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Die Brücke

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(Fortsetzung und Schluß)

Als Hilda die Mappe vor ihre Mutter hinlegte und die Botschaft ausrichtete, suchte diese nach einem Briefe Norberts. Eine freudige Angst erfaßte sie. Aber sie fand bald den Brief mit der seltsamen Aufschrift. Sie schnitt ihn auf und las:

„Liehe Schnur!

Diesen Namen gebe ich Dir, weil ich Dich nicht kenne und weil das Wort ,Schnur’ mir in der lieben und schönen Geschichte von der ährensammelnden Ruth aufgefallen ist. Ich habe mich gewundert darüber. Ist es nicht sogar ein häßliches Wort? Dann aber fiel mir ein, wie mein Norbert noch so jung ist, aber mein, Tod nicht mehr fern, und daß ich nicht mehr erfahren kann, wen er sich einmal wählen wird, und da blickte ich wehmütig und neugierig wie in einen undurchdringlichen Nebel. Wenige Schritte nur war die Sicht, denn ich weiß es — ich sehe ja klar, daß es mit mir nicht mehr lange dauert —, ein weißer, dichter Nebel, wie er an frühen Herbsttagen ist, kurz bevor die Sonne durchbricht und da — schon ein wenig goldig beschienen, glaubte ich eine Schnur zu sehen, die fest und sicher schien, aber doch im Nebel verschwand. Sie mußte fern, im Ungewissen, angebunden sein, sonst hätte sie nicht so schön gespannt sein können und dabei leise beben, als würde sie von einer warmen, lebendigen Hand gehalten. Und da merkte ich, daß Du es bist, mit der mein Leben verbunden ist — hinüber zu den Kindern Norberts. Und drum grüße ich Dich mit dem Namen ,Schnur’ zu der Stunde, da Du diesen Brief finden wirst. Möge es eine gute Stunde sein!

Es ist ein Wagnis, an jemanden zu schreiben, den man nicht kennt. Welche Augen werden auf diesem Papier ruhen? Aber ich will mich nicht schwer tun. Ich will zu Dir reden, wie zu meinem eigenen Herzen. Denn eins haben wir gemeinsam: daß wir unseren Norbert lieb haben! Und deshalb will ich Dir von ihm erzählen, wie er als Kind gewesen ist.

Er war kein Träumer, er war hungrig nach den wirklichen Dingen. Er liebte schon früh keine Märchen mehr, er ging lieber zum Vater und fragte ihn, wie denn der Tischler einen Kasten mache und wozu das Pferd einen Schwanz habe und warum der Kuh Hörner am Kopfe wüchsen und dem Hund nicht. Und dann wollte er wissen, ob es den Kälbern nicht sehr weh täte, wenn man sie schlachte. Die Vorsicht, mit der er die Käfer und Asseln, die Schnecken und Heuschrecken . angriff, hättest Du sehen sollen! Wenn sich dann ein Käfer tot stellte, meinte er ganz traurig: ,Ist er jetzt tot, hab ich ihm weh getan?’ ,Ach nein, schau nur genau, er stellt sich nur so!’ ,Warum stellt er sich tot?’ ,Damit du ihm nichts tun sollst!’ ,Schau Mutter, er ist aber dumm, er zuck ein kleines bißl mit dem rechten Fühler!’ Für eine Stunde konnte ich ruhig sein. So lange war nichts Zu hören von dem Kind.

Einmal im Frühling konnten sich keine Rosen entfalten. Sie wurden alle zerfressen, die Blätter Und die Knospen. Es war ein trockenes Jahr und die Insekten vermehrten sich sehr. Die seltensten Schmetterlinge konnte man in diesem Jahre sehen und die Obstbäume litten schwer.

An einem Sonntagmorgen jubelte Norbert plötzlich und brachte mir einen jener schönen Rosenkäfer, die so goldig grün schimmern.

Ich. sagte zu ihm: ,Da hast du ja nun den Sünder, der schuld ist, daß wir keine Rosen haben.’

,So‘, sagte er in einem Ton, als wolle er ein Strafgericht beginnen, geradeso wie 'sein Vater es sagen konnte, wenn Norbert die Zange oder den Hammer im Garten vergessen hatte. Dann aber schwieg er und betrachtete den Käfer. .Schau, Mutter, wie schön grün er ist urid goldig — wie kommt denn das —, grün und goldig zugleich?’ Und dann drehte er ihn behutsam auf den Rücken. ,Schau, am Bauch ist er genau so schön! Und die Fühler! Gelt, das spürt er, wenn ich ihn antippe?’ Es entspann sich ein langes Gespräch und wir holten das Käferbuch, und er untersuchte jedes Bein mit tiefernster Miene. Und ich wartete immer noch, was es nun werden würde wegen der zerfressenen Rosen. Aber auch das kam.

,Mutter — kann er eigentlich alle Blätter fressen?’ .Nein, nur Rosenblätter, drum heißt er auch so.’

.Mutter, dann kann er doch eigentlich nichts dafür, dann hat doch nur de? liebe Gott schuld, daß er das tut! Ich — ich mach ihn nicht tot!’ Und damit ging das Kind auf den Balkon hinaus und setzte den dicken grünen Kerl auf eine Tomatenpflanze, die dort in einer Treibkiste stand. Als er dann schnurrend davonflog, sagte' Norbert nur noch: .Schau, Mutter, man sieht ihms an, wie wohl ihm ist, daß er wieder davonfüegen darf!’

Du siehst es wohl, er hat ein gutes Herz. Aber - seine Augen! Seine Augen, vor denen fürchte ich mich! Das gute Herz Wirst Du es schon wissen? Werden' seine Augen sein Herz zum Guten oder zum Bösen wenden? Bist Du gut oder bist Du böse? Lachst Du oder leidest Du? Ist Dir dieser Brief eine Anklage oder ein Trost? Ich weiß es nicht! Fühlst Du, wie ich ungeduldig und ratlos bin, weil ich es nicht weiß? Aber wenn Du- dies einmal liest, wird mein Herz keine Pein mehr haben und keine Freude —, aber was wirst Du haben und er mit Dir? Wirst Du hadern mit Deinem Geschick, wenn ihn seine Augen von Dir wegführen, oder wirst Du, wie einst der kleine Mann, fragen, wer ihm die Augen gegeben hat, und dem lieben Gott die Schuld zuschieben? O tu’s — taste Dich immer wieder heran an sein gutes Herz, das niemanden leiden sehen kann —, freue Dich an allen kleinen Dingen — denn ein frohes Gemüt voll Harmlosigkeit entwaffnet ihn —“ hier hörte das Schriftstück auf und weiter unten standen nur noch einige Worte: „Es mag genug sein — Du bist fern und nur ein Schemen — ich kann nichts mehr schreiben. Lebt wohl Ihr beiden —, möget Ihr ein gutes Gespann geworden sein —, möge die Sonne Eures Lebens Euch eine gute Reife bringen! So wie es bei mir und dem Vater gewesen ist — Amen.“

Elsbeth sah still vor sich hin. „Was hast du denn Mutter?“ fragte Hildes Kinderstimme in ihr Nachdenken hinein. „Großmutter hat mir einen Brief geschrieben!“ „Großmutter ist doch lange tot!“ „Aber sie hat mir doch geschrieben —, wie dir das Christkind schreibt vom Himmel her!“ „Was hat sie dir denn geschrieben?“ fragte Hilde neugierig. „Wie der Vater ein lieber, guter, vorsichtiger, süßer kleiner Bub gewesen ist — Hilda — ein Bub, der mit kleinen Käfern gespielt hat und ihnen nicht wehtun hat wollen —“

„Mutter, was machst du für ein Gesicht?“

„Wie ist denn mein Gesicht?“ fragte Els- beth, aber ihre Gedanken waren nicht bei dem Kinde. „Es ist anders — lieb bist du! So muß der Vater meinen Schnitzkopf machen! So!"

Aber Elsbeth achtete nicht mehr auf das Kind. Sie 6treckte sich und es war ihr, wie einem Baume sein mag, in dem im Frühling der Saft zu steigen beginnt. Sie atmete tief auf und spürte plötzlich, daß sie jahrelang nur so halb geatmet haben mußte. Und sie sog die Luft ein und die schmeckte süß und würzig, wie einst vor langer Zeit an dem Morgen, nachdem sie und Norbert sich gefunden hatten. Sie sah auf einmal das Bild eines kleinen, weichgesichtigen Bubenkindes, das mit vorsichtigen Fingern ihr Herz in Händen hielt. Sie legte den Brief in ihre Lade und stand auf. Sie wollte gehen und sich den Mann anschauen, der einst ein solches Kind gewesen war.

Sie ging langsam, wie jemand, der eine Last trägt, aber eine frohe —, sie ging zu dem Garten, in dem es schallte von Hammerschlägen und ein leiser Staubschleier über allem lag. Sie ging zur Hütte und sah Norbert über Bücher gebeugt sitzen. Als er sie bemerkte, schob er das Buch weg und sah sie an. Elsbeth setzte sich in einen alten Schaukelstuhl, ohne den Blick von Norbert zu lassen. Er wollte fragen, ob sie den Brief gelesen habe. Aber die Frage blieb ungesagt, denn Elsbeth neigte leise das Haupt und sagte; ,Ja — ich habe den Brief gelesen." Sie schaute den Mann an. Sie suchte nach dem Kinde und mit eins sah sie ein Aufleuchten in seinen Augen, die so anders blickten als sonst, daß sie errötete und mit einer Frage im Blick weiter in dieses Antlitz schaute, hinter dem das Wort seiner Mutter ein liebes Kinderwesen aufgebaut hatte. Norbert aber sah, wie ihre Augen blank waren und ihre Züge weich und gelöst, so' als hätte die Hand seiner Mutter die furchtbare Schrift dieser sechs Jahre ausgelöscht. Es war ein Lächeln mit ein wenig Schelmerei gemischt, so als wäre der einstigen Hohenstaufenkaiserin eben ein Kindlein mit den ersten Schritten entlaufen. Norbert stand auf und ging zu Elsbeth. Er legte mit einer behutsamen Zartheit seine Hände sanft gemuldet um ihre frohbelebten Wangen und sagte mit einem strahlenden Lächeln: „Was stand denn in dem Briefe?“ „Ein Bild ist es — wie du als Kind gewesen bist.“ „Und sonst?“ „Sonst nichts — Norbert.“

Elsbeth sah um sich. „Norbert — mir ist, als wäre ich nach einem langen, schrecklich schweren Weg — endlich heimgekommen! Es hat mich ganz erschöpft — ich bin 60 müde —, ich möchte wie ein Kind in den Armen deiner Mutter schlafen dürfen! Laß mich ein wenig an dich lehnen! Lies nur weiter. Und sie bettete erblassend den Kopf auf seinen Unterarm und schloß die Augen. Nach ein paar Augenblicken spürte er an der Schwere, mit der sie ruhte, daß sie eingeschlafen war. Das gejagte Herz hatte endlich Ruhe gefunden.

Er las nicht. Er blickte auf das schlafende Antlitz, das nun nicht mehr einer Totenmaske glich, sondern gelöst und jung bei ihm ruhte —, das einstige geliebte Antlitz, das seine bestechlichen Augen so entzückt hatte und das nun still und erhellt durch die Botschaft der Mutter seinem Herzen die Brücke zeigte.

(End

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