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Die Burg in der Wende

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Di Neuinszenierung von Ferdinand Bruckners „Elisabeth von England“ durch Josef Gielen im Burgtheater gibt Hoffnung, daß unsere Staatsbühne neuer kraftvollenEntfaltung entgegengeht.

Bruckners Elisabeth! Die Geschichte des neuzeitlichen Dramas: die Rolle der Könige und der Götter wird vom Menschen übernommen. Shakespeare zieht Purpur und Krone von Haupt und Leib der Könige und zeigt ersteres voll Blut, Wahn und Wunden, letzteren in eitler Überhebung, in der ver- weslichen Hinfälligkeit des Machtsüchtagen, des Gestrigen. Das moderne Drama wandelt die Passion der Heroen, die Passio Christi, zur Leidensgeschichte des Menschen. Letzte Phase dieser Passionsdarstellung: die Anatomie des Menschen. Der Weg führt von der Anatomie Rembrandts zu Sartre und schon zum jungen Arzt Dr. Tagger, der sich als Dramatiker Ferdinand Bruckner nennt. Und nun diese Wandlung, nein, diese Ausformung. Es führt kein Weg zurück — der Weg nach vorwärts aber heißt: volle Hereinnahroe des Erworbenen, Erkämpften und Erlittenen in die dichte Symbolik des neuen transparenten Realismus, des einzig gültigen Weltstils unserer Zeit. Also: Elisabeth von England — die überreife Frau. Opfer ihrer Sinnlichkeit und ihres Verstands. Mit Herz und Leib liebt sie Essex, den strahlenden jungen Adels herrn, „die Sonne Englands", mit dem Verstand verurteilt sie ihn als Führer adeliger Frondeure zum Tode. Elisabeth, ein Weib. Elisabeth — die Königin? Die um die Gunst des Jünglings buhlende Alte, die im Hemd durch den nachtdunklen Garten, durch das Gestrüpp ihrer Leidenschaften flieht, das launische „Frauenzimmer“ — oro mit dem Barode zu reden —, das sich mit hörigen Männern umgibt und doch nur jenen Gehör1 schenkt, die ihr nicht hörig sind. Nein, keine Königin — und doch — mehr als sie. Und hier setzt die Kunst Bruckners ein. Die klinische Studie wächst zur symbolstarken großen Deutung aus. Diese Elisabeth von England ist im Dualismus ihres Lebens Eis berg der „reinen Vernunft" und Vulkan des alles verzehrenden Herzens, Sinnbild jenes neuen Zeitalters, das England heraufführen wird: Herrschaft des Rationalismus und der Sentimentalität, eines zynischen Materialismus, eines vagen Deismus und eines romantisierenden Ästhetizismus. Locke und Shaftesbury, Sterne und Bcntham, Gladstone und Lawrence von Arabien... Als Symbolträgerin dieses bedeutendsten Dualismus der neueren Zeitläufte erscheint nun Elisabeth dermaßen überlastet, daß sie selbst einen Teil der durch sie verkörperten und repräsentierten Energien und Zeitmächte im Drama auf einen Nebenträger abgeben muß: Francis feacon, der Staatsmann, Politiker, Gelehrte und Philosoph, wird in kluger Dramaturgie von Bruckner dazu verwendet, die negative Komponente des großen Duals „Elisabeth" noch stärker auszuzeichnen: den skrupellosen Ehrgeiz, die Machtsucht, die bedenkenlos das Liebste opfert, die Kunst tödlicher Rethorik, die das Spiel um Köpfe und Herzen regiemäßig zu lenken weiß. Wenn auf der Bühne,

Verführer, seltsamer Liebhaber und Feind zugleich, der schwarze Schatten Bacons Elisabeth anspringt, dann sollte dies nicht vergessen werden: Bacon ist nur eine kontrahierende Emanation der großen Königin, ein zweites Ich, das mit dem ersten liebelt und ficht. Tragödie also des Dualismus, der wurzelhaften Gebrochenheit der „neuen Welt“, der „neuen Zeit'', Cor und Ratio, Herz vnd Geist sind, wie Gott und Welt zerspalten und sparen in weltweiter Spannung zugleich den Raum au , in dem sich die innere und äußere Weltgeschichte dieser letzten Jahrhunderte begibt. Das Spanien Bruckners hat deshalb einzig und allein den Zweck, diesen Urgegensatz zu schärfen, ihn bildhaft schaumäßig herauszustellen. Wer je im Patio de los Reyes im Escorial gestanden, weiß, daß dieses Spanien Bruckners nichts, gar nichts mit dem Spanien Felipe Segundos, des historischen Philipp II. zu tun hat, mit seiner klar gemeißelten Klassizität, mit seiner Herrschermystik und seinem frühbarocken humanistischen Pathos. Dies soll und darf es hier, auf der Bülhne Bruckners, auch nicht sein. Dem in tödlichem Rationalismus, in weltgierigem Utilitarismus, in merkantilem Geistrechnen und fadenscheinigem Sentimentalismus erstarrenden elisabethanischen England eignet, als Wider-Spiel, nur ein Spanien fleischlichster Gläubigkeit, düsterster Inbrunst, jener Ekstase, die sich an der Unüberwind- barkeit höllisch-himmlischer Gegensätze entzündet. Ein Philipp II. also, der das Allerheiligste ansprinigt wie der Stier der Borgia, um, zerrissen von Eifersucht wider Gottes und der Welt Macht, röchelnd auf dem Totenbett zusammenzubrechen. In allem und jeglichem Elisabeths Feindbruder, mit dem Recht des Geblüts und Geistes ihr erster und einzig ebenbürtiger Werber, von ihr selbst bis in den Tod hinein mit hassendem Sehnen geliebt, verfolgt.

Dieses Stück wurde nun von Gielen in einem kongenialen Neubarock inszeniert, der die Kräfte des Burgtheaters richtig auszuschöpfen weiß. In gleißenden Kontrasten stehen die beiden Welten, getrennte Schalen des zerbrochenen Welteneies, Symbole des einen großen Dualismus der „Neuzeit", nebeneinander, verheben, überheben einander. Der Kronrat Elisabeths und der Kronrat Philipps; Elisabeth - Philipp in Erwartung der Niederlage, des Sieges der Armada. Philipp auf dem Totenbett — Elisabeth, in die Lektüre Petrarcas vertieft: jenes großen Einsamen, der weder in der Klause von Vaucluse noch auf dem Mont Ventoux Ruhe, Frieden fand, weil Mensch und Gott, Herz und Geistsinn auseinandertraten, um sich nur zu finden in den furchtbaren Kämpfen des neueren Äons: Del dolor’ e della rag io ne — das letzte Wort Elisabeths. Die Spieler des großen Dramas: überragend, tragend Maria Eis als Königin. Ihr Gegen-Spieler Werner Krauß bedürfte eines antikischen Rossebändigers — die Leidenschaft überspielt, wie die wilden Seelenrosse bei Platon, seinen Leib und reißt ihn weit über Grenze und Rahmen des Stückes hinaus. Höchst nennenswert: das ganze Ensemble der Bung. Ein verheißungsvoller Anfang.

Was dieses Ensemble sonst noch leisten kann, bescheinigt aufs schönste die Welturaufführung von Franz Molnars „P a n o p t i k u m“. Über das Stück selbst sind nicht viel Worte zu verlieren. Ein Gesellschaftsskändal in der österreichisch-ungarischen Botschaft in Rom Anno 1908 wird zu einer Persiflierung und Travestierung des Milieus des altösterreichischen Hochadels benützt. Panoptikum: die wächsernen Figuren eines ancien regime, ohne viel Leben, ohne Blut, ganz ohne Geist. Eine wahrhaft erlesene Auswahl von Schauspielern — Hedwig Bleibtreu, Rosa Albach-Retty, Otto Treßler, als Gast Rudolf Forster, umgibt die Heldin Prinzessin Anna, der von Alma Seidler Leben eingeihaucht wird. Ein Gegenstück im gewissen Sinne zur „Irren von Ghäillot“ von Girau- doux, Nur, daß hier bei Molnar' nichts vom RoÜenbuchautor, alles vom Schauspieler zu erstellen ist. Gespenster am lichten Tage, im Rampenlicht der Bühne. Unbekümmert jedoch um Welt und Molnar weben die Spieler einen zarten Spitzenschleier, Ungesagtes; ein Parfüm, ein Duft, ein leises Knistern; Lavendel; ein Lachen; ein köstlidies Verschweben. Gepflegtheit eines vergilbten Lebens. Spätherbst.

Der Operette „Entweder — oder“ von Hans Weigel (Musik von Alexander Steinbrecher), mit Fleiß kreiiert vom Kleinen Haus der Josefstadt liegt ein bemerkenswerter Einfall zugrunde. Die politische Misere der Gegenwart, der Kampf der Weltanschauungen und Weltmächte wird, in Reim und Ton gesetzt, abgehandelt als ein Viertel Volksstück, ein Viertel Märchen, ein Viertel Operette. Was noch keinen ganzen Dreivierteltakt ergibt. Das letzte Viertel, um ein lückenloses Ganzes zu ergeben, fehlt. Doch sind die drei Viertel bereits sehenswert. Prinz Belcanto fühlt sich in Polyphonien, im Land der Vielstimmigkeit, der Krisen und Krachs, der Korruption und Schlamperei, unwohl — er verzichtet auf sein Thronrecht und emigriert nach Uni- sonien. Ein Land, von dem er durch irgendeine Propaganda gehört haben muß: der maschinisierte, reglementiert Idealstaat, in dem von Wettermachen bis zur Fortpflanzung alles amtlich geregelt ist. In dem alle Menschen gleiche Kleider, gleichen Denk- und Fühlstil tragen, und als Namen nur ihre Telephonnummern besitzen. Sehr bald erkennt Belcanto, mit der schn ll n Auffassungsgabe des gelernten Österreichers, daß hier mit dem Gesang zugleich jede inner Vielstimmigkeit und Vieltönigkeit, der ganze natürliche Reichtum bunter Menschhaftigkeit verboten ist. Seine Widerstandsbewegung, seine illegale Tätigkeit hat deshalb die Einführung der Musik im totalen Eintonstaai als Zielsetzung. Die Revolution gelingt, da alle Eintöner nach und nach sich zur froher Botschaft vom vielstimmigen Reich der Erdenkinder bekehren lassen. O schöner Traun und welch’ erfreulich Verwirklichung — aul der kleinen Bühne des Studios in der Liliengasse.

Zum Gedächtnis des frühverstorbener Dr. Benno Fleisch mann lud Ma? Meinecke, nunmehr alleiniger Leiter dei „Komödie“, zu einer Lesung des Nachlaß- dramas „Archimedes“ in das Theater dei Courage ein. Fleischmann, ein österreichische! Schicksal. Eine Fülle von Interessen, echt innere Vielseitigkeit, ein starkes, solides Können, als Kunsthistoriker, Kritiker, Theater, fachmann. All das gewandet in eine Be- scheidenheit, aus deren Mantel erst jetzt nach seinem allzu frühen Tod, reiche un versehene Gaben sichtbar werden. Als Flaksoldat in Duisburg mag er wohl über dii Zusammenhänge Krieg—Technik—Erfinder geiw nachgedacht haben. Sein Archimede schaut dieses hochaktuelle Thema im Zeit alter der Atombombe aus zeitloser Perspek tive, in der Maske der Antike. Archimedes der syrakusanische Gelehrte, hat . sein In genium den Kriegsherrn zur Verfüguni gestellt. Er stirbt durch den Schwertstreicl eines Soldaten — der Krieg mordet seinei eigenen Vater. Professorenschicksal. Exempe des noch viel zu wenig bedachten Faktums daß die Wirker und Täter des Geistes, seinberufenen Träger, audi zu einem Zeugni des Lebens, der Menschlichkeit, der V e r antwortung für ihr Schaffei aufgerufen sind. Professio, um die Pro feß, um das Ordensgel.übde de Geistig-Schaffenden, der Gei stig Verantwortlichen geht also in diesem Stück. Die Leseaufführunj vom Ensemble des Theaters der Courag besorgt, wurde ein eindrucksvolles Mal d Toten. Mahnmal für die Lebenden.

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