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Die deutschliberale Bewegung

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Nach dem Erscheinen des die eigenständige Entwicklung des Liberalismus in Altösterreich von den Anfängen bis zum Jahr 1918 behandelnden Werkes Karl Eders (Verlag Herold, Wien), liegt nun ein weiteres über das gleiche Thema vor. In den Kriegsjahren begonnen, 1945 bis 1947 fertiggestellt, erschien es unverändert 1955 und beschreibt die deutschliberale Bewegung von den Wurzeln bis zum Jahre 1867. Der Plan einer Fortsetzung zerschlug sich, daher bleibt dieses Buch leider ein — gleichwohl gewichtiges — Fragment.

Gründlichkeit und Sorgfalt zeichnen das Werk aus, dessen Anmerkungsverzeichnis sich über 90 Seiten erstreckt. Der Verfasser bedauert, daß er die mittlerweile erschienene Literatur nicht verwerten konnte. Wir stimmen ihm zu, denn für die bearbeitete Zeit gibt es neue Einzeluntersuchungen, so etwa: Allmayer-Beck, „Vogelsang“; Hudal, „Die österreichische Vatikanbotschaft 1806 bis 1918“; Hantsch, „Geschichte Oesterreichs“, Bd. II; Meister, „Geschichte der Akademie der Wissenschaften in Wien 1847 bis 1947“: Lhotsky, „Geschichte des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 1854 bis 1954“. Dafür entschädigte Franz mit einem erst später aufgenommenen soziologischen Teil, der die Gesellschaftsmächte jener Jahrzehnte untersucht: Adel, Bürgertum, Wirtschaft, Presse, Militär und Bürokratie.

In den Jahren 1861 bis 1867 bestand die deutschliberale Bewegung ihre Feuerprobe. Diese Deutschliberalen waren keineswegs deutsch im nationalistisch begrenzenden Sinn, sondern übernational. Einige ihrer Führer waren slawischer Abkunft. Ihr Deutschtum war das selbstsichere Ordnungsprinzip des alten Reiches. Ihr schließliches Verderben aber der starre Doktrinarismus- und der alles andere verleugnende Glaube an die Vernunft, welcher das Ego und dessen scheinbar unbegrenzte Fähigkeit der Einsicht an die Spitze stellend, die ganze Welt so gerne nach Taines bekannten Worten ausgerichtet wissen wollte: „Le vice et Ia vertu sont produits comme le Sucre et le Vitriol.“ Nicht weniger trug zum Untergang ihre soziale Uninteressiertheit bei, indes doch schon allenthalben die Massen ihre berechtigten Forderungen erhoben und in ihren Gehirnen zum ersten Male, verschwommen und unklar noch, der Sozialismus dämmerte. Vor allem aber versündigten sie sich gegenüber dem nationalen Gedanken, der, als junges Massengefühl, berauschend, begeisternd, unpräzis, als wahrer Erisapfel zwischen den Völkerschaften Altösterreichs einherrollte. Als Rationalisten standen sie der zutiefst psychologischen Problematik der Nationalitäten, gelinde gesagt, mit Fremdheit gegenüber. „Sie waren der ehrlichen Ueberzeugung, daß mit dem Gewähren von freiheitlichen Einrichtungen ... alle Probleme der Monarchie gelöst sein würden“ (S. 280).

Der Kampf der Verfassungspartei, sc* nannte sich die deutschnationale Bewegung auch, wird klar gewürdigt. Auch das von der liberalen Geschichtsschreibung (Friedjung) verzeichnete Belcredi-Bild erhält objektivere Züge? Hantsch hatte schon auf Bel-credis Sachkenntnis und ruhige Ueberlegung verwiesen. Das zitierte Rücktrittsgesuch mit seinen weitblickenden Eingangsworten (S. 303) bestätigt dies nur. In der Verfassungspartei vollzog sich Mitte der sechziger Jahre, wie Franz nachweist, ein oft übersehener Strukturwandel.. Die juristische Intelligenz (Herbst, Giskra, Berger u. a.) löste die „Routiniers der Bürokratie ab“. Und wirklich bekam damit die liberale Politik „einen kleinbürgerlichen Wesenszug, advokatorische Spitzfindigkeit und pro-fessorale Pedanterie beherrschten das Getriebe“ (S. 317). So verfielen die Deutschliberalen in den „schweren Fehler, daß sie ihre besten Kräfte im unfruchtbaren Streit um konfessionelle Angelegenheiten verbrauchten und die wichtigeren Probleme der Neugestaltung der Monarchie als .quantite ncgligeable'behandelten“ (S. 427). Diese Haltung bewies nur, daß „sie der Größe der ihnen gestellten Aufgabe nicht gewachsen waren. Sie hätten zu ihrer Lösung überdies auch keine Persönlichkeit gehabt“ (S. 316). Herbst ist daher nicht länger der deutschliberale Halbgott (auch hinter Giskras Sprachgewalt, die heute noch beim Lesen so besticht, zeigte sich, schlecht verhüllt, der Mangel an konstruktivem Denken), sondern ein Mann, „der die Masse der Abgeordneten durch seine schneidende Kritik und die beißende Schärfe seiner Dialektik einzuschüchtern vermochte“ (S. 318).

Eingehend dargestellt ist der Kampf um das Konkordat, in dem die Liberalen nicht als areligiöse (man denke etwa an den 1 des RVG), aber als intolerante, ihren eigenen Grundsätzen untreu werdende Politiker gesehen werden, die die Kirche in die private Sphäre drängen wollten. Hier scheuten sich die Liberalen, ganz wie später im benachbarten Deutschland (Seil hat diesen Widerspruch klar herausgearbeitet), „auch vor Gewaltanwendung nicht und beriefen sich dabei auf die von ihnen so verabscheute absolutistische Regierungsmethode“ (Seite 260). „Großartig war der Widerstand der Kirche gegen den Staat. Weitgehend nur auf spirituelle Machtmittel gestützt, widersetzte sie sich erfolgreich den Zwangsmaßnahmen des. Staates wie dem Trommelfeuer der liberalen Presse“ (S. 415 f.).

Was wären die Liberalen ohne ihre vielfach brillante Presse gewesen, welche, oft korrupt (S. 184), die Stimme des Volkes vortäuschte, aber in Wirklichkeit nur das Echo der eigenen Reden war? Sie befand sich zumeist in jüdischer Hand. Mittels strichartiger Biographien und der Statistik wird die einflußreiche Stellung des Judentums untersucht, dessen liberale Gesinnung begründet war. Dem Liberalismus verdankte es die Freiheit, und jede Erschütterung, die jenem drohte, schloß auch für die Juden Gefahren ein. Zu vermerken wäre hier nur, daß die jüdische Herkunft Kardinal Newmans (S. 194) vom LThK. (VII.. S. 531) in das Gebiet der Fabel verwiesen wird. Graf Clam-Martinitz war nicht der Gründer des „Vaterlands“, sondern gehörte (Allmayer-Beck, a. a. O., S. 42) dem „vorwiegend aus Adeligen bestehenden Konsortium der Gründer an“.

In dem Pressekampf um das Konkordat, dessen Erforschung noch ein dankbares Gebiet wäre, trat nun plötzlich wie eine bisher maskierte Batterie der ganze gewaltige Chor der liberalen Tageszeitungen hervor, ihre Schlünde gegen das Konkordat und seine Verteidiger richtend. Hier standen aber der witzige, volkstümliche Pater Greuter und Sebastian Brunner, „eine der bedeutendsten Gestalten der Wiener Journalistik“ (S. 429), unerschütterlich auf ihren Posten. Das Jahr 1867 wurde dann für die Deutschliberalen in Oesterreich ein Jahr der Erfüllung, aber auch ein Jahr der Enttäuschung. Zur Enttäuschung, weil sie nun selbst im Vielvölkerstaat zur Minderheit geworden waren. Erreicht hatten sie die Erfüllung ihres doktrinären Pro-grammes: Individualrechte, Gewaltenteilung, Rechtsstaat — ein großes historisches Verdienst. Aber ihre Erfolge und Siege gingen, und darin liegt die Tragik der Deutschliberalen, „auf Kosten der Macht, Stärke und des Ansehens des eigenen Vaterlandes“ (S.440).

Um das umfangreiche Werk, das leider am Beginn der hochliberalen Aera endet, eingehender zu würdigen, fehlt der Raum. Es zeigt die seltene Ausnahme, daß sich, wie Srbik dem Verfasser schrieb, „hier ein reichsdeutscher Historiker mit solcher Liebe und Intensität in die österreichische Geschichte vertieft und mit solchem produktiven Ergebnis in ihr tätig ist“. Wie hätte sich das ausgewirkt, wenn das in der Vergangenheit von deutscher Seite öfter der Fall gewesen wäre!

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