Gesicht mit den Zügen des Ekels und der Pein. Dieses Gesicht erschütterte ihn, so wie ihn das Bild eines großen Künstlers erschüttern mochte, etwa die Mater dolorosa des großen Spaniers Greco. Es erschütterte ihn so, daß er den Kopf auf den Tisch legte und ihre Hand an seine Wange zog. Aber dann strebte er fort, er wollte in seine Werkstatt, er wollte seine Schnitzmesser sehen und seine Holzblöcke. Die Werkstatt war unversehrt und sein Teilhaber, der die keramische Abteilung leitete, war da und empfing ihn froh und herzlich, als sei er nicht lange fort gewesen. „Freund“, sagte er eifrig, „es geht wieder! Das Kunstgewerbe ist jetzt obenan. Man bekommt nichts zu kaufen und so viele haben Geld und wollen kaufen, einfach kaufen, weil es so lange nichts gaja! Seit unsre Öfen freigegeben sind, geht es Tag und Nacht! Was wirst du machen?“

Norbert wąr auf einer Bank sitzengeblie- ben und schaute vor sich hin. Die Schwäche nach dem Hungerödem war immer noch nicht zu besiegen und es überkam ihn eine Art Dämmerzustand. „Ich möchte einen Kopf schnitzen“, sagte er, „den Kopf einer Hohenstaufenkaiserin — aber ich weiß ihren Namen nicht mehr und ihre Züge sind mir auch entschwunden.“ Und er lächelte unbestimmt vor sich hin. „Köpfe sind jetzt ohnehin das Beste“, sagte der Teilhaber, „das Holz ist schwer zu bekommen und da muß mtn wenige teure Stücke machen, sonst hat es keinen Sinn.“

„Es hat keinen Sinn’.“ sagte Norbert und als ihn der andere zweifelnd ansąh, wie denn dies gemeint sei, stand er auf und ging stillschweigend fort, ohne sieh nach dem erstaunten, wehläufigen Mann umzusehen.

Elsbeth Rainer war noch jung. Und eben deshalb war der Reif der eisigen Ereignisse so furchtbar auf sie gefallen, wie ja auch die Kirschblüten in den ersten Tagen der Blüte am meisten leiden, wenn der Morgen zu kalt ist. Sie wtr noch jung, darum wartete sie auf Ljorbert, wie eben eine junge Frau wartet und — deshalb wartete sie vergeblich. Wie sollte eine Brücke sie tragen, die in Stücken war, und wie sollte sie eine bauen, da sie den Grund nicht kannte, der sie tragen sollte? Und nun waren sie sich abermals und noch fremder als vor sechs Jahren! Norbert benahm sich achtungsvoll und höflich, er mühte sich mit kleinen Aufmerksamkeiten. Aber der Sturm des Lebens, dec ihn neu überkam, als er seine erstarkenden Glieder regte und, ihrer gewiß, 6ich freute, daß er Arme und Beine heil gerettet hatte aus dem Inferno von Ost und West und auch seine Augen, an denen sein Leben hing, das Leben, das ihm durch seine Begabung vorgezeichnet war — dieser Sturm trug ihn nicht zu ihr. Wenn er am Morgen in seinem Bett in der Ecke des Zimmers erwachte, überfiel es ihn Wie einstiger jugendmut und Fröhlichkeit, aber sie waren nicht hingewendet zu der Frau, die er so verändert vorgefunden hatte, und er konnte es nicht erzwingen.

Er arbeitete in seiner Werkstatt, wie es tunlich war, nach dem Rate des Arbeitskameraden: schöne Holzteller, Leuchter, Köpfe und alles wurde verkauft, so daß er den Erwerb von Ziegeln fortsetzen konnte. Das Leben ging für ihn leicht und wie von selber weiter und die Frau sorgte für die nötige Nahrung, so daß ein Gleichmaß in das Äußere ihrer Tage kam, die frei von augenblicklichen Sorgen und augenblicklicher Not dahingingen. Aber das Unheimliche war, daß sie keine Gestalt hatten, kein Gesicht. Er konnte diesem Leben keinerlei Prägung geben und daß es trotzdem so geordnet und ruhig weiterging, das war etwas, das beunruhigte, das mit Angst und Unsicherheit erfüllte und in den Nächten wie etwas Würgendes an der Kehle saß. Auch die amtliche Regelung eines Daseins ging reibungslos vor sich, so daß er bisweilen angestaunt wurde, von denen, welchen es schwer fiel, da zu sein, weil sie schlechthin nicht da sein sollten.

Der Betrieb war in seiner Abwesenheit gewachsen. Und wie überall in dieser neuen Zeit war ein „Amtsraum“, eine Schreibstube, nötig geworden. Denn es gab wirklich erstaunlich viel Schreiberei zu erledigen. Norbert überzeugte sich nach kurzem Einblick, daß es „Akten“ gab, kurz, daß die „Schreibkraft“, die sein Freund angestellt hatte, wirklich mancherlei zu tun hatte. Sein Freund war kühl zu ihr, die Zeit einer wärmeren Zuneigung schien vorüber. Aber die junge Erna war hübsch. Sie war von rascher Auffassung und man konnte sich mit ihr kurz und klar verständigen. Sie war ein guter Arbeitskamerad. Aber sie verstand auch bald, daß Norberts Herz in einem wunderlichen Zustand war, der es empfänglich machte für ein wenig Güte und Zutunlichkeit. Elsbeth fühlte, wie er höflicher und rücksichtsvoller wurde mit jedem Tag, den er sich noch mehr von ihr löste. Sie war ratlos, sie begriff das Wort von dem Schicksal, das man in der eigenen Brust tragen soll, nicht mehr. Wie ein Hagelsturz war Unglück auf Unglück über sie gekommen. Die eigene Mutter war tot und Norberts Mutter war gestorben, lang, ehe sie ihn kennengelernt hatte. Wie hätte sie jetzt eine Mutter gebraucht!

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