6609421-1954_41_15.jpg
Digital In Arbeit

Die die Frankfurter Zeitung lasen...

Werbung
Werbung
Werbung

Der Autor dieses Buches, das sich nicht nur „Bericht" nennt, sondern es auch in des Wortes bestem, nüchternem Sinn ist, macht kein Hehl daraus, ein „Nationaler" zu sein. Und er gibt diesem Begriff in einer sehr instruktiven, mit romanischer Klarheit geschriebenen Untersuchung die unmißverständliche Abgrenzung gegenüber dem Patriotismus der Jakobiner und dem Alldeutschtum der Imperialisten (S. 141 bis 150). Sein nationaler Ausgangspunkt wird wohl nicht mit dogmatischer Schärfe präzisiert, aber nach der Lektüre dieses Buches, das nicht zuletzt ein Tagebuch der Wandlungen eben dieses Begriffes ist, kann man sich ziemlich klar vorstellen, was gemeint ist. Es ist der ethische Nationalbegriff der deutschen Mittelgeneration, die die Zeit vor 1914 nicht mehr bewußt erlebt hatte, bei der Hitler- schen Machtergreifung aber bereits ein festgefügtes Weltbild besaß. Sie stand, wie der Autor auf Seite 5 schreibt, bereits innerlich zu fest, um das erworbene Gedankengut auszuwechseln. Die Herkunft dieses Nationalbegriffs ist unverleugbar, Kant und Fichte, mit Abstand gefolgt vom „rechten" Hegel, stehen an der Spitze. Der Biologismus und Mystizismus wird mit eindeutigem Nein zurückgewiesen. Dieses Nein betrifft Wilhelm II. wie Bayreuth, den „Traum vom Reich", wie den autonomen Menschen Nietzsches, und dieses Nein wird nach sorgfältigem Abwägen auch der hündischen Jugendbewegung gegenüber ausgesprochen. Es ist also jener „rechte" Flügel der Weimarer Republik, den man erfinden hätte müssen, wenn es ihn nicht gegeben hätte und dessen Zurückgedrängtsein durch den Junkerpatriotismus und die Schlotbarone um Hugenberg, dessen Ueberrolltwerden durch die braunen Bataillone die eigentliche deutsche Tragödie darstellt, die mit der Harzburger Front beginnt und am 20. Juli 1944 endet. Eine nationale Generation, die als ihre Hauptaufgabe erkannte, die deutschen „Vaterländer" und Separatgemeinschaften, die das wilhelminische Deutschland nicht zu" integrieren vermochte, auf geistigsittlicher Ebene eine Nation werden zu lassen, frei von alldeutschem Bierdunst und römisch- reichischem Weihrauch, in der kühlen Gediegenheit den westeuropäischen Nachbarn verschwistert. Für dieses Ziel, das zugleich das der geduldigen Selbsterziehung wie das der Verständigung mit den als Nationen feststehenden westlichen Nachbarn war, wirkte der Autor seit 1931 in Genf als Leiter der Abteilung für studentische Selbsthilfe und Gemeinschaftsarbeit des Weltstudentenwerks. In dieser Eigenschaft hat er auch für die deutsch-französische Verständigung gewirkt, und dieses Wirken, wie er in seinem nüchternen Resume ausführt, unter dem Nationalsozialismus, und auch während der französischen Besetzung in Gemeinsamkeit mit Laval und Abetz fortgeführt. Für sein Ufteil — das nicht das unsere ist — war die europäische Bewegung der dreißiger Jahre vor allem in Frankreich eine echte Kollaboration mit dem deutschen Partner, die als Aufstand gegen die Gerontokratie (Greisenherrschaft), im eigenen Land gedacht war. Epting wurde nach Kriegsende inhaftiert. Sein Freispruch durch die gewiß nicht sehr großzügigen französischen Nachkriegsgerichte beweist eindeutig die persönliche Untadeligkeit dieses Mannes, der die Herkunft seines Nationalismus aus evangelischhumanistischer Gläubigkeit und den kategorischen Imperativ auch bei allem nationalen Handeln hervorhebt.

Wir möchten kein Hehl daraus machen, daß wir in weiten Partien dieses Werks einen völlig anderen Standpunkt einnehmen. Ganz besonders, was die österreichische Frage betrifft, die Epting völlig selbstverständlich als eine deutsche National- und Hausangelegenheit betrachtet. Auch die kaltschnäuzige Art, mit der (S. 234 ff.) die geistige Elite der französischen Resistance abgetan wird, vollends aber (S. 236) die Verurteilung des französischen Maquis als „Landfriedensbruch" (eine Formulierung, die überhaupt nur aus Hegelschem Denken erklärt werden kann), dies alles fordert schärfsten und dokumentarisch zu begründenden Widerspruch.

Dennoch aber möchten wir mit allem Nachdruck dafür eintreten, daß diese sachliche und vornehmnüchterne Stimme einer Generation sehr aufmerk-

sam gehört wird. Im Grunde ist dies eine europäisch mögliche Basis, auf der ein Gespräch mit Andersdenkenden möglich sein muß. Dann wird sich auch eine gewisse Verkrampfung, die den Autor heute die französische Nachkriegspolitik mit nicht ganz nüchternen Augen sehen läßt, weichen. Zudem ist diese Haltung keine starre Parteidoktrin, sondern eine wandlungsbereite, geistige Möglichkeit. Er selbst zieht (S. 175) zwischen seiner Generation und den Nachfolgenden den symbolischen Trennungsstrich derer, die die „Frankfurter Zeitung" lasen und derer, die in der Verachtung gerade dieses Mittels politischer Bildung aufgewachsen sind. Und an einer anderen Stelle spricht er von der deutschen „Generation stendhalienne", von dem ganzen Zwiespalt Stendhalscher Naturen, der Neugierde für die Zusammenhänge zwischen Seele, Kultur und Gesellschaft, vor allem aber das in aller Selbstbehauptung und Selbstdarstellung Gebrochensein, das immer wieder nach der Aufnahme in verpflichtende Welten verlangt. Diese Generation ist vielleicht die einzige, die durch Schicksal und eigenen Willen von allen überkommenen Bindungen der Ethik und der Gesellschaft wirklich freikam und in dieser Freiheit von der Angst der Einsamkeit überfallen wurde. Deshalb suchte sie nichts dringlicher, als nach unten oder oben, nach der Masse oder Elite, nach dem

Bilde oder nach der Sitte, letzten Endes aber nach dem Glauben hin Anschluß zu finden" (S. 112).

Das deutsche Staatswesen wird, wie immer es aussehen mag, auf die Dauer an dieser Generation genau so wenig vorbeigehen können wie Italien an Fanfani, Frankreich an Mendės-France und Edgar Faurė. Europa kann nicht das Werk einer doktrinären „Heiligen Allianz" von Menschen werden, die ihre entscheidende politische Prägung vor 1914 erfuhren, so wichtig auch deren Rat und Erfahrung ist. Die Mittelgeneration trotz aller ihrer Irrwege und Unausgereiftheiten einfach mundtot zu machen und durch die abgebrühten Routiniers oder die abgeklärten Realisten zu ersetzen, ist eine Behandlungsmethode, die beim einzelnen wie auch in der Geschichte zu Verdrängungserscheinungen führt, die sich früher oder später in unguter Weise Luft machen. Gebe Gott den Fanfanis (und zu dieser Generation gehört Epting trotz aller seiner weltanschaulich-politischen Gegensätzlichkeiten) allüberall in Europa einen De Gasperi, der weiß, wann er .über den eigenen Schatten zu springen hat. Und dadurch nicht nur ein alter, sondern auch ein weiser Staatsmann war. Der Eptings sind mehr als man glaubt. Bringt man sie zum Schweigen, dann sprechen die Remers und Rudis, die Kernmayrs und Stübers. Und das wäre ungut...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung