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Die demolierte Literatur“

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Die Wiener Stadtbibliothek, in der bereits im vergangenen Jahr eine Reihe gut gelungener Kleinausstellungen zu sehen war, zeigt nun in ihrem Lesesaal im Rathaus eine kultur- und literarhistorische Studie, wobei das bekannteste der Wiener Literatenkaffeehäuser, das Cafe Griensteidl, im Mittelpunkt steht. Die von Bibliotheksrat Dt. W e r n i g g sachkundig gestaltete Schau ist ein wohlgelungenes Experiment, bei dem der Besucher — ohne cs zu merken — angehalten wird, sich die Materie der kleinen, reichhaltigen Schau zu erarbeiten. Die Auswahl der Zitate und die Art der Gegenüberstellung von zeitgenössischer Kritik und Literaturgeschichte — wobei auch hier und da ein feiner Humor durch die vergilbten Blätter blinzelt — verrät als Gestalter den Fachmann.

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Die Wiener Stadtbibliothek, in der bereits im vergangenen Jahr eine Reihe gut gelungener Kleinausstellungen zu sehen war, zeigt nun in ihrem Lesesaal im Rathaus eine kultur- und literarhistorische Studie, wobei das bekannteste der Wiener Literatenkaffeehäuser, das Cafe Griensteidl, im Mittelpunkt steht. Die von Bibliotheksrat Dt. W e r n i g g sachkundig gestaltete Schau ist ein wohlgelungenes Experiment, bei dem der Besucher — ohne cs zu merken — angehalten wird, sich die Materie der kleinen, reichhaltigen Schau zu erarbeiten. Die Auswahl der Zitate und die Art der Gegenüberstellung von zeitgenössischer Kritik und Literaturgeschichte — wobei auch hier und da ein feiner Humor durch die vergilbten Blätter blinzelt — verrät als Gestalter den Fachmann.

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SCHON ZUR ZEIT der josephinischen Aufklärung, als Mozart in den Mauern Wiens weilte, gab es eine große Anzahl kleiner Kaffeehäuser, in denen man viele in- und ausländische Zeitungen — auch verbotene, wie z. B. den „Moniteur“ — lesen konnte. Das „Kramerische Cafehaus“ in der heute schon verschwundenen Schlossergasse, zwischen Goldschmiedgasse und Graben, war eines der beliebtesten. In den berüchtigten Akten der Jakobiner-Prozesse wurde es dann oft zitiert und gelangte somit zu trauriger Berühmtheit.

Im Vormärz war es das unter der Leitung Ignaz Neuners stehende „Silberne Kaffeehaus“ (in der Plankengasse), worin Grillparzer, Castelli und Nepomuk Vogl — nebst vielen anderen Dichtern — ständig verkehrt haben. Sogar die Kleiderhaken sollen dort aus Silber gewesen sein.

HÖHEPUNKT UND ABSCHLUSS einer einmaligen Entwicklung aber war das im Jahr 1847 gegründete und als Treffpunkt vieler lite- ratur- und lokalhistorischer Persönlichkeiten schnell bekanntgewordene Cafe Griensteidl am Michaelerplatz, Ecke Schauflergasse-Herrengasse. Als es dann am 20. Jänner 1897 auf Grund eines hausherrlichen Beschlusses die Pforten schließen mußte und bald darauf die Barab.er mit der Demolierung begannen, war den wenigsten bewußt, daß damit der Schlußstrich unter ein interessantes und einmaliges Kapitel der Wiener Lokalhistorie gezogen wurde. Aber nicht nur das Literatenkaffeehaus selbst, sondern auch die in ihm gegründete junge .österreichische Literatur des beginnenden 20. Jahrhunderts erhielt einen Todesstoß, da ihr — so seltsam es klingen mag — mit dem Cafe Griensteidl der befruchtende Boden und die gewohnte Atmosphäre entzogen worden ist. Der unter Hermann Bahr auf Anregung Kafkas geschaffene Dichterkreis „Jung-Oesterreich", dem Persönlichkeiten wie Hugo von Hofmannsthal (1874 bis 1929), Arthur Schnitzler (1862—1931) und Felix Salten (1869—1945) angehörten, konnte nirgends mehr richtig heimisch werden und verlief sich.

Der satirische Ironiker, Kritiker und spätere Herausgeber der Streitschrift „Die Fackel", Karl Kraus, der mit seinem „besseren Dreibund“ (bestehend aus dem Impressionisten Peter Altenberg, dem Kunstkritiker Adolf Loos und dem radikalen Musiker Arnold Schönberg) die Opposition zur Runde Hermann Bahrs bildete,

sah in dem Abbruch des Kaffeehauses ein Symbol. Er setzte sich hin und schrieb „Die demolierte Literatur“.

„WIEN WIRD JETZT ZUR GROSZST'ADT DEMOLIERT“, so beginnt Karl Kraus seine Broschüre, die erstmalig am 15. November 1896 in der „Wiener Rundschau“ als Aufsatz erschienen ist, und schon in diesem ersten Satz dokumentiert sich die verneinende Art einer bejahenden Kritik, die später für Karl Kraus noch so typisch werden sollte.

Heute, da wir nach 60 Jahren Distanz gewonnen haben, können wir feststellen, daß der gewissenhafte Kritiker manche der ganz Großen — wie etwa Hofmannsthal, den Dichter des „Schwierigen“, oder Schnitzler, den Autor des „Anatol“ und der „Liebelei“ — arg verkannt, dafür aber eine große Zahl Eintagsfliegen auf den ersten Blick durchschaut hat. Einige Beispiele aus der „Demolierten Literatur“ sollen dies veranschaulichen:

Ueber Hermann Bahr (1863—1934), den „Herrn aus Linz“, dessen Komödie „Das Konzert“ vor kurzem am Burgtheatet ein gelungenes Comeback feiern konnte, schreibt Karl Kraus, daß es dieser verstanden hätte, Genialität „durch eine in die Stirn baumelnde Haarlocke anzudeuten“. Daß Bahr der Schöpfer einer neuen österreichischen Literatur und des Begriffes „Die Moderne“ ist, wird nicht gewürdigt.

Von Arthur Schnitzler weiß Kraus zu berichten, daß dieser „das Vorstadtmädel burgtheaterfähig“ gemacht und sich „in überlauter Umgebung eine ruhige Bescheidenheit des Größenwahns zu bewahren gewußt“ hätte.

Felix Salten, der mit seinem journalistisch gewandt geschriebenen Tierbuch „Bambi“ Millionenauflagen erreichen konnte, wird von Kraus ebenfalls scharf aufs Korn genommen. Es heißt da über Salten: „Er schrieb immer das, woran seine Freunde gerade arbeiteten ..daher sei Salten auch bemüht gewesen, „dem Tode ein paar Novellen abzuringen“.

Von Richard Beer-Hofmann (1866—1945), einem Freund Hofmannsthals, schreibt Karl Kraus, daß dieser ein Autor sei, „der seit Jahren an der dritten Zeile einer Novelle arbeitet, weil er jedes Wort in mehreren Toiletten überlegt“. Trotz dieser Kritik wurde Beer-Hofmanns Arbeitsweise nicht schneller. Sein damals vom Publikum gut aufgenommenes Drama „Der Graf von Charolais" ist heute fast vergessen.

AM BESTEN ERKANNTE KRAUS als einer unter wenigen die Eintagsfliege Leo Ebermann (1863—1914), dessen im Burgtheater bei großartiger Besetzung aufgeführtes Stück „Die Athenerin" einen — für uns heute unverständlichen - Erfolg verzeichnen konnte. Selbst der vorsichtige und weitblickende Kritiker Speidel sah in, Ebermann einen Nachfahren Grillparzers. Wenn man das Textbuch der „Athenerin“ heute liest, schüttelt man den Kopf, diese Sammlung nichtssagender Tiraden soll ein Bombenerfolg gewesen sein? Aber hier das Urteil von( Karl Kraus: „Der Ruf eines Grillparzer-Epigonen schmeichelt ihm (Ebermann) so sehr, daß er, um denselben wenigstens teilweise zu rechtfertigen, beabsichtigen soll, sich um eine Staatsbeamtenstelle zu bewerben und auch fürder sich streng nach des Dichters Biographie zu richten.“

Auch Felix Dörmann (1870—1928) enttäuschte die in ihm gesetzten Erwartungen. Er begann sehr vielversprechend mit den Gedichtbänden „Narcotica" (1891) und „Sensationen“ (1892),, errang sogar den Bauernfeld-Preis und endete als Vielschreiber. Als Mitverfasser der Libretti voti Oscar Straus’ „Walzertraum" und Edmund Eyslers „Unsterblicher Lump", führt er auf unseren heutigen Theaterprogrammen ein unbeachtetes Schattendasein. Dasselbe gilt von dem — meistens in Kompanie arbeitenden — Operettenlibrettisten VictorJLeon (185 8—1940),. dessen Name bei den Lehar-Operetten „Rastelbinder", „Lustige Witwe", „Land des Lächelns“ sowie bei Heubergers „Opernball" usw. auf den Programmen zu finden ist.

Leo Feld (1869—1924), dem Verfasser verschiedener Komödien und Volksstücke, die heute vergessen sind, verdanken wir durch das Theaterstück „Die Lumpen“ die dramatische Charakterisierung des Cafes Griensteidl und seiner Besucher. Ueber ihn urteilt Karl Kraus wie folgt: „Er (Leo Feld) hängt insofern mit der Literatur zusammen, als ihm die Aufgabe obliegt, des Nachts die Dichter nach Hause zu begleiten. Hat einer der Herren einen Erfolg aufzuweisen, so wird e r größenwahnsinnig."

Halten Sie es übrigens, verehrter Leser, für möglich, daß der Geiger Fritz Kreisler auf Anregung Hugo Wolfs nach Worten Hugo von Hofmannsthals das Lied „Komm mit mir ins Chambre sėparėe“ komponiert hat? In einer Sondervitrine der Ausstellung im Rathaus liegt in Form einer zitierten Stelle aus Kreislers „Lebenserinnerungen“ der „Beweis!" (Freilich ein sehr fragwürdiger und auch bereits an- gefochtenef.)

NICHT NUR DICHTER UND KÜNSTLER, sondern auch Politiker kamen ständig ins „Griensteidl“, z. B. Viktor Adler, Pernerstorfer, Leuthner und der junge Karl Renner. Diese und der Kreis um Karl Kraus, darunter der Lyriker und Biograph Richard Specht (1870—1932), der Dichteroffizier Torresani, der Volksstückautor Karlweis (18 50—1901) und der schon genannte „Dreibund" sowie Robert Scheu — Schöpfer des Begriffes „Kulturpolitik“ — und der Essayist Otto Stoeßl stehen nicht in der „Demolierten Literatur“. Der Einfluß des Kritikers und Sprachreinigers Karl Kraus auf die Freunde war bedeutend, wenn Peter Altenberg sagt: „Ich möchte einen Menschen in einem Satz schildern, ein Erlebnis der Seele auf einer Seite, eine Landschaft in einem Worte", dann merken wir deutlich die von Kraus vertretene, auf klaren Ausdruck gerichtete Tendenz.

MIT EINEM KURZEN BLICK auf die - leider mißglückte — Nachfolge des Literatenkaffeehauses (Cafe Museum, Cafe Zentral und Cafe Herrenhof) und der Feststellung, daß dieser Typ des Kaffeehauses sich überlebt hat. schließt der eindrucksvolle Bilderreigen der Ausstellung.

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